Die Europäische Union will durch ein Abkommen mit dem Libanon erreichen, dass sich künftig weniger Flüchtlinge per Boot auf den Weg übers Mittelmeer machen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dem Land bei ihrem Besuch in Beirut Finanzhilfen von bis zu einer Milliarde Euro bis 2027 zu.
Mit dem Geld soll der Libanon im Kampf gegen Schleuserbanden, aber auch bei Wirtschafts- und Finanzreformen unterstützt werden. Gleichzeitig solle die legale Migration erleichtert werden. Mit von der Leyen war Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis zur Vertragsunterzeichnung in den Libanon gekommen. Denn auf Zypern steigt seit Monaten die Zahl der Flüchtlinge, die mit Booten aus dem Libanon ankommen. Die Inselrepublik hat im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl europaweit schon jetzt die meisten Flüchtlinge aufgenommen, die Lager sind überfüllt.
Rund 160 Kilometer Meer liegen zwischen Zypern und dem Libanon. Das 5,5-Millionen-Einwohner-Land hat bis zu zwei Millionen Flüchtlinge aus dem benachbarten, vom Bürgerkrieg erschütterten Syrien aufgenommen. Doch der Libanon ist selbst seit vielen Jahrzehnten ein Krisenstaat, die Zustimmung zu Unterbringung und Versorgung der Syrer schwindet. Mit dem Geld aus Brüssel soll der Druck auf die libanesische Regierung gemildert werden. Ministerpräsident Nadschib Mikati stellte allerdings klar, dass sein Land nicht dauerhaft Heimat für geflüchtete Syrer werden wolle.
Manfred Weber: "Wir brauchen die Partnerschaft"
Laut EVP-Fraktionschef Manfred Weber verfolgt von der Leyen mit dem Abkommen zwei Ziele. Es gehe um die Migrationsfrage, aber auch darum, das Land selbst zu stabilisieren. Angesichts der schwierigen politischen Lage und des großen Einflusses der vom Iran gesteuerten Terrororganisation Hisbollah im Libanon sprach Weber von „einer Gratwanderung“, zu der es allerdings keine Alternative gebe. „Anders werden wir die Probleme nicht lösen. Wir brauchen die Partnerschaft“, sagte der CSU-Politiker unserer Redaktion. Um sicherzustellen, dass EU-Gelder im Libanon auch in die richtigen Kanäle fließen, müsse jede einzelne Transaktion genau überprüft werden.
Das Abkommen erinnert an den "Deal", den die EU 2016 mit der Türkei geschlossen hatte. Europa sicherte der Türkei dabei Finanzhilfen von sechs Milliarden Euro und eine Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen zu. Im Gegenzug verpflichtete sich die Regierung in Ankara, Fluchtrouten über das Mittelmeer abzuriegeln und aus der Türkei nach Griechenland geflohene Flüchtlinge zurückzunehmen. Das Geld aus Europa sollte auch für deren Versorgung genutzt werden. Die Wirksamkeit des Vertrags ist umstritten. Zwar sank die Zahl der Geflüchteten, die in Griechenland ankamen, von mehr als 850.000 im Jahr 2015 stark auf knapp 42.000 im vergangenen Jahr. Doch Experten gehen davon aus, dass viele Flüchtlinge schlichtweg auf andere Routen ausgewichen sind. Zurückgenommen hat die Türkei nur wenige Tausend Flüchtlinge aus Griechenland. Der EU-Rechnungshof bezeichnete die Milliardenhilfen für die Türkei kürzlich als "nicht nachhaltig". Kritiker warnen zudem, Europa habe sich mit dem Handel erpressbar gemacht.
EU: Ähnliche Verträge mit anderen Ländern
Die Europäische Union hält derartige Abkommen dennoch für einen unverzichtbaren Bestandteil ihrer Asylpolitik. Im kürzlich beschlossenen Reformpaket sind Prüfungen von Asylanträgen direkt an den EU-Außengrenzen vorgesehen. Abgelehnte Bewerber sollen dann rasch zurückgeführt werden. Ähnliche Verträge wie nun mit dem Libanon hatte die EU zuletzt mit Mauretanien, Tunesien und Ägypten geschlossen.
Dahinter steht auch die Erkenntnis, wie schwierig es ist, abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Dem Landesamt für Asyl und Rückführungen zufolge sind im Jahr 2023 allein in Bayern 3110 Abschiebungen gescheitert. Zum Vergleich: Durchgeführt wurden 2364. Auf Bundesebene sieht die Lage ähnlich aus.