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Militär: Parlamentswahl in Polen: Ein Land rüstet sich für den Ernstfall

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Parlamentswahl in Polen: Ein Land rüstet sich für den Ernstfall

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    Ein Militärspektakel: Am 15. August, dem Tag der polnischen Streitkräfte, erinnerten Soldaten an den Sieg über Sowjetrussland in der Schlacht von Warschau 1920.
    Ein Militärspektakel: Am 15. August, dem Tag der polnischen Streitkräfte, erinnerten Soldaten an den Sieg über Sowjetrussland in der Schlacht von Warschau 1920. Foto: Czarek Sokolowski, AP/dpa

    In Polen tobt der Wahlkampf. Voraussichtlich am 15. Oktober finden die Wahlen zum Parlament – dem Sejm – statt. Es ist der "schmutzigste Wahlkampf jemals", sagt Dagmara Jajeśniak-Quast, Professorin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, im Gespräch mit unserer Redaktion. Zentrales Thema ist die militärische Aufrüstung. Die nationalkonservative PiS-Regierung nimmt dafür Milliarden in die Hand. Spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist klar: Polen will innerhalb weniger Jahre die schlagkräftigste Armee Europas aufbauen. 

    Damit forciert die aktuelle Regierung einen Kurs, den ihre Vorgänger bereits 2014 eingeschlagen hatten. Vor der russischen Annexion der Krim gab das Land wie viele seiner Bündnispartner weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für seine Verteidigung aus. Mittlerweile liegt Polen bei vier Prozent des BIP, mittelfristig sollen es bis zu fünf Prozent werden. Von den zusätzlichen Milliarden wurde modernes Militärgerät gekauft, so zuletzt Abrams-Panzer vom Nato-Partner USA. Die Truppenstärke soll in den kommenden Jahren auf 300.000 Soldaten beinahe verdoppelt werden. Die fortschreitende Militarisierung schlägt auf die polnische Gesellschaft durch und hat Auswirkungen bis in die Peripherie.

    Polnische Regierung überlegte, Schießtraining in den Lehrplan aufzunehmen

    Abseits der Großstädte, weit im östlichen Hinterland Polens liegt Golubie Wężewskie. In dem Dorf in der Region Ermland-Masuren leben Joanna Dąbrowska-Ospital und Jeff Ospital zwischen weiten Feldern, von Schilf eingerahmten Seen und dem satten Blau des masurischen Horizonts. Das polnisch-französische Ehepaar ist ausgestiegen aus dem großstädtischen Trubel. Noch in den 90er Jahren bauten die beiden das französische Sportunternehmen Decathlon in Polen auf, bis heute arbeiten sie unter anderem als Unternehmensberater, mittlerweile für Nichtregierungsorganisationen. 2009 sind sie nach Golubie Wężewskie gezogen, um das Konzept des Postwachstums zu verwirklichen. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Idee des Wirtschaftswachstums auf Kosten der Natur keine Zukunft hat. Das Ehepaar Ospital versorgt sich weitestgehend selbst.

    Das polnisch-französische Ehepaar Joanna Dąbrowska-Ospital und Jeff Ospital lebt in der entlegenen Region Ermland-Masuren und kritisiert die PiS-Regierung für ihre nationale Politik.
    Das polnisch-französische Ehepaar Joanna Dąbrowska-Ospital und Jeff Ospital lebt in der entlegenen Region Ermland-Masuren und kritisiert die PiS-Regierung für ihre nationale Politik. Foto: Jeff Ospital

    Die Weltpolitik scheint hier fern. Doch nur dreißig Kilometer entfernt liegt die russische Exklave Kaliningrad. "Seit Februar 2022 hat sich vieles verändert", sagt Ospital. "Die Regierung überlegte, ein dauerhaftes Schießtraining für polnische Schüler einzuführen." Der Plan sei vorerst auf Eis gelegt geworden. Bis 2012 hatte es bereits Wehrunterricht an polnischen Schulen gegeben, dann wurde das Fach abgeschafft. Vergangenes Jahr flatterte zudem ein Brief ins Haus der Ospitals. "Für militärische Übungen dürfte die polnische Armee zwei Wochen im Jahr unser Auto konfiszieren", sagt Dąbrowska-Ospital.

