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Lesetipp: Warum scheitern Abschiebungen so häufig? Sieben Fakten zur Asyl-Politik

Lesetipp

Warum scheitern Abschiebungen so häufig? Sieben Fakten zur Asyl-Politik

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    Immer wieder wird die Forderung laut, abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben. Doch nicht immer liegt die Schuld bei der Bundesregierung.
    Immer wieder wird die Forderung laut, abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben. Doch nicht immer liegt die Schuld bei der Bundesregierung. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Es war das politische Mantra der vergangenen Jahre, ein Versprechen an die Gesellschaft: „2015 darf sich nicht wiederholen.“ Doch acht Jahre später scheint genau das zu passieren. Der Zuzug von Migranten ist wieder angewachsen. Die Städte und Gemeinden fühlen sich überfordert und rufen lauthals nach Abschiebungen. Doch das Thema ist komplex, Schuldzuweisungen nicht immer einfach. Sieben Fakten zum Thema. 

    Die steigende Zahl der Asylbewerber belastet die Kommunen.
    Die steigende Zahl der Asylbewerber belastet die Kommunen. Foto: Henning Kaiser
    1. Die Zahl der Migranten steigt wieder: Die Corona-Pandemie mit ihren vielen verschlossenen Grenzen hat in den vergangenen Jahren zumindest den flüchtigen Eindruck vermitteln können, dass die weltweiten Fluchtbewegungen ausgebremst wurden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Dafür sorgen schon die Taliban, Baschar al-Assad und Wladimir Putin. Noch nie seit 1949 hat Deutschland so viele Flüchtlinge aufgenommen wie 2022 – allein eine Million Menschen aus der Ukraine suchten hierzulande nach einer neuen Heimat auf Zeit. Allerdings tauchen die Ukrainer in den Asylstatistiken nicht auf, sie haben einen Sonderstatus, müssen kein Asyl beantragen. Nach Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge stellten vergangenes Jahr 217.774 Menschen in Deutschland einen Asylantrag – 47 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die meisten kamen aus Syrien (70.976), Afghanistan (36.358), der Türkei (23.938), Irak (15.175) und Georgien (7963).

    2. Pflicht zur Ausreise: Blickt man allein auf die Statistik, erscheint das Mittel Abschiebung als gewaltiger Hebel beim Thema Migration: Stand 31. Dezember befanden sich laut Ausländerzentralregister insgesamt 304.308 vollziehbar ausreisepflichtige Menschen in Deutschland: Davon besaßen allerdings 248.145 Personen eine Duldung. Geduldete bleiben ausreisepflichtig, dürfen aber vorübergehend bleiben, weil sie nicht abgeschoben werden können, etwa weil sie keine Ausweisdokumente haben oder eine Krankheit. Doch auch von denen, die abgeschoben werden könnten, wurde nur ein geringer Teil tatsächlich in die Heimat zurückgebracht: Abgeschoben wurden im Jahr 2022 13.000 Menschen. Im vergangenen Jahr wurden zudem 5149 Menschen zurückgeschoben. Von Zurückschiebungen spricht man, wenn Menschen, die unerlaubt nach Deutschland gekommen sind, kurz nach ihrer Einreise in ihr Herkunftsland oder in ein EU-Land, das zuständig ist, zurückgebracht werden.

    3. Unwillige Herkunftsländer: Nimmt man die fünf Länder, aus denen die meisten Flüchtlinge nach Deutschland kommen, dann fällt auf: In mindestens drei davon werden aktuell gar keine Abschiebungen vorgenommen. Mit Syrien und Afghanistan unterhält Deutschland gar keine diplomatischen Beziehungen, zwischenstaatliche Absprachen sind hier nicht möglich. Der Irak, mit dessen Regierung Berlin in Kontakt steht, weigert sich, in vielen Fällen, die eigenen Landsleute zurückzunehmen, macht immer neue, variierende Vorgaben, genauso sieht es in Somalia aus. Die Liste lässt sich auf viele weitere Länder erweitern: Seit einem Putsch wurden Abschiebungen nach Guinea faktisch eingestellt. Von 6500 ausreisepflichtigen Gambiern werden nur 150 pro Jahr tatsächlich abgeschoben, weil sich das Land in vielen Fällen weigert, seine Landsleute zurückzunehmen. Anders sieht es mit Georgien aus: Das Land profitiert von der EU und ist deshalb gewillt, sich mit Deutschland gutzustellen und seine geflüchteten Bürger wieder aufzunehmen. Nach Georgien gab es 2021 knapp über 1000 Abschiebungen. Fakt ist aber: Ohne Zustimmung des Heimatlandes kann kein Ausreisepflichtiger abgeschoben werden. Die Gründe, warum Herkunftsländer sich verweigern, sind vielfältig. Nur zwei Beispiele: Die Rücküberweisungen von Flüchtlingen machen in vielen Ländern einen wichtigen finanziellen Beitrag aus. Sollen kriminelle Ausländer abgeschoben werden, ist das Interesse, die aufzunehmen, gering.



