Wer zu lange auf den richtigen Moment wartet, kann selbigen schnell mal verpassen. Die CDU erfuhr das leidvoll, als sie Armin Laschet vor zwei Jahren nach langem Zögern in einer Nacht- und Brechstangenaktion zum Kanzlerkandidaten machte – und damit nicht nur die CSU brüskierte, sondern auch den eigenen Laden in Aufruhr versetzte. Seitdem herrscht zumindest Einigkeit in der Union, dass sich 2021 nicht wiederholen darf.
Die CDU leidet noch immer unter dem Söder-Laschet-Fiasko
Die Parteichefs Friedrich Merz und Markus Söder bemühen sich sichtlich, Gleichschritt zu halten. Und warten auf den richtigen Moment. Doch nicht nur hinter den Kulissen arbeiten die Meinungsmacher längst daran, den nächsten Kanzlerkandidaten aufzubauen. Im Spiel ist derzeit ein Männer-Quartett – und die alles entscheidende Frage lautet, wer von ihnen bei der Bundestagswahl 2025 zum Trumpf gegen Kanzler Olaf Scholz werden könnte.
Zu den ungeschriebenen Gesetzen zwischen CDU und CSU gehört es, dass die große Schwester in der K-Frage den ersten Zugriff hat. Die Bayern Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber durften 1980 beziehungsweise 2002 nur deshalb antreten, weil die Christdemokraten dies ausdrücklich billigten. Und Söder konnte sich bei der vergangenen Bundestagswahl nur ins Spiel bringen, weil sich in der CDU mit dem Streit um die Eignung von Armin Laschet ein Vakuum aufgetan hatte. Das aber wird kein zweites Mal passieren: In der Frage nach der Kanzlerkandidatur gilt der CDU-Vorsitzende Merz zunächst einmal als gesetzt.
Friedrich Merz hat die Union in Umfragen nach oben gebracht – reicht das?
Der Sauerländer bedient das konservative Stammpublikum. In CDU und CSU halten sie ihm gleichermaßen zugute, dass er damit die Umfragewerte nach oben treiben konnte. Nach der Wahlklatsche von 2021 ist die Union wieder obenauf, im aktuellen Trendbarometer des Meinungsforschungsinstituts Forsa liegt sie mit 30 Prozent weit vor SPD (17 Prozent), Grünen und AfD (beide 16). Doch genau diese konservative Haltung könnte für Merz noch zum Problem werden.
Seine Bemerkung über den „Sozialtourismus“ von Ukrainern etwa – für die er sich später entschuldigte – wird auch einem Politikverständnis und Menschenbild zugeschrieben, das nicht mehr aktuell ist. Zudem ist er von seinem Ziel, der AfD am rechten Rand die Hälfte der Wählerschaft abzujagen, meilenweit entfernt. Die Beliebtheit des hochgewachsenen Christdemokraten in der Bevölkerung ist ebenfalls durchwachsen, im letzten ZDF-Politbarometer lag er hinter Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Zudem wäre Merz bei der Bundestagswahl fast 70 Jahre alt.
Dass die CDU bei Markus Söder betteln geht, ist unwahrscheinlich
Söder ist deutlich jünger, hat Regierungserfahrung und hohe Zustimmungswerte. Doch in der großen Schwesterpartei hat man ihm bis heute nicht verziehen, wie er sich vor zwei Jahren als Kanzlerkandidat in den Mittelpunkt drängte. In der Union wissen sie, dass die Wahlniederlage nicht allein auf Laschets Kosten ging. Jetzt betont der bayerische Ministerpräsident, er wolle niemals und unter gar keinen Umständen den Freistaat verlassen, um noch einmal einen Anlauf aufs Kanzleramt zu unternehmen.
Selbst dann nicht, Söder bekräftigte es gerade bei Markus Lanz noch einmal ausdrücklich, wenn die CDU darum betteln würde. Solch ein Satz ist leicht ausgesprochen, denn die CDU wird eben genau das nicht tun: betteln. Anders als 2021 hat sie neben Merz sogar noch zwei weitere potenzielle Trümpfe im eigenen Blatt. Eine aus der Not geborene Personalakquise in Bayern wird es also kaum geben.
Zu den ehernen Grundsätzen für Politikerinnen und Politiker, die unbedingt etwas werden wollen, gehört es, um jeden Preis den Eindruck zu vermeiden, dass sie unbedingt etwas werden wollen. Das hat nicht nur Söder inzwischen gelernt, sondern auch sein potenzieller Rivale Merz. Und so überließ dieser es vor zwei Wochen anderen, öffentlich kundzutun, dass er der geborene Kanzlerkandidat für 2025 sei.
Damit war die Pokerrunde also eröffnet. Doch die anderen am Tisch lassen sich bislang nicht in die Karten schauen. Es handelt sich um die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (Nordrhein-Westfalen) und Daniel Günther (Schleswig-Holstein). Beide jünger als die Parteivorsitzenden. Beide erfolgreich bei den jüngsten Landtagswahlen. Beide Chefs von schwarz-grünen Regierungen und damit so etwas wie der Gegenentwurf zu Merz und Söder, die voll auf die konservative Karte setzen.
Daniel Günther und Hendrik Wüst gelten als frische Alternativen
Der stets ein wenig spitzbübisch wirkende Günther wurde schon vor zwei Jahren als möglicher Nachfolger von Angela Merkel gehandelt. Auch jetzt bringen Spitzenleute den populären Landeschef immer mal wieder ins Spiel. Günther sei einer, mit dem die Union nicht nur die Stammwähler einfangen könne, heißt es. Zumindest in der CSU hält sich die Begeisterung für den Mann, der lieber mit den Grünen als mit der FDP koalierte, aber eher in Grenzen. Der Kieler hat bislang aber ohnehin immer betont, dass er sich im Norden sehr wohlfühle und ein Umzug an die Spree nicht infrage komme.
Beim vierten Mann im Quartett sieht das anders aus. Hendrik Wüst ist völlig klar, dass Merz Kanzlerkandidat wird, wenn er das denn möchte. Sollte es sich der Sauerländer jedoch anders überlegen – Wüst wäre am Start und der 48-Jährige hätte wohl gute Chancen. Anders als Merz geht er beispielsweise aktiv auf Migrantinnen und Migranten zu, verkörpert in den Augen vieler einen frischen Politikansatz.
Am 16. Mai verleiht der nordrhein-westfälische Ministerpräsident den Staatspreis an Merkel, die Laudatio auf die Preisträgerin hält Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank. Das ist erstens große Politik und kann zweitens auch als Replik auf Merz verstanden wissen. Dieser reagierte letztens angesäuert bis beleidigt, weil seine Vorgängerin Merkel ihn nicht zur Ordensverleihung ins Bundespräsidialamt eingeladen hatte.
Es wäre vielleicht der richtige Moment für Merz gewesen, über den Dingen zu stehen und seiner Rivalin zumindest zur Auszeichnung zu gratulieren. Aber wie das so ist mit den richtigen Momenten: Es kann schnell mal passieren, dass man sie verpasst.