    Hintergrund sei die polnische Verfassung, erklärt Jajeśniak-Quast. "Artikel 85 verpflichtet jeden polnischen Bürger dazu, sein Land zu verteidigen." Da spiele die geschichtliche Erfahrung hinein: Die sowjetische Besatzung und die aufgezwungene kommunistische Diktatur seien bei vielen Polen noch sehr präsent. "Da ist Angst in der polnischen Bevölkerung", sagt die Historikerin. Das nutze die PiS-Partei für ihren Wahlkampf. "Es wird nicht nur mit der Angst vor Russland gespielt, auch vor Deutschland." Vergangene Woche behauptete PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski, Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalen Bürgerplattform (PO) wolle das Land Deutschland und Russland unterwerfen. In einem antideutschen Wahlwerbespot verspottete Kaczynski zudem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

    In der Rhetorik agiere die PiS-Partei schärfer als die oppositionelle Koalition unter Führung der PO, sagt Jajeśniak-Quast. Dass die Armee in Polen gestärkt werden müsse, darüber herrsche aber bei allen Parteien Konsens. Das "Gesetz zur Verteidigung des Vaterlandes" sei einstimmig im Sejm beschlossen worden. Das Bedrohungsgefühl in den einzelnen Provinzen unterscheide sich jedoch stark. Im Osten Polens sei der Ukraine-Krieg viel präsenter als im Westen des Landes. "Die Region Ermland-Masuren ist doppelt bedroht. Durch die Exklave Kaliningrad im Norden und Belarus im Osten", sagt Jajeśniak-Quast. 

    Regionale Milizen haben im Osten Polens einen enormen Zulauf

    Das Ehepaar Dąbrowska-Ospital sieht aktuell keine Bedrohung. "Die meisten Menschen in unserem Umfeld sind nicht besorgt von der Situation", sagt Ospital. "Aber es ist im Hinterkopf, die Leute sind sich bewusst, dass der Krieg nicht weit weg ist." Und eines sei deutlich erkennbar: Immer mehr Menschen würden sich für regionale Milizen verpflichten, freiwillige Einheiten, die dem Heimatschutz dienen sollen. Für Ospital eine bedenkliche Entwicklung: "Wir kennen Leute, die jetzt bei den Milizen dabei sind. Es ist traurig, weil die PiS-Partei Ängste einiger Menschen instrumentalisiert, nicht nur vor Russland. Auch vor Migranten im Allgemeinen. Es hat den üblen Geruch von Nationalismus und Rassismus."

    Regionale Militäreinheiten gebe es aber auch in anderen europäischen Ländern, sagt Jajeśniak-Quast. Der Zulauf sei stark, gerade in den wirtschaftlich schwachen Gebieten in Ostpolen. Die Region Ermland-Masuren fällt in Polen unter die Kategorie "Polska B". Die Gehälter der Bewohner sind durchschnittlich rund 30 Prozent niedriger als in westlichen Provinzen des Landes. Lockt nun jemand mit Geld und Prestige, sei das für viele ein Grund beizutreten, so die Historikerin. Und ein wichtiger Faktor komme noch hinzu: "Die regionalen Einheiten stärken den Gedanken des Zusammenhalts."

    Aktuelle Umfragen zeigen kein eindeutiges Bild, wer bei der Parlamentswahl das Rennen machen wird. Joanna Dąbrowska-Ospital wird wählen gehen. Sie unterstützt die Oppositionsparteien und hofft auf eine Ablösung der nationalkonservativen Regierung.

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