Die Ampel-Koalition arbeitet sich gerade mühsam aus ihrem Heizungsfiasko heraus, da steht ihr schon der nächste Streit ins Haus. Das Thema ist nicht minder emotional aufgeladen. Es geht um die Zuwanderung. In diesem Jahr sind wieder so viele Flüchtlinge nach Deutschland und Europa gekommen wie zuletzt während der Migrationskrise 2015/16.
Das liegt am Krieg in der Ukraine, aber auch an den unwürdigen Verhältnissen in Ländern wie Afghanistan, Syrien und dem Irak. Städte und Gemeinden wenden sich hilfesuchend an die Bundesregierung, weil sie nicht mehr wissen, wo sie die Ankommenden unterbringen sollen und wo es für Kinder noch freie Plätze in Kindergärten und Schulen gibt. Die Ampel-Koalition hat sich dagegen entschieden, die eigenen Grenzen zu schließen und setzt auf eine europäische Lösung.
EU will schärfer gegen Flüchtlinge vorgehen
Die EU-Kommission hat Vorschläge vorgelegt, die eine deutliche Verschärfung der EU-Migrationspolitik bedeuten würden. Während die FDP eine strenge Migrationspolitik unterstützt, rührt sie an Grundüberzeugungen der Grünen. Im Kern soll nämlich an den Außengrenzen der Europäischen Union vorgeprüft werden, ob jemand Aussicht auf Asyl hat. Wer das nicht hat, soll nicht in den Staatenklub einreisen dürfen. In einer konzertierten Aktion ging die Führungsriege der Grünen nach vorne, um nach dem Heizungskrach nicht ein weiteres Mal von den Liberalen vorgeführt zu werden.
Grenzverfahren seien "ohne Frage problematisch", sagte zum Beispiel Wirtschaftsminister Robert Habeck. "Grenzverfahren brauchen Grenzen. Sie dürfen dort nur kurze Zeit sein. Familien mit Kindern, Schwangere sollten ausgenommen werden." In Habecks Sätzen verstecken sich zwei Botschaften: Die Grünen sind einerseits bereit, die Prüfverfahren an den Außengrenzen zähneknirschend mitzutragen. Andererseits müssen sie nach einer Serie von Niederlagen etwas für ihre Selbstbehauptung erreichen. Familien und auch allein ankommende Kinder sollen nach der Flucht nicht an der EU-Außengrenze zurückgewiesen werden. Wobei Kinder für die Grünen alle unter 18-Jährigen heißt. Die EU-Kommission plant hingegen, nur alle unter 12-Jährigen vom Grenzregime auszunehmen. Die Regelung wird auch vom EU-Schwergewicht Frankreich unterstützt. Für die Grünen ist das nicht hinnehmbar, für die FDP hingegen schon. Fraktionschef Christian Dürr sprach sich für die Schnellprüfung der Asylgründe von Jugendlichen aus.
Innenministerin Nancy Faeser muss liefern
Die Verhandlungen mit den EU-Staaten um eine Reform der Migrationspolitik führt Innenministerin Nancy Faeser. Sie trägt die Grenzverfahren mit, schränkte aber im Gespräch mit dem Handelsblatt ein: "Kinder und andere vulnerable Gruppen wollen wir besonders schützen." Das ist noch unbestimmt genug, um Spielraum in den Gesprächen mit den anderen Mitgliedsländern zu haben. Der SPD-Politikerin muss dabei das Kunststück gelingen, sowohl in Brüssel als auch innerhalb der Regierungskoalition einen Kompromiss zu finden.
Die Union forderte von der Ministerin, der härteren Linie der EU-Kommission zu folgen. "Nancy Faeser darf keiner Einigung um jeden Preis zustimmen, die Deutschland nichts nützt", sagte der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm unserer Redaktion. Derzeit verfolge die Ampel allerdings Positionen, die gegenüber den Vorschlägen der Kommission deutlich nachteiliger für Deutschland seien, so Throm, "etwa die hohe Anzahl der jugendlichen Asylbewerber aus dem schnellen und rechtsstaatlichen Außengrenzverfahren rauszunehmen."
Die Bundesregierung erwartet, dass in diesem Jahr zuzüglich zu den Flüchtlingen aus der Ukraine pro Monat etwa 20.000 Migranten aus anderen Ländern in Deutschland um Asyl bitten. Sie kommen hauptsächlich über das Mittelmeer und die Balkanroute.