Bei den Hauptamtlichen in Landkreisen, Städten und Gemeinden schrillen die Alarmglocken. „Deutschland ist derzeit Zielland für eine in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beispiellos hohe Zahl von Schutzsuchenden“, heißt es in einem Papier des Deutschen Landkreistages. 2022 wurden demnach 218.000 Asylerstanträge gestellt, in den ersten fünf Monaten dieses Jahres weitere 125.566. „Setzt sich diese Entwicklung fort, könnten es am Jahresende 400.000 und mehr Erstanträge sein.“ Hinzu kommen rund 1,1 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, heißt es weiter beim Landkreistag, der in dieser Situation nur einen Ausweg sieht: „Begrenzung und Steuerung der Fluchtmigration.“ Der Landkreistag Baden-Württemberg hat vor diesem Hintergrund eine Forderung erhoben, die bundesweit für Aufsehen sorgt.
In einer einstimmig verabschiedeten Resolution fordern die baden-württembergischen Landrätinnen und Landräte „weitreichende Maßnahmen“ und zählen dazu „eine über die bisherigen Regelungen und Umsetzungsformate hinausgehende Verpflichtung Schutzsuchender zur Annahme von auch gemeinnütziger Arbeit“. Mit anderen Worten: Wer ins Land kommt und staatlichen Leistungen bezieht, soll dafür arbeiten.
CSU-Landesgruppenchef Dobrindt plädiert für Leistungskürzungen
Aus der Politik gab es für den Vorstoß teilweise Zustimmung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der Bild-Zeitung, er wolle Zahlungen an eine „Mitwirkungspflicht“ knüpfen. „Ein Angebot zur Arbeit muss dabei Teil der Integrationsleistung sein. Wenn dieses Angebot nicht angenommen wird, muss es Leistungskürzungen geben“, erklärte er. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Stephan Thomae sagte der Zeitung, Migration müsse so geordnet und gesteuert werden, „dass es keine Einwanderung in die Sozialsysteme, sondern in den deutschen Arbeitsmarkt gibt“. Wer sich nicht anstrenge, müsse Deutschland wieder verlassen.
Caritas und Diakonie in Baden-Württemberg wiesen den Vorstoß in einer gemeinsamen Erklärung zurück, da er „am eigentlichen Problem vorbeigehe: Statt immer neue Beschränkungen und Verpflichtungen zu fordern, müssten die bestehenden Hürden abgebaut werden, damit Geflüchtete eine Arbeit oder Ausbildung aufnehmen können.“ Demnach fehlt es beispielsweise an Angeboten für Sprachkurse. So habe, erklären die beiden Organisationen, derzeit nicht einmal jede zweite aus der Ukraine geflüchtete Person einen Sprachkurs angeboten bekommen. Und: Anerkennungsverfahren für berufliche Abschlüsse selbst in Mangelberufen dauerten mindestens ein Jahr, eher länger.
Englisch reicht oft nicht: Sprache ist große Hürde
Auf diese beiden Punkte wird auch in Regierungskreisen in Berlin verwiesen, wenn es um die Frage nach einer Arbeitspflicht für Geflüchtete geht. Offiziell halten sich die Ministerien bedeckt. Äußerungen aus dem politischen beziehungsweise parlamentarischen Raum kommentiere man nicht, heißt es. Deutlich wird aber, dass eine Arbeitspflicht nur um der reinen Beschäftigung wegen als nicht zielführend empfunden wird. Da ist einerseits die Sprachbarriere: Viele Flüchtlinge können zwar Englisch, hierzulande wird aber überwiegend und im Gegensatz zu anderen Ländern meist Deutsch gesprochen. Ein Argument, das offenbar auch der Landkreistag Baden-Württemberg anerkennt. Denn er ergänzt seine Forderung nach einer Arbeitspflicht mit dem Hinweis, dass „dies sinnvollerweise durch geeignete Angebote zum weiteren Spracherwerb flankiert werden sollte“.
Die Bundesregierung hat noch einen weiteren Punkt: Wenn besonders qualifizierte Flüchtlinge, Ärztinnen und Ingenieure beispielsweise, zu einfachen Arbeiten herangezogen werden, stehen sie dem Arbeitsmarkt als Fachkraft nicht zur Verfügung.
Caritas und Diakonie: Schutzsuchende wollen schnell selbstständig werden und arbeiten
Caritas und Diakonie wissen aus ihrer täglichen Arbeit, dass viele der Schutzsuchenden „schnell selbstständig werden und arbeiten“ wollen. „Diese nun zur Arbeit zu verpflichten, gehe an der Realität vorbei und ignoriere das eigentliche Problem“, erklären die beiden Organisationen, die „mehr Sachlichkeit in dieser Sommerloch-Debatte“ anmahnen.
In der Tat ist die Arbeitspflicht nur ein Randaspekt in einem umfangreichen Forderungskatalog aller Landkreise. Sie wollen vor allem mehr Geld vom Bund, unter anderem durch eine „auf Dauer angelegte Übernahme der flüchtlingsbedingten Kosten der Unterkunft“. Sowie eine „spürbare Begrenzung“ des Zuzugs von Asylsuchenden nach Deutschland. Umgesetzt werden soll das durch die Einrichtung sogenannter Transitzentren, der „gerechteren europaweiten Verteilung“ von Ukraine-Flüchtlinge, aber auch durch „bauliche Grenzanlagen beispielsweise an der bulgarischen Grenze“.