Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Migration: Wie es zu den Abschiebungen nach Afghanistan kam

Migration

Wie es zu den Abschiebungen nach Afghanistan kam

    • |
    • |
    Vom Flughafen Leipzig aus ging der Flug direkt nach Kabul.
    Vom Flughafen Leipzig aus ging der Flug direkt nach Kabul. Foto: Jan Woitas, dpa

    Es gab beim Blick auf Afghanistan schon andere Zeiten. Im August 2021 etwa, als sich viele Staaten aus dem Land am Hindukusch zurückgezogen und die Taliban wieder die Macht übernommen hatten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fasste die Lage damals so zusammen: „Die Bilder der Verzweiflung am Flughafen in Kabul sind beschämend für den politischen Westen.“ Die Fluchtbewegungen nach Deutschland verstärkten sich. Es kamen viele, die wirklich Hilfe brauchten. Und es kamen einige, die sich widerrechtlich Sozialleistungen verschafften und auf die deutsche Hilfsbereitschaft mit Straftaten regierten. Während es lange hieß, eine Abschiebung nach Afghanistan sei nicht möglich, gab die Bundesregierung am Freitag plötzlich 28 Rückführungen bekannt. Hier ein Überblick über das Geschehen:

    Wann ging es los?

    Die Debatte nahm bereits im Juni ihren Anfang. Nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim hielt Bundeskanzler Olaf Scholz eine Rede im Bundestag und erklärte: „Solche Straftäter gehören abgeschoben - auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen.“ Darüber verhandele das Innenministerium mit den Nachbarländern Afghanistans, ergänzte der SPD-Politiker. Hintergrund ist, dass es keine direkten Beziehungen Deutschlands zu Afghanistan gibt. Die wären aber nötig, um über Abschiebungen zu verhandeln. Die Botschaft in Kabul ist aber seit dem 15. August 2021 bis auf Weiteres geschlossen, die Bundesregierung hat erkennt die Taliban-Regierung nicht an. Die Abschiebungen mussten also auf anderem Wege organisiert werden.

    Wer hat vermittelt?

    Die Regierung, allen voran das Kanzleramt, setzte auf die Unterstützung anderer Länder in der Region. Sie spricht lediglich von „Schlüsselmächten“, will keine Namen nennen. Übliche Partner bei solchen Konflikten sind Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate. In diesem Fall vermittelte Katar federführend. Zum Einsatz kam ein Charterjet von Qatar Airways, der auf dem Tracking-Portal Flightradar zu verfolgen war und demnach am Nachmittag (Ortszeit) in Kabul landete. Die Grünen-Abgeordnete Kaddor sagte, in der Sitzung des Innenausschusses sei berichtet worden, dass kein Bundespolizist wie auch generell keine Vertreter deutscher Behörden an Bord gewesen seien. Stattdessen hätten Angehörige katarischer Behörden den Flug organisiert und für dessen Sicherheit gesorgt. Das Vorgehen könnte nun auch eine Blaupause für künftige Abschiebungen nach Afghanistan und möglicherweise auch Syrien sein. 

    Wie lief die Abschiebung ab?

