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Menschenrechte: Ein Uigure zu sein – das reicht, um ins Lager zu kommen

Menschenrechte

Ein Uigure zu sein – das reicht, um ins Lager zu kommen

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    Uigurische Demonstranten wehren sich gegen den Polizeieinsatz. Dieses Bild ist fast zwölf Jahre alt. 
Die chinesischen Sicherheitsbehörden haben den Widerstand der muslimischen Minderheit brutal unterdrückt.
    Uigurische Demonstranten wehren sich gegen den Polizeieinsatz. Dieses Bild ist fast zwölf Jahre alt. Die chinesischen Sicherheitsbehörden haben den Widerstand der muslimischen Minderheit brutal unterdrückt. Foto: Oliver Weiken, dpa (Archivbild)

    Soll der Westen, soll Deutschland die Olympischen Winterspiele von Peking politisch boykottieren? Wer über dieses diplomatisch heikle Thema diskutiert, spricht früher oder später zwangsläufig über das Schicksal der Uigurinnen und Uiguren – genau das ärgert die Führung und Chinas Staatschef Xi Jinping. Kritiker verweisen auch auf die Zerschlagung der Demokratie in Hongkong, die Entrechtung vieler Tibeter, die Verhaftung von Regimekritikern oder die aggressive Politik gegen Taiwan. Doch die Berichte über systematische Unterdrückung, Abtransport in andere Teile des Landes zur Zwangsarbeit, Internierung und Misshandlung hunderttausender muslimischen Uiguren, aber auch Kasachen stehen derzeit im Fokus.

    Dass es so weit kommen konnte, ist eine bittere Niederlage für Peking. Im Herbst 2019 erfuhr die Weltöffentlichkeit von der Existenz der Umerziehungslager in der formal autonomen Provinz Xinjiang im Nordosten des Landes. Die sogenannten „China Cables“ – geheime staatliche Dokumente aus dem chinesischen Machtzentrum – waren Journalisten im Westen konspirativ zugespielt wurden.

    Steht für eine harte Linie gegen die Uiguren: Der chinesische Präsident Xi Jinping.
    Steht für eine harte Linie gegen die Uiguren: Der chinesische Präsident Xi Jinping. Foto: Liu Bin, XinHua, dpa

    Zunächst bestritt Peking die Existenz der Lager

    Peking reagierte empört und bestritt zunächst die Existenz der Lager. Doch herausgeschmuggelte Fotos und Videos sowie Zeugenaussagen von geflohenen Insassen führten diese Taktik ad absurdum. Die chinesische Führung spricht heute von Zentren zur Berufsausbildung und für die Deradikalisierung potenzieller Terroristen. Uigurische Gruppen seien Teil eines internationalen Terrornetzes. Die Führung in Peking mit allen Mitteln, die kulturelle Identität der Uiguren auszulöschen. um ihre unumschränkten Machtansprüche durchzusetzen.

    Im Juni 2021 Jahres entfachte ein Bericht von Amnesty International einen Sturm der Entrüstung. Darin wird detailliert von der Errichtung einer „Schreckensherrschaft“ gegen hunderttausende Uiguren sowie Muslime anderer Ethnien berichtet – die Rede ist von Versuchen der Behörden, „religiöse Traditionen, Kulturpraktiken und lokale Sprachen“ der Uiguren „auszulöschen“. Zudem gebe es in den „Haftlagern Folter und andere Misshandlungen“. Amnesty beruft sich unter anderem auf Gespräche mit 50 ehemaligen Gefangenen.

    Es gibt keine Anzeichen für eine Änderung der Unterdrückungspolitik

    Der China-Experte Reinhard Bütikofer blickt mit Sorge auf die Provinz Xinjiang: „Nach den Informationen, die aus China zu uns dringen, ist eine Veränderung der chinesischen Politik gegenüber den Uiguren nicht zu erkennen“, sagt der Politiker, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt, im Gespräch mit unserer Redaktion. Bütikofer: „Auf der letzten Konferenz, die sich unter Führung von Xi Jinping mit der Lage in Xinjiang befasst hat, wurde erklärt, dass die Politik gegenüber den Uiguren zu 100 Prozent richtig sei und fortgesetzt werden müsse.“

    Die Überwachung mit modernster digitaler Technik ist heute fast lückenlos. Auch im Alltag. Vielen uigurischen Familien werden staatliche Paten zugeordnet, die Religionsfreiheit wird eingeschränkt, für Kinder sind muslimische Namen tabu.

    Die Repressalien der Behörden begannen vor Jahrzehnten. Bereits 1949 – nach der Machtübernahme der Kommunisten – okkupierte Peking unter Bruch des Völkerrechts das damalige Ostturkestan, die heutige Provinz Xinjiang. So gerieten circa 90 Prozent der weