Anna will weg aus Ghana, wohin, das hat die Wirtschaftsstudentin noch nicht entschieden. "Es gibt hier einfach zu wenig Jobs für zu viele oft gut ausgebildete junge Leute", sagt sie. Etwa 70 Prozent ihrer Freundinnen und Freunde, so schätzt sie, sind schon ausgewandert. Die meisten nach Großbritannien, Kanada oder in die USA, denn Englisch ist in Ghana Amtssprache, das mache es natürlich leichter. Auch wegen der Sprachbarriere stehe Deutschland nicht ganz oben auf der Wunschliste der Ziel-Länder. Trotzdem ist Anna, 31, an diesem drückenden heißen Abend in ein von einer brummenden Klimaanlage heruntergekühltes Zweckgebäude in der Hauptstadt Accra gekommen.
Svenja Schulze und Hubertus Heil sind in Ghana
Sie möchte herausfinden, welche Möglichkeiten sich ihr in der fernen Bundesrepublik bieten. Die deutsche Industrie- und Handelskammer etwa informiert dort an einem Stand über gesuchte Berufe, es gibt Auskünfte über Einreisemöglichkeiten, Weiterbildungsprogramme, Sprachkurse und Stipendien. Peter, ein junger Straßenbauingenieur, der von der "Autobahn" schwärmt, hat sich mit Broschüren eingedeckt.
Schon seit 2017 gibt es das deutsch-ghanaische Beratungszentrum, es steht für jahrzehntelange gute Beziehungen zwischen Deutschland und der ehemaligen britischen Kolonie. Ghana gilt als stabile Demokratie und wirtschaftlich im Vergleich zu vielen Nachbarländern gut entwickelt, auch wenn im Moment eine Inflation von mehr als 50 Prozent den Alltag vieler Menschen überschattet. Zur Einweihung hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das 33-Millionen-Einwohner-Land besucht.
Rücküberweisungen sind Wirtschaftsfaktor
Sollte es anfangs eher darum gehen, Menschen Perspektiven in der Heimat aufzuzeigen, um sie von einer gefährlichen Flucht nach Europa abzuhalten, ändern sich nun die Vorzeichen. Künftig steht das Ziel im Mittelpunkt, Fach- und Arbeitskräfte davon zu überzeugen, nach Deutschland zu kommen. Gleich zwei deutsche Regierungsmitglieder sind angereist, um eine entsprechende Vereinbarung mit der ghanaischen Regierung zu unterzeichnen.
Aus der bisherigen Einbahnstraße, sagt Entwicklungsministerin Svenja Schulze, solle eine Zweibahnstraße werden. "Richtig gesteuert birgt Migration enormes Potenzial für die wirtschaftliche Entwicklung in unseren Partnerländern, aber auch bei uns", erklärt die SPD-Politikerin. Das Thema ist heikel: Schulze will gegenüber den Partnern in der ghanaischen Regierung den Eindruck vermeiden, es gehe den Deutschen Gästen nur darum, die klügsten Köpfe abzuwerben. Die Ministerin spricht vom "fairen Austausch", von dem alle etwas haben: Das aufnehmende Land, das helfende Hände bekommt, das Ursprungsland, das nur einen Teil seiner jungen Menschen Arbeit bieten kann. Allen Beteiligten ist klar, dass sogenannte Rücküberweisungen – gemeint ist der Transfer von Einkommen ins Heimatland – schon seit langem einen wichtigen Wirtschaftsfaktor bilden. Die Migrantinnen und Migranten selbst wiederum profitieren davon, dass legale und sichere Wege der Zuwanderung geschaffen werden.
Heil wünscht sich Fachkräfte für Deutschland
Schulzes Parteifreund und Kabinettskollege Hubertus Heil verweist auf den Arbeits- und Fachkräftemangel, der viele Bereiche der deutschen Wirtschaft schon jetzt betrifft und künftig immer stärker zu lähmen droht. Außerdem ist da das enorme Gefälle im Durchschnittsalter: 19 Jahre in Ghana, 49 Jahre in Deutschland. Der Bundesarbeitsminister ist überzeugt, dass darin eine riesige Chance liegt. "Fachkräftesicherung ist Wohlstandssicherung für unser Land. Wir müssen alle Register im In- und Ausland ziehen, um qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen", sagt er.
Das von der Ampel geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz werde das "modernste Einwanderungsrecht in Europa", glaubt Heil. Europa soll aber in der ursprünglich deutsch-ghanaischen Kooperation eine stärkere Rolle spielen. Die Einrichtung in Accra heißt deshalb künftig "Ghanaisch-Europäisches Zentrum für Jobs, Migration und Entwicklung" und will Beratungen auch zur Einwanderung in andere europäische Länder anbieten.
Weitere solche Zentren will die Bundesregierung in Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Nigeria, Irak, Indonesien und Pakistan schaffen. Im Etat des Entwicklungsministeriums sind dafür 15 Millionen Euro eingeplant. Vorgesehen ist aber auch weiterhin, dass die Zentren Beratung für Migranten anbieten, die – ob freiwillig oder unfreiwillig – aus Europa zurückkehren.
Auf den Spuren von Sammy Kuffour
Faida Boye etwa war vor einigen Jahren nach Ghana heimgekommen, jetzt steht der 27-Jährige im Beratungszentrum in Accra und erzählt seine Geschichte. Wie viele seiner Fußball-verrückten Landsleute hatte er davon geträumt, in Europa Profi zu werden, es Stars wie Abedi Pele, Anthony Yeboah oder Sammy Kuffour nachzutun. Er probierte es in Norwegen und Dänemark, landete in Deutschland beim FC Neubrandenburg in der Verbandsliga. Der große Durchbruch gelang nicht und schließlich beendete die Ausländerbehörde das Abenteuer.
Zurück in Ghana, half ihm das Zentrum dabei, sich eine Existenz als Bäcker aufzubauen. Heute laufe das Geschäft prächtig, vier Mitarbeiter habe er schon angestellt, sagt er. Für diesen wichtigen Abend mit dem Ministerbesuch hat er den Auftrag für die Verpflegung bekommen, er reicht mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen und frischen Ananassaft. Bald, so erzählt er stolz, möchte er seine zweite Filiale aufmachen. Seine Zukunft sieht er jetzt in Ghana, anders als Anna, die Studentin. Ob ihr Weg sie nach Deutschland führen wird, ist auch nach ihrem Besuch im Beratungszentrum offen. Entschieden hat sie sich aber für schon mal für einen Deutschkurs. Und danach? "Wer weiß", sagt sie.