In Deutschland werden Forderungen zur Begrenzung der Migration lauter. Zuletzt haben auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Grünen-Chef Omid Nouripour mehr Steuerung gefordert. Im Vorfeld des bayerischen und hessischen Wahlkampfs versuchten Politikerinnen und Politiker, mit neuen Vorschlägen Stimmen für sich zu gewinnen. Von Integrationsgrenzen und stationären Grenzkontrollen war die Rede. Solche Ansätze allein reichen jedoch nicht, um irreguläre Migration zu reduzieren, sagen Experten.
Markus Söders Forderung der Integrationsgrenze
Drei Wochen vor der bayerischen Landtagswahl schlug Ministerpräsident Markus Söder eine Integrationsgrenze von maximal 200.000 Geflüchteten pro Jahr in Deutschland vor. Wie eine solche Grenze irreguläre Migration aber tatsächlich reduzieren soll, ist unklar, sagt der Migrationsforscher Gerald Knaus von der European Stability Initiative (ESI) unserer Redaktion: "Dabei handelt es sich um ein legitimes Ziel, aber nicht um einen konkreten Vorschlag. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, bleibt offen. Doch darauf kommt es an."
Individuelles Recht auf Asyl abschaffen und auf Kontingente setzen
Einen konkreten Vorschlag präsentierte dagegen der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei, im Sommer. Seine Idee zur Migrationsbegrenzung in Europa sorgte für Aufsehen. Frei fordert, das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen und stattdessen EU-weit jährlich ein Kontingent von 300.000 bis 400.000 Schutzbedürftigen Menschen aufzunehmen. Das individuelle Recht auf Asyl betrifft jedoch nur wenige Schutzsuchende. Entscheidend ist der völkerrechtlich verankerte Flüchtlingsschutz der Genfer Flüchtlingskonvention. Migrationsexperte Knaus hält deshalb wenig von Freis Vorstoß: "Der Vorschlag, das individuelle Recht auf Asyl im Grundgesetz abzuschaffen ist nicht nur unrealistisch, es würde bei Umsetzung an der Zahl der Asylbewerber in Deutschland nichts ändern. EU-Recht und alle Menschenrechtskonventionen würden weiterhin gelten, ebenso die unantastbare Menschenwürde."
Stationäre Kontrollen an der deutschen Grenze
Vorschläge zur Migrationsbegrenzung kommen mittlerweile von allen Parteien. Nach einigem Hin und Her kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor Kurzem an, neben flexiblen und mobilen Polizeikontrollen wie der Schleierfahndung auch stationäre Kontrollen an der Grenze zu Polen und Tschechien vorzubereiten. Damit möchte sie einen weiteren Schritt im komplizierten Kampf gegen illegale Schleuser gehen. Die Gewerkschaft der Polizei hat speziell stationäre Kontrollen bereits als ineffektiv kritisiert, da die Schleuser feste Kontrollorte demnach einfach umfahren können. Diese Einschätzung teilt auch Fabian Güzlau vom Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR), der die Bundesregierung berät und vom Innenministerium finanziert wird. "Dauerhafte, stationäre Kontrollen an der Grenze sind sicher nicht hilfreich; Schleuser werden schnell darüber informiert, wo Kontrollen stattfinden, dann könnten gefährlichere Routen genutzt werden. Punktuelle Kontrollen können schon eher einen Effekt haben." Güzlau sagt, die Ankündigung von Grenzkontrollen solle auch Handlungsfähigkeit demonstrieren. "Die Politik sollte Aktionismus vermeiden und lieber ein gemeinsames Vorgehen in der EU abstimmen", sagt Güzlau mit Verweis auf die Relevanz der EU-Außengrenze.
Migrationsabkommen zwischen der EU und Drittstaaten
Denn verbindliche Regeln zur Migration auf EU-Ebene fordern praktisch alle europäischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger. Abkommen mit Drittstaaten zur Reduzierung der Zahl von Schutzsuchenden an der EU-Außengrenze gestalten sich jedoch oft schwierig. Ein erst im Sommer geschlossenes Abkommen mit Tunesien scheiterte zuletzt de facto, als Präsident Kais Saied EU-Zahlungen an sein Land ablehnte und vom "Diktat" Europas sprach. Das Abkommen sollte als Blaupause für Kooperationen mit weiteren nordafrikanischen Ländern dienen, stand aber von Beginn an auf wackeligen Beinen. "Beim Abkommen mit Tunesien ist nicht klar, was Tunesien davon hat und was die EU von Tunesien genau erwartet", sagt Migrationsforscher Gerald Knaus. Darüber hinaus hält der Experte die Zusammenarbeit mit anderen Ländern aber für essenziell. "Die irreguläre Migration in die EU insgesamt und an ihren Außengrenzen zu begrenzen, ist der beste Weg, auch für Deutschland."
Deutschland allein habe beim Thema Migrationsbegrenzung kaum Spielraum, sagt Hans Vorländer, Vorsitzender vom Sachverständigenrat für Integration und Migration. "Da nationale Maßnahmen allein auch aufgrund des offenen Schengen-Raums nicht greifen werden, sind gemeinsame Anstrengungen auf EU-Ebene besonders wichtig." Bisher scheiterten Verhandlungen zu derartigen Abkommen oft an Uneinigkeit innerhalb der EU und mangelnder Kooperation der Herkunftsstaaten, sagt Vorländer, der für eine bessere "gemeinsame europäische Außenpolitik" plädiert. Er verweist darauf, dass sich Herkunftsländer oft trotz Zusage weigern, ihre eigenen ausreisepflichtigen Staatsangehörigen zurückzunehmen. Sowohl Vorländer vom Sachverständigenrat als auch Migrationsforscher Knaus fordern von der EU deshalb, den Staaten außerhalb der EU künftig bessere Angebote zu machen und auf deren jeweilige Interessen einzugehen. Für Knaus wäre die Wiederbelebung des Migrationsabkommens mit der Türkei derzeit am wichtigsten.
Umstrittener Asylkompromiss auf EU-Ebene
Beim von Teilen der Grünen harsch kritisierten kürzlich gefundenen Asylkompromiss der EU, der härteren Umgang bei Menschen ohne Bleibeperspektive und schnellere Abschiebeverfahren vorsieht, setzt Vorländer auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit: "Beschleunigte Verfahren an den EU-Außengrenzen sind nicht per se rechtswidrig. Gleichwohl müssen Menschen, die dort eine Zulässigkeitsprüfung absolvieren müssen, wirksamen Zugang zum Rechtsschutz und zu einer unabhängigen Verfahrensberatung haben."