    28 Männer wurden vom Leipziger Flughafen aus mit einer Chartermaschine der Fluggesellschaft Qatar Airways nach Kabul geflogen. Eigentlich hätten noch fünf weitere Menschen - also insgesamt 33 - abgeschoben werden sollen, wie Abgeordnete berichteten. Zwei der zur Abschiebung Vorgesehenen seien am Morgen nicht angetroffen worden, sagte der FDP-Parlamentarier Manuel Höferlin. Drei weitere seien von den Landesjustizbehörden nicht für die Abschiebung freigegeben worden, weil sie aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch keinen ausreichenden Teil ihrer Haft hierzulande verbüßt hätten. Am Flughafen waren nach Angaben des Innenministeriums ein Dolmetscher und ein Arzt, beide flogen aber offenbar nicht mit. Die 28 Afghanen waren in Deutschland alle zu schweren Straftaten verurteilt worden, hatten hier kein Bleiberecht mehr, gegen sie lag eine gültige Ausweisungsbefugnis vor. Eine Sprecherin des niedersächsischen Innenministeriums bestätigte, dass fünf Männer, die aus Niedersachsen abgeschoben wurden, jeweils 1.000 Euro Handgeld bekamen. Ihren Informationen zufolge hatten sich alle beteiligten Bundesländer auf diesen Betrag geeinigt. Das Geld solle reichen, um sechs bis neun Monate den Lebensunterhalt in Afghanistan bestreiten zu können, erklärte sie. Deutschland zahlt auch freiwilligen Rückkehrern Geld, die ihren Asylwunsch wieder fallen lassen, zur Wiedereingliederung im Herkunftsland. Für das entsprechende Programm „Reag/Garp“ gaben Bund und Länder 2022 nach Angaben des Bundesinnenministeriums 17,5 und im vergangenen Jahr 21,5 Millionen Euro aus.

    Geht es weiter mit den Abschiebungen?

    Konkrete Vorhaben für weitere Abschiebeflüge nach Kabul gibt es offenbar nicht. „Inwieweit so etwas häufiger passieren kann, muss sich weisen“, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Wichtig sei, dass jetzt ein Signal gegeben worden sei, dieses richte sich auch „an mögliche Straftäter oder Menschen, die Straftaten planen hier in diesem Land.“ Auch der Migrationsexperte Raphael Bossang erklärt: „Die Anzahl der Fälle wird relativ begrenzt bleiben und erfordert immer eingehende Einzelfallentscheidungen.“ Rund 250.000 Afghaninnen und Afghanen hätten einen Schutzstatus in Deutschland, über 50.00 durchlaufen gerade Verfahren, nur rund 13.000 haben keine Aufenthaltserlaubnis. „Und auch bei denen gelten immer in der Regel noch diverse Gründe für ein Abschiebeverbot“, sagt Bossang. „Der aktuelle Flug ist also durchaus ein Signal und kann diverse Folgemaßnahmen nach sich ziehen, es wird aber letztlich eine kleinere Zahl von Abschiebungen bleiben.“

    Wird bald auch nach Syrien abgeschoben?

    Abschiebungen nach Syrien, wie sie Scholz in seiner Rede Anfang Juni erwähnt hat, stehen aktuell nicht an. „Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich ihnen da nichts in Aussicht stellen“, sagte Regierungssprecher Hebestreit. Tatsächlich sei die Lage hier noch komplizierter, erklärt auch der Migrationsexperte Bosang. „Eine Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten ist aktuell kaum denkbar“, sagt er. „Vielmehr wollen wir ja eigentlich, dass die entscheidenden Nachbarschaftsstaaten - Libanon, Türkei, Jordanien, Irak - ihrerseits nicht noch mehr dazu übergehen, dorthin geflüchtete Syrer zwangsweise abzuschieben.“

    Was passiert mit den Abgeschobenen?

    Unter den Abgeschobenen sind Sexualstraftäter. Nicht erst seit dem Beginn der Talibanherrschaft stehen Sexualdelikte in Afghanistan unter Todesstrafe. Müssen die Abgeschobenen also mit einer Verhaftung oder dem Tod durch Erschießen rechnen? Nach Angaben der Regierung nicht. Es seien „Vorkehrungen getroffen worden“, dass den Männern vor Ort nicht solch ein Schicksal drohe, sagte Hebestreit. Auch Scholz sagt: „Bei allem, was wir tun, achten wir unsere Verfassung. Klar ist aber, dass jemand, der bei uns eine schwere Straftat begeht, nicht den gleichen Schutz genießen kann wie jemand, der sich anständig verhält.“ Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, ist dennoch alarmiert: „Menschenrechte haben wir alle - und niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo Folter droht.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden