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Mordserie: Ein trauernder Hund klagt Mexikos Versagen bei Journalistenmorden an

Mordserie

Ein trauernder Hund klagt Mexikos Versagen bei Journalistenmorden an

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    Lourdes Maldonas trauernder Hund Chato wurde nach dem Mord an der Journalistin vor zwei Wochen zum Symbol des Staatsversagens in Mexiko. Fast nirgendwo auf der Welt ist die Arbeit für Reporter gefährlicher.
    Lourdes Maldonas trauernder Hund Chato wurde nach dem Mord an der Journalistin vor zwei Wochen zum Symbol des Staatsversagens in Mexiko. Fast nirgendwo auf der Welt ist die Arbeit für Reporter gefährlicher. Foto: Ugarte, dpa

    Die Dunkelheit brach herein über die nordmexikanische Grenzstadt Tijuana und über das kleine Reihenhaus, in dem die Journalistin Lourdes Maldonado gelebt hatte. Es war eine kalte Januarnacht. Ein gelbes Plastikband flatterte im Wind. Mehr hatten die Polizisten nicht für nötig gehalten, um den Tatort zu sichern, an dem kurz zuvor die dritte Medienschaffende seit Jahresbeginn ermordet worden war. Nachbarn, Schaulustige und die Presse hatten sich bereits zurückgezogen.

    Nur „Chato“ wollte nicht gehen. Der zimtfarbene Pitbull, den Maldonado von der Straße geholt hatte, wartete vor der Haustüre auf sein Frauchen. Wie ein trauerndes Mahnmal lag er da. Das Fressen, das eine Nachbarin ihm hingestellt hatte, rührte er nicht an.

    Hund Chato wird zum mahnenden Symbol der Barbarei

    Der Mord an der mutigen und beliebten Fernsehjournalistin hatte selbst die hart gesottenen Bewohner der Wüstenstadt einen Moment lang aufgewühlt. Man kommentierte, man demonstrierte, man spekulierte. Über einen weiteren

    Sein Foto machte die Runde in sozialen Netzwerken. Als Symbol eines barbarischen Treibens, für das den meisten Mexikanern inzwischen die Worte fehlen. Vor der man sich abschottet, rational und emotional. Seit Jahresbeginn sind in Mexiko vier Journalisten ermordet worden; ein Reporter überlebte einen weiteren Mordanschlag nur knapp.

    Journalisten aus Veracruz gedenken ihrer ermordeten Kollegin  Lourdes Maldonado.
    Journalisten aus Veracruz gedenken ihrer ermordeten Kollegin Lourdes Maldonado. Foto: Felix Marquez, dpa
    Eeine Freundin der ermordeten Journalistin Lourdes Maldonado, streichelt den Hund ihrer Freundin, Nacho, während sie Maldonados Haustiere vom Tatort und aus ihrem Haus einsammelt.
    Eeine Freundin der ermordeten Journalistin Lourdes Maldonado, streichelt den Hund ihrer Freundin, Nacho, während sie Maldonados Haustiere vom Tatort und aus ihrem Haus einsammelt. Foto: Marco Ugarte, dpa

    Seit Jahren nimmt die Gewalt in Mexiko zu; das Land gehört zu gefährlichsten weltweit für die Presse. Nur in Afghanistan wurden 2021 mehr Medienschaffende ermordet. In Mexiko starben seit dem Jahr 2000 fast 150 Journalistinnen und Journalisten bei gezielten Mordanschlägen.

    Der versprochene Schutz versagt

    Um das Blutbad zu stoppen, hatte die mexikanische Regierung im Jahr 2012 eigentlich einen Schutzmechanismus für Journalisten und Menschenrechtsaktivisten eingerichtet. Seither können sie bei Drohungen staatliche Hilfe einfordern. Zumindest theoretisch. In der Praxis ist die Behörde namens „Mecanismo“, deren Etat und Personal seither nicht erhöht wurde, völlig überfordert.

    Eine Schreibmaschine erinnert an ermordete  Journalisten.
    Eine Schreibmaschine erinnert an ermordete Journalisten. Foto: Felix Marquez, dpa

    Derzeit genießen etwa 1500 Personenschutz, darunter 500 Journalisten. „Die Anfragen sind von 2019 bis heute um 60 Prozent gestiegen“, sagt Balbina Flores von der Organisation Reporter ohne Grenzen. Die Einrichtung mit Sitz in Mexiko-Stadt reagiert langsam und bürokratisch. Wird ein Reporter bedroht und meldet dies, müsste das Schutzprogramm „Mecanismo“ eigentlich innerhalb von zwölf Stunden reagieren. Entweder, indem es die örtliche Polizeistreife alarmiert, oder einen Panikknopf zur Verfügung stellt. Lebt jemand in einer gewalttätigen Region oder sehr abgelegen, kann auch ein Leibwächter entsandt oder der Journalist von dort weggeholt werden. „In der Praxis dauert es bis zu sechs Monate, bevor das Programm eine Maßnahme ergreift“, kritisiert Flores.

    Ermordete Reporterin war im Schutzprogramm

    Das wurde beispielsweise dem Fotografen Margarito Martínez, zum Verhängnis. Er hatte im Dezember Todesdrohungen erhalten und um Schutz gebeten. Im Januar wurde er in Tijuana erschossen – vor seinem Haus. Auch die ermordete TV–Journalistin Maldonado war Teil des Schutzprogramms. Doch sie konnte nur auf gelegentliche Kontrollanrufe und Polizeistreifen vor ihrem Haus zählen. Sie ahnte, dass dies nicht ausreichen würde.

