Vor dem Bund-Länder-Gipfel werden vor allem aus der Union die Forderungen nach Lösungen in der Migrationspolitik lauter. "Wir haben keine Zeit mehr für einen weiteren Schlingerkurs", sagte Klaus Holetschek, CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, unserer Redaktion. Der massive Zustrom von Flüchtlingen sei sozialer Sprengstoff. "Die Kommunen können das nicht länger bewältigen. Sie agieren längst jenseits der Belastungs- und Integrationsgrenze." Und mit Blick auf die Ampelregierung: Wenn sie "es nicht schafft, dieses zentrale Problem zu lösen, dann ist sie handlungsunfähig und muss die Konsequenzen ziehen". Aus seiner Sicht können das nur Neuwahlen sein.
Holetschek sagt: "Wir brauchen endlich Sachleistungen statt Geld"
Die Bundesländer wollen am Montag mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) verhandeln, wie die unkontrollierte Zuwanderung begrenzt werden kann. Bereits an diesem Freitag kommt Scholz mit CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zusammen. Auch Merz ist mit den jüngsten Maßnahmen der Ampelregierung nicht zufrieden. Dass die Regierung ein Paket für konsequentere Abschiebungen beschlossen hat und Maßnahmen auf den Weg gebracht hat, damit Asylbewerber schneller arbeiten könnten, sei nicht mehr als "kleine Retuschen".
Holetschek wiederum fordert von Scholz mehr Geschwindigkeit bei der Bearbeitung von Asylverfahren und konsequente Zurückweisungen an den Grenzen. "Und wir brauchen endlich Sachleistungen statt Geld." Auch der Donau-Rieser Landrat Stefan Rößle spricht sich dafür aus, die Leistungen für Flüchtlinge zu reduzieren. "Wenn wir in Deutschland Standards haben, die höher sind als in anderen Ländern, führt das dazu, dass sich Flüchtlinge speziell Deutschland als Ziel aussuchen." Der CSU-Politiker betont, dass dieser Flüchtlingsgipfel Ergebnisse liefern müsse.
Tatsächlich reißt der Zustrom an Migranten nicht ab. In den ersten neun Monaten 2023 haben in Deutschland mehr als 250.000 Menschen einen Asylantrag gestellt – 73 Prozent mehr als im Jahr davor. Im Ankerzentrum Schwaben kamen in diesem Jahr bislang rund 12.000 Flüchtlinge an. Das entspricht einem Plus von 70 Prozent. Allein im September wurden dort fast 2000 Menschen aufgenommen, im Juni waren es noch gut 600. Damit steigt auch der Druck auf die Kommunen. Denn die Regierung von Schwaben verteilt die Geflüchteten weiter auf die Landkreise und kreisfreien Städte. Pro Woche sind das 400 bis 500 Menschen. Der Landkreis Donau-Ries etwa muss jede Woche 30 Flüchtlinge aufnehmen – und das, obwohl er die festgelegten Aufnahmequoten erfüllt. Landrat Rößle sagt: "In diesem Tempo können wir das, ebenso wie andere Landkreise, nicht schultern."
Die meisten Flüchtlinge kommen derzeit aus der Türkei
Dass die Flüchtlingszahlen in der Region so hoch sind, hat auch damit zu tun, dass Schwaben seit Januar zentrale Anlaufstelle für Ukraine-Flüchtlinge war. 7700 Schutzsuchende aus dem Kriegsland wurden seither aufgenommen. Nun, da Schwaben seine Quote erfüllt hat, muss Unterfranken die Ukraine-Flüchtlinge aufnehmen. Dass sich die Lage in der Region deswegen entspannt, glauben Verantwortliche nicht. Zu hoch ist der Zustrom aus anderen Ländern.
Die meisten Flüchtlinge kamen zuletzt aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Allein die Zahl der Türkinnen und Türken, die in diesem Jahr in Deutschland Asyl beantragt haben, hat sich mehr als verdreifacht. Auch in Schwaben stammen 54 Prozent der Flüchtlinge aktuell aus der Türkei. Migrationsforscher Franck Düvell von der Universität Osnabrück nennt vor allem den desolaten Zustand, den es auf verschiedenen Ebenen in der Türkei gebe, als Grund für die Fluchtbewegung: Die Demokratie werde immer mehr abgebaut, Meinungs- und wissenschaftliche Freiheit zunehmend eingeschränkt und das Land befinde sich zusätzlich in einer wirtschaftlichen Krise. "Viele hatten bis zu den Wahlen noch Hoffnung und sind jetzt desillusioniert", fasst Düvell die Lage zusammen. Erdogans AKP hatte die Präsidentenwahl im Mai ein weiteres Mal gewonnen.
Dass generell so viele Geflüchtete in letzter Zeit nach Europa kamen, führt der Migrationsforscher vor allem darauf zurück, dass Griechenland seit Ende Juni, Anfang Juli 2023 mit den illegalen Pushbacks aufgehört habe. Von einem Pushback spricht man, wenn Geflüchtete – meist direkt an der Grenze – daran gehindert werden, ein Land zu betreten und demnach auch einen Asylantrag zu stellen. Mittlerweile gebe es laut Düvell allerdings Berichte, dass Griechenland mit dieser Praxis wieder angefangen habe. Deswegen und da wetterbedingt ab Oktober und November ohnehin erfahrungsgemäß weniger Geflüchtete nach Europa kommen, rechnet Düvell mit einem Rückgang der Zahlen diesen Winter. Eine von mehreren großen Unbekannten sei allerdings zum Beispiel, was mit den Menschen in Gaza passiere.