Sie haben ihm wohl keine andere Wahl gelassen: Nach der Rücktrittswelle von Abgeordneten, die damit begann, dass Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid aus Protest gegen den Premierminister ihr Amt niederlegten, erklärte nun Boris Johnson den Rücktritt als Parteichef der Konservativen. Die Folge: Ab sofort befindet sich auf der Suche nach einem neuen britischen Premierminister oder einer neuen britischen Premierministerin.
Klar ist, dass es sich um einen Abgeordneten oder eine Abgeordnete der konservativen Torys handelt, denen auch Johnson angehört. Sie verfügen über die absolute Mehrheit im britischen Unterhaus. Bis ein neuer Anführer oder eine neue Anführerin gefunden ist, wird Johnson als Premierminister im Amt bleiben. Doch wer kommt in Frage? Ein Überblick über die Kandidaten und Kandidatinnen.
Jeremy Hunt – im zweiten Anlauf zum Premierminister?
Der frühere Geschäftsmann trat im Jahr 2019 gegen Johnson an, verlor jedoch das Rennen um den Parteivorsitz der Torys. Hunt ist früherer Außen- und Gesundheitsminister und stellte sich im Wahlkampf damals als die "ernsthafte" Alternative dar. Der 55-Jährige gilt als nicht so charismatisch wie Johnson, doch auch als belastbar und seriös. Hunt hielt in den letzten Wochen und Monaten nicht zurück, dass er sich durchaus vorstellen könnte, in der Downing Street 10 zu wohnen.
Der Tory-Politiker, der fließend Japanisch spricht, stellte unter anderem klar, dass die Wähler den Torys unter Johnsons Führung "nicht mehr vertrauen" würden. Hunt warnte vor einer krachenden Niederlage bei den kommenden Parlamentswahlen. Ein ernster und seriöser Führungsstil könnte nach der chaotischen Phase auf der Insel interessant sein. Ein Teil der aktuellen Regierung ist Hunt aber nicht, was den Weg weit machen könnte.
Liz Truss – die britische Außenministerin
Viele Menschen in Großbritannien haben ein Bild im Kopf, wie Truss in einem Panzer sitzt. Damit erinnerte sie an ein ähnliches Foto von Margaret Thatcher, der ersten Premierministerin. Spätestens seit dem Bild weiß man auf der Insel, dass sich die Außenministerin inszenieren kann. Sie gilt als Liebling der konservativen Basis und pflegt ein gutes öffentliches Image. Für Kritik sorgt ihre Freimütigkeit, die sie schon das ein oder andere Mal angreifbar gemacht hat.
Truss war eine überzeugte Brexit-Beführworterin und bekleidete in Johnsons Regierung zunächst zwei Jahre lang das Amt der Außenhandelsministerin. Dann wurde sie zur Außenministerin befördert. Liz Truss gehört sicherlich zu den Favoriten.
Ben Wallace – der Verteidigungsminister
Zu den Favoriten muss man auch den britischen Verteidigungsminister zählen. In jüngsten Umfragen erreichte er die besten Zustimmungswerte aller möglichen Nachfolger. Der 52-Jährige hat seine Popularität im Zuge des Krieges in der Ukraine deutlich steigern können. In Großbritannien gilt der ehemalige Offizier als kompetent und geradlinig. Wegen der Rettung von britischen Staatsbürgern aus Afghanistan und den Waffenlieferungen an die Ukraine steht Wallace hoch im Kurs.
Seit 2016 ist Wallace, der in seiner Zeit bei der Armee auch in Deutschland stationiert war, Staatssekretär im Innenministerium für Sicherheit. 2019 wurde er dann Verteidigungsminister. Er ist ein langjähriger Weggefährte von Johnson und kritisierte diesen nie öffentlich. Er meldete auch nie Ambitionen an, den Parteisitz der Torys übernehmen zu wollen. Gerade diese Herangehensweise könnte ihn nun zum größten Favoriten auf eben jenen machen.
Rishi Sunak – der ehemalige Finanzminister
Er hatte zusammen mit Javid den Stein für die Rücktrittswelle in der britischen Politik ins Rollen gebracht. Schon in den letzten Monaten wurde der ehemalige Finanzminister immer wieder als Favorit auf die Nachfolge von Johnson ins Spiel gebracht. Dann machten ihm allerdings Fragen zu Steuertricks seiner Familie und seinem wohl eindrucksvollen Privatvermögen zu schaffen.
Die Wirtschaftspolitik während der Corona-Pandemie hat Sunak allerdings viele Fans eingebracht. Der 42-Jährige präsentiert sich erfolgreich in den Social-Media-Kanälen und heizte mit dem Rücktritt aus Protest gegen Johnson nun Spekulationen um seine Ambitionen an. Allerdings wurde Sunak wie Johnson wegen Verstößen gegen die Lockdown-Auflagen bestraft und gab für viele Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens während der steigenden Lebenshaltungskosten kein gutes Bild ab.
Sajid Javid – der Ex-Gesundheitsminister
Der ehemalige Investmentbanker trat zusammen mit Sunak aus Protest zurück, was auch seine Ambitionen untermauerte, ein Wort beim Parteivorsitz der Torys mitzureden. Er trat sogar schon zum zweiten Mal zurück, nachdem er 2020 im Streit mit Johnson das Amt des Finanzministers niedergelegt hatte. Zuvor hatte er Johnson lange verteidigt.
Javid ist der Sohn eines Busfahrers aus Pakistan und gehört dem wirtschaftsliberalen Flügel der Konservativen Partei an. Als Gesundheitsminister wurde ihm ein Tweet zum Verhängnis, mit dem er zum Impfen aufrufen wollte, da dieser Corona-Infizierte beleidigte. Auch seine Steuertricks und sein Vermögen waren wie bei Sunak Thema, weswegen Javid kein Top-Favorit sein dürfte.