    2019 reiste sie nach Mexiko-Stadt und bat dort auf der allmorgendlichen Pressekonferenz im Präsidentenpalast den Staatschef, Andrés Manuel López Obrador, um Hilfe. „Ich fürchte um mein Leben“, sagte sie ihm ins Gesicht. Und sie nannte auch den Grund und den Namen der Person, von der ihrer Meinung nach die Drohungen ausgingen: Jaime Bonilla. Gouverneur des Bundesstaates Baja California, in dem Tijuana liegt. Ein Parteifreund des Präsidenten. Miteigentümer eines TV-Kanals, den Maldonado wegen einer unrechtmäßigen Kündigung verklagt hatte. Kurz vor ihrer Ermordung hatte ihr ein Gericht recht gegeben.

    Neun von zehn Morden bleiben ungesühnt

    Die Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten hat seit Beginn des Drogenkriegs 2006 zugenommen. Doch sie geht nicht nur von den Drogenkartellen aus. Hinter 50 Prozent der Morde stecken lokale Autoritäten – Politiker oder Sicherheitskräfte – wie der staatliche Menschenrechtsbeauftragte im Innenministerium, Enrique Irazoque, einräumte. Dennoch bleiben über 90 Prozent der Journalistenmorde ungesühnt, wie die Regierung einräumen musste.

    Der Filz zwischen Drogenmafia und Politik ist der Hauptgrund dafür, weshalb die Journalistenmorde praktisch straffrei bleiben. Auffällig rasch sind beispielsweise lokale Autoritäten mit Hypothesen zur Stelle. Zum Mord an dem Fotojournalisten Martínez erklärten die Ermittler, es habe sich um einen Streit mit Nachbarn gehandelt. Im Falle von der TV-Journalisten Maldonado warnte sogar Präsident López Obrador davor, voreilige Zusammenhänge mit ihrer journalistischen Arbeit oder ihrem Prozess zu konstruieren.

    Linkspopulistischer Präsident lässt gegen Medien hetzen

    Journalistenorganisationen kritisieren seit Jahren, dass der Staat sich seiner Verantwortung entzieht, und fast nie die journalistische Tätigkeit als Tatmotiv untersucht. Wird ein Journalist wegen seiner Arbeit umgebracht, ist die nationale Staatsanwaltschaft zuständig, die etwas mehr Personal hat und professioneller ausgestattet ist. Sind es andere Motive, bleibt der Fall bei der lokalen

    Nach Ansicht der mexikanischen Medien leistet Präsident López Obrador selbst der Gewalt Vorschub, seit er vor drei Jahren ins Amt kam. Der Linkspopulist López Obrador inszeniert sich als Korruptionsbekämpfer und Moralwächter und Neugründer einer Nation, die seiner Ansicht nach der Gier der Neoliberalen und Unternehmer ausgeblutet wurde. Die Journalistenmorde gingen nicht vom Staat aus, und die Täter könnten nicht mit Straffreiheit rechnen, behauptete er jüngst in seiner Pressekonferenz, allen Angaben seines eigenen Innenministeriums zum Trotz. Zudem würden seine politischen Gegner die Morde nur zum Vorwand nehmen, um ihn anzugreifen, fügte er hinzu.

    Medien und Experten machen den linkspopulistischen Präsidenten von Mexiko Andres Manuel Lopez Obrador für die Stimmung der Gewalt gegen Journalisten mitverantwortlich.
    Medien und Experten machen den linkspopulistischen Präsidenten von Mexiko Andres Manuel Lopez Obrador für die Stimmung der Gewalt gegen Journalisten mitverantwortlich. Foto: El Universal

    Doch López Obrador macht selbst in seinen Pressekonferenzen Stimmung gegen Journalistinnen und Journalisten im Land, die er als „Faken News“ diskreditiert. Einmal wöchentlich erteilt der Linkspopulist auf seinen Pressekonferenzen außerdem einer getreuen Propagandistin das Wort, deren Aufgabe es ist, Kollegen zu kritisieren und persönlich anzugreifen – ohne dass diese eine Gelegenheit zur Gegenrede bekommen. Diese Praxis stigmatisiere die Arbeit der Journalisten und gefährde die Pressefreiheit, beschied ihm neulich die Menschenrechtskommission für die Pressefreiheit. Ihr Appell, darauf künftig zu verzichten, blieb fruchtlos.

    Auch unter López Obrador verliert die Rechtsstaatlichkeit

    Die Journalistenmorde sind die sichtbare Spitze des mexikanischen Problembergs. Nach Angaben des World Justice Project, das die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in der Welt dokumentiert, fiel das Land im Jahr 2021 um neun Plätze auf Rang 113 von 139 Ländern zurück. Halbherzige Reformen in Polizei und Justiz verbesserten die Lage in den vergangenen 20 Jahren kaum.

    Unter López Obrador verzeichnen Bürgerrechtler sogar Rückschritte. Der Präsident habe die Einrichtung einer unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft torpediert, kritisiert beispielsweise der Menschenrechtsexperte Michael Chamberlin. „Er hat die Untersuchungshaft ausgeweitet und die Rolle der Streitkräfte gestärkt, die sich traditionell dagegen verwehren, vor zivilen Gerichten zur Rechenschaft gezogen zu werden.“ Chamberlin ist zum Schluss gekommen: „Es gibt keinen politischen Willen, die Straffreiheit zu beseitigen. Zu viele staatliche Institutionen, vor allem auf lokaler und regionaler Ebene, sind von der Mafia kooptiert.“ Genau diese Verstrickungen decken Journalisten in Mexiko immer wieder auf. Und riskieren damit ihr Leben.

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