    4. Fehlende Papiere: Unwillige Herkunftsländer sind das eine Problem, fehlende Papiere das andere. In Berlin ist bei fast jedem zehnten Ausreisepflichtigen mit abgelehntem Asylantrag das Herkunftsland unbekannt. Die mit Wohnsitz Berlin im Ausländerzentralregister erfassten Menschen mit ungeklärter Identität bilden mit rund 9,3 Prozent die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von Menschen aus dem Irak sowie Ausreisepflichtigen aus der Russischen Föderation und aus Georgien. 4.569 ausreisepflichtige Personen in Bayern haben eine Duldung wegen ungeklärter Identität. Laut Statistischem Bundesamt hat sich die Zahl der als staatenlos registrierten Menschen in Deutschland seit 2014 verdoppelt. „Die Ursachen für Staatenlosigkeit sind vielfältig. Der Nachweis einer Staatsangehörigkeit ist mit dem Besitz eines offiziellen Dokuments in Form eines Ausweises oder einer Geburtsurkunde verbunden. Fehlen einer Person solche offiziellen Dokumente, kann dies ein Grund für Staatenlosigkeit sein“, schreiben die Statistiker. Genau dies führen auch die Heimatländer häufig als Grund an, warum sie Rückführungen verweigern. Die Flüchtlinge geben an, keinen Pass zu haben. Die zuständige Ausländerbehörde muss sich um Ersatzpapiere bemühen. „Diese werden in der Regel von den Behörden des Herkunftslandes nur dann ausgestellt, wenn die Identität und Staatsangehörigkeit der betroffenen Person eindeutig festgestellt werden kann“, heißt es im bayerischen Innenministerium.

    5. Migrationsabkommen: Für Abschiebungen an sich sind die Bundesländer zuständig, doch deren Mittel sind bisweilen beschränkt. Um die Rahmenbedingungen muss sich der Bund kümmern. Der neue Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), soll deshalb verstärkt dafür sorgen, dass Herkunftsländer Abschiebungen nicht verzögern oder sabotieren. Doch sein Job ist alles andere als einfach. Er verweist auf Afghanistan und Syrien, zwei Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern, und sagt: „Sie können ja mit den Taliban keine Migrationspartnerschaft machen und mit Assad sowieso nicht.“ Rücknahmeabkommen wurden bereits abgeschlossen mit Ländern wie etwa Marokko oder Vietnam, viele „Sorgenkinder“ sucht man auf der Liste aber vergeblich. Nicht viel leichter dürfte sein zweiter Plan werden: Stamp plant die Verlagerung von Asylverfahren ins Ausland. Das solle unter Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention geschehen. „Dann würden auf dem Mittelmeer gerettete Menschen für ihre Verfahren nach Nordafrika gebracht werden“, sagt Stamp. Das erfordere aber sehr viel Diplomatie und einen langen Vorlauf. Es sei klar, dass etwa ein Land wie Libyen in seinem derzeitigen Zustand dafür kein Partner sein könne. Pläne, die Asylverfahren auszulagern, verfolgt derzeit auch Großbritannien. Migranten, die über den Ärmelkanal ins Land kommen, sollen so schnell wie möglich nach Ruanda ausgeflogen werden, wo ihr Asylantrag bearbeitet werden soll. In der EU stößt das auf breite Kritik.

    6. Falsche Erwartungen: Gerald Knaus gilt als einer der angesehensten Experten in der Migrationspolitik. In einem Gastbeitrag für Die Zeit warnt er: „Selbst eine Verfünffachung der Abschiebungen in diese wichtigsten Asylantragsländer wären nur wenige tausend Menschen im Jahr. Dies würde angesichts der großen Zahl jener, die 2022 vor allem aus der Ukraine in Deutschland Schutz erhielten, deutsche Kommunen bei der Aufnahme kaum entlasten. Wer dies verspricht, blendet.“ Auch im bayerischen Innenministerium warnt man vor zu hohen Erwartungen. „Erst nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens werden die Personen ausreisepflichtig“, sagt ein Sprecher. „Erst dann beginnen bei bestehender Ausreisepflicht die Bemühungen zur Beendigung des Aufenthalts, zunächst mit dem Ziel einer freiwilligen Rückkehr, notfalls aber auch im Wege einer Rückführung.“ Der Prozess könne sich über Jahre ziehen.

    7. Problemfall Italien: Es sind nicht nur Länder in Nordafrika oder in Südosteuropa, die sich querstellen. Auch innerhalb der Europäischen Union gibt es Sorgenkinder. Derzeit ziehen viele Migranten von den Außengrenzstaaten wie Italien und Griechenland weiter in Länder wie Deutschland, Österreich oder die Niederlande. Das widerspricht eigentlich den Dublin-Regeln. Die besagen, dass Menschen in dem Land Asyl beantragen müssen, das sie zuerst betreten. Ist also ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren eines Antragstellers zuständig, kann der Schutzsuchende dorthin zurückgeschickt werden. Theoretisch. Praktisch klappt das häufig nicht, vor allem bei Italien. Derzeit müssten 9000 Migranten aus Deutschland nach Italien zurück. Das Land fühlt sich ohnehin heillos überfordert. Versprechen, dass Migranten besser in ganz Europa verteilt werden, werden seit Jahren nicht eingehalten. Ein Beispiel dafür ist ein im Juni 2022 beschlossener Mechanismus, der damals als Erfolg galt: Demnach wollen 13 Staaten innerhalb eines Jahres 8000 Asylbewerber aus Italien und anderen Außengrenzstaaten aufnehmen. Tatsächlich sind es bislang nur einige hundert – von ihnen hat Deutschland den Löwenanteil übernommen.
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