Auf der Tribüne hinter Wladimir Putin auf dem Roten Platz in Moskau stehen junge Männer stramm, neben ihm haben sich gebrechliche alte Männer Kapuzen über den Kopf gezogen. An "Siegestagen" über Nazi-Deutschland zeigt sich der Präsident gern von Veteranen umgeben. Das Bild an diesem Donnerstag unterstreicht die Geschichtsklitterung, die Putin auch in seiner Rede vor knapp 9000 Soldaten und Millionen Zuschauern vor den Fernsehern betreibt.
Der 9. Mai ist ein identitätsstiftender Tag in Russland. 27 Millionen sowjetischer Bürger waren im Zweiten Weltkrieg gefallen, es gibt keine russische Familie, die niemanden zu betrauern hätte. Die Erinnerung aber und die Trauer um die Toten und Versehrten hat der russische Staat längst gekapert. Für Putin ist seine "militärische Spezialoperation" eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs.
Putin dankt "dem chinesischen Volk"
Die Parade auf dem Roten Platz ist ein Ritual voller militaristischer Rhetorik, bei dem Putin wortreich Rache an denen zu nehmen versucht, die nicht mit seiner Sicht der Dinge einverstanden sind. "Revanchismus und Verhöhnung der Geschichte sind Teil der Politik westlicher Eliten", sagt er an seinem Rednerpult und betreibt Geschichtsvergessenheit, indem er behauptet, die ersten drei Jahre im Zweiten Weltkrieg sei die Sowjetunion vollkommen auf sich allein gestellt gewesen. Die Anti-Hitler-Koalition lässt er beiseite. Dafür dankt er dem "Widerstandsgeist und Mut des chinesischen Volkes". Der Westen wolle die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg vergessen, behauptet Putin und droht: "Unsere strategischen Kräfte sind immer in Kampfbereitschaft."
"Nur ein Panzer?", fragt derweil ein Fünfjähriger, der auf den Schultern seines Vaters hockt. "Sei nicht enttäuscht, ruf einfach ,Hurra'", rät dieser dem Kleinen und nimmt ihn wieder herunter. Durch den Schnee gehen sie zur Metro. Die orangefarbenen Räumfahrzeuge putzen den Asphalt.