Dicke, unverputzte Wände. Schwere Türen, fensterlose Räume. Wer die Churchill War Rooms in London besucht, betritt einen Bunker. Besucher durchschreiten ein Labyrinth von Gängen. Hier arbeiteten, aßen und schliefen während des Zweiten Weltkrieges Männer und Frauen, die sich vor den deutschen Bomben in Sicherheit bringen mussten. Vor allem aber erzählt der Ort die Geschichte des ehemaligen Premierministers Winston Churchill. Der Ort diente seiner Regierung als geheimes, unterirdisches Hauptquartier und ist heute ein Museum. Die ungeheure Verantwortung, die damals auf dem Premier gelastet haben muss, kommt nicht nur in den Geschichten zum Ausdruck, die über ihn erzählt werden.
Auf der linken Armlehne seines Holzstuhls im Kabinettssaal sind tiefe Rillen zu sehen. Sie stammen von Churchills Fingernägeln. Ein Blick in die Geschichte zeigt die schwierige Situation des konservativen Premiers in den 1940er Jahren. Nach den großen Verlusten des Ersten Weltkrieges war das Königreich geschwächt. Und als Deutschland zwei Jahrzehnte später den Kontinent mit einem Krieg überzog, waren die Briten kriegsmüde. Doch Churchill motivierte seine Landsleute zum Weiterkämpfen – und spielte so eine wichtige Rolle für den späteren Triumph der Alliierten.
Winston Churchill wurde zur Ikone
Der frühere Premier ist bis heute eine Legende. „Churchill wird als charismatischer Anführer gesehen, der Großbritannien im Krieg zusammenhielt und zum Sieg führte“, sagt die Historikerin Almuth Ebke, die ein Buch über Britishness“ („Britischsein”) geschrieben hat. Sein Bild als charismatischer Redner mit Zigarre sei „zu einem ikonischen Motiv geworden”. Auch Hollywood habe ihn längst zur Heldenfigur überhöht, schreibt die Historikerin Franziska Augstein in ihrer Churchill-Biografie. Er prägte geflügelte Worte, wie den Satz, dass er „außer Blut, Schweiß und Tränen nichts zu bieten habe“.
Übersehen wird oft, dass sein Leben von vielen Widersprüchen geprägt war: Churchill wurde 30. November 1874 in die aristokratische Familie Spencer-Churchill hineingeboren. Als Schüler habe er die Lehrer gegen sich aufgebracht, sei oft einsam gewesen und habe Prügel bezogen. Nach dem Schulabschluss brauchte er mehrere Anläufe, um die Aufnahmeprüfung für die Royal Military Academy in Sandhurst zu bestehen. Danach diente er als Offizier auf mehreren Kontinenten, erhielt Medaillen, schrieb Bücher und arbeitete als Journalist. Ende des 19. Jahrhunderts begann er, sich in seiner Heimat politisch zu engagieren und bekleidete Ministerämter.
Leben voller Brüche, häufig eckte Churchill an
In den 1930er Jahren eckte Churchill mit seiner Kritik an der Appeasement-Politik des damaligen Premiers Neville Chamberlains an. Dieser wollte nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland den Frieden durch internationale Entspannung stabilisieren. Als Chamberlain wegen der erfolglosen Kriegsführung zurücktreten musste, übernahm Churchill.
Seine standhafte Weigerung, sich zu ergeben oder mit den Nazis zu verhandeln, gab der Widerstandsbewegung in Großbritannien Mut – vor allem zu Beginn des Krieges. „Beliebt war er zu fast allen Zeiten bei den wenigsten seiner Parlamentskollegen. Aber an seiner überragenden rhetorischen Begabung kamen weder die Fraktionschefs noch die Premierminister vorbei”, beschreibt ihn die Biografin. Das habe ihm auch geholfen, das Volk zu überzeugen. „Wenn er in der BBC gegen Hitler polemisierte, lachte die Nation.“
Kritik an Winston Churchill: Ein Rassist?
Die Ausstellung in London zeigt, wie sich der Mythos um Churchill im Alltag der Briten niederschlugen. Er wurde als Porzellanfigur dargestellt, es gab Tassen, Spiel- und Postkarten. Dennoch blicken Briten mittlerweile kritischer auf den früheren Premier. Im Jahr 2020 wurde eine Churchills Statue in London beschädigt. „Viele halten den zweimaligen britischen Premierminister für einen Rassisten, Kolonialisten und Imperialisten. Das war er auch“, schreibt Augstein. „Als die britische Regierung, es war in den 1930er Jahren während Churchills Hinterbänklerzeit, Indien ein gewisses Maß an Selbstbestimmung einräumen wollte, hielt er das für einen gedankenlosen Verrat am Empire.” Er sei ein Kind seiner Zeit gewesen und er habe seine Zeit unter anderem damit verbracht, die Zeit aufzuhalten.
Die Ausstellung in den unterirdischen Kabinetträumen in London endet jedoch mit einem Raum, der das Bild Churchills als Nationalheld unterstreicht: Der Besucher erhält einen Blick in sein Schlafzimmer, einen fensterlosen Raum. Auf einem hölzernen Schreibtisch steht ein Mikrofon, mit dem er in Kriegszeiten zu den Briten sprach. Vergessen sind seine Worte bis heute nicht.
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