Die Europäische Union hat nach jahrelangem Ringen einen Kurswechsel in der Asylpolitik beschlossen. Geplant sind ein verstärkter Schutz der Außengrenzen und ein härterer Umgang mit Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive. Am Mittwochmorgen verkündeten Europaparlament, EU-Kommission und das Gremium der 27 Mitgliedstaaten die Grundzüge ihrer Einigung. Demnach sollen künftig bereits an den Außengrenzen beschleunigte Verfahren durchgeführt werden. Migranten, die aufgrund ihres Herkunftslandes geringe Chancen auf Asyl haben, sollen innerhalb von zwölf Wochen eine Entscheidung bekommen. Während dieser Zeit können sie in Asylzentren in Grenznähe festgehalten werden – unter haftähnlichen Bedingungen. Im Falle einer Ablehnung sollen sie innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden. "Von größter Bedeutung" sei die Reform, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte, dass mit ihr "die Europäer entscheiden, wer in die EU kommt und wer bleiben darf, nicht die Schmuggler".
Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, kann sich freikaufen
Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt bewertete die Einigung dagegen als "verpasste Chance", die Asylpolitik auf das richtige Gleis zu setzen. Monatelang hatten die Verantwortlichen versucht, eine Balance zu finden zwischen Verantwortung und Solidarität. Heraus kam ein verbindlicher Solidaritätsmechanismus inklusive Umverteilung – zumindest in der Theorie. Dafür, dass Italien, Spanien, Malta, Zypern oder Griechenland die Ankommenden registrieren, verpflichten sich die anderen EU-Länder im Gegenzug, eine bestimmte Zahl von Asylbewerbern zu übernehmen. Weil sich dagegen einige Mitglieder sträubten, will die Gemeinschaft das Problem in typischer EU-Manier lösen: mit Geld. Ungarn, Polen, Österreich oder Dänemark sollen sich "freikaufen" können. Wenn sie keine Geflüchteten aufnehmen wollen, müssen sie künftig finanzielle Unterstützung etwa beim Grenzschutz leisten.
Horst Seehofer lobt die Einigung als "beachtlichen Fortschritt"
Der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) lobte den Durchbruch bei der EU-Asylreform. "Die jetzt gefundene Lösung ist ein beachtlicher Fortschritt", sagte er unserer Redaktion. "Es ist richtig, dass künftig an den EU-Außengrenzen entschieden wird. Die EU-Staaten sind Rechtsstaaten, deswegen wird an den Grenzen keine Willkür herrschen", fügte Seehofer hinzu. "Auch der Solidaritätsmechanismus macht Sinn", so der langjährige CSU-Vorsitzende. "Wer keine Flüchtlinge aufnimmt, muss sich mit Geldzahlungen beteiligen." Seehofer betonte, dass der Kompromiss der Linie folge, die er selbst als Bundesinnenminister in Brüssel initiiert habe.
Söder: Vorerst muss Deutschland seine Grenzen selbst schützen
Von einem "wichtigen Schritt in die richtige Richtung" sprach der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. "Es braucht dringend eine wirksame Begrenzung der Zuwanderung", sagte der CSU-Politiker. Bis die EU-Maßnahmen greifen, müsse Deutschland aber seine Grenzen weiter selbst schützen – nötig seien "vertiefte Grenzkontrollen und eine Grenzpolizei nach bayerischem Vorbild". Der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm sagte unserer Redaktion, die Bundesregierung dürfe sich nun "nicht hinter der europäischen Einigung verstecken", sondern müsse alle vorhandenen nationalen Maßnahmen nutzen, um die Migrationskrise in den Griff zu bekommen: "Grenzkontrollen, Zurückweisungen, schnellere Abschiebungen und die Reduzierung von Anreizen durch hohe Sozialleistungen und immer mehr Bleiberechte für Abgelehnte".
Die Bundesregierung einigte sich ebenfalls am Mittwoch auf Verfahrensvereinfachungen, die dafür sorgen sollen, dass Abschiebungen nicht mehr so oft im letzten Moment scheitern – etwa weil die Betroffenen nicht auffindbar sind. Dafür soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von bislang zehn Tagen auf 28 Tage verlängert werden. Gleichzeitig beschlossen SPD, Grüne und FDP schnellere Einbürgerungsverfahren. Zuwanderer sollen demnach bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland Staatsbürger werden können, sofern sie ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Hilfe bestreiten. Bisher müssen sie mindestens acht Jahre im Land leben.