Maria Malmer Stenergard wirkte beinahe nervös, als sie an diesem sonnigen Donnerstagmorgen im Tagungszentrum auf dem Luxemburger Kirchberg eintraf. Sie ist Schwedens Innenministerin und da das Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, lag es in ihrer Hand, dieses Treffen zu einem Erfolg zu führen. Nichts weniger als einen Durchbruch bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wollte sie erzielen. Und am Ende kam es tatsächlich zu einer Einigung. Die 27 EU-Innenminister vereinbarten nach einem langen Tag schwieriger Verhandlungen eine deutliche Verschärfung der Regeln, wobei das EU-Parlament nun an der Reihe ist.
Noch am Vormittag hatte Malmer Stenergard ihre Amtskollegen beschworen: „Wir sind so nah dran, dass es keinen akzeptablen Grund gibt, die letzte Meile nicht zu gehen.“ Bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser war der Optimismus dagegen zu jenem Zeitpunkt noch mit Vorsicht versehen. „Es könnte eine Chance auf Einigung geben, aber nicht um jeden Preis“, hatte die SPD-Politikerin gesagt. Schlussendlich aber musste Deutschland nachgeben.
Faeser: Für Deutschland stehen „menschenrechtliche Standards ganz vorne“
Die Bundesregierung – auf europäischer Bühne beim Thema Migration mehr oder minder isoliert – befürwortete zwar Vorprüfungen für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, sogenannte verpflichtende Grenzverfahren, die in allen EU-Ländern harmonisiert und zügiger ablaufen sollen. Berlin wollte aber durchsetzen, dass Familien mit Minderjährigen davon ausgenommen werden. „Für uns als Deutschland stehen die menschenrechtlichen Standards ganz vorne“, hatte Faeser vor dem Start des Treffens noch gesagt. Doch von dieser Forderung musste Berlin am Ende abrücken. Sie stand sowohl unter dem Druck der Ampelkoalition als auch unter jenem ihrer europäischen Kollegen.
Voraussetzung für einen Beschluss war, dass 15 von 27 Mitgliedstaaten zustimmen, wobei diese zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen müssen. Seit Jahren streitet die Staatengemeinschaft über eine Neuänderung der Regeln. In der Flüchtlingskrise von 2015 und 2016 war das sogenannte Dublin-System, nach dem jene Länder für die Registrierung verantwortlich sind, in denen Schutzsuchende erstmals in die EU einreisen, zusammengebrochen.
Experten sprechen von massiver Verschärfung des EU-Asylrechts
Insbesondere das neue Schnellverfahren direkt an Europas Außengrenzen sorgte für kontroverse Debatten. Dieses sollen Migranten mit geringen Chancen auf Anerkennung, etwa weil sie aus einem als sicher geltenden Drittstaat wie Marokko, Albanien oder Indien kommen, durchlaufen. Bei Ablehnung würden sie von dort direkt in ihre Heimatländer zurückgewiesen werden, damit sie erst gar nicht in die EU gelangen.
Faeser betonte, dass man sich weiter dafür einsetzen werde, dass alle Kinderrechte gewährt blieben. Luxemburgs Migrationsminister Jean Asselborn bedauerte, dass einige Staaten „auf die Festung Europa“ setzten. Der Druck war groß, unter anderem endlich Lösungen für eine faire Verteilung von Flüchtlingen auf alle Mitgliedstaaten zu finden. Experten sprechen von einer massiven Verschärfung des EU-Asylrechts.
Verpflichtende Solidarität lautet der neue Zauberbegriff, wobei das mit der Solidarpflicht auf EU-Ebene so eine Sache ist. Obwohl der Vorschlag in der Theorie eine Verteilung von anerkannten Flüchtlingen innerhalb der EU vorsieht, sollen sich Länder aus dieser Pflicht „freikaufen“ können. 20.000 Euro pro Schutzsuchenden, so lautete der letzte Stand, müssten Länder wie Ungarn oder Polen bezahlen, die partout keine Migranten aufnehmen wollen.
Menschen aus der Ukraine wären von solchen Regeln ausgenommen. Insbesondere die Mittelmeerstaaten an den Außengrenzen der EU sollen dagegen mehr Verantwortung übernehmen und grenznahe Zentren betreiben, wo alle irregulär ankommenden Menschen erfasst werden sollen. Von Haft will niemand sprechen, Kritiker aber befürchten haftähnliche Zustände in diesen Einrichtungen. Durch eine konsequente und einheitliche Registrierung von Migranten will man Schlupflöcher und „Asyl-Hopping“ innerhalb der Gemeinschaft verhindern.
Plan ist hinter den Kulissen als Ruanda-Szenario bekannt
Zahlreiche Länder wünschten darüber hinaus die Möglichkeit, die Grenzverfahren in ein Nicht-EU-Land auslagern zu können. Der Plan ist hinter den Kulissen als Ruanda-Szenario bekannt. Jene Menschen, die in der EU kaum Aussicht auf Asyl haben, etwa wenn sie aus Indien oder Marokko stammen, sollen in Einrichtungen in einem Drittstaat überprüft werden können und dort auf ihre Abschiebung warten.
Deutschland forderte für einen derartigen Schritt jedoch ein sogenanntes Verbindungselement. Demnach will die Bundesregierung festlegen, dass es einen Link gibt zwischen dem Antragsteller und dem Land, wo die Person in dem Zentrum ausharrt. Hat der Migrant zuvor in der Stadt gelebt? Stammt er oder sie aus dieser Region? Ein Großteil der Staaten, darunter auch Österreich, fürchteten jedoch, dass durch ein solches Verbindungselement der „abschreckende Effekt“ abgemildert werden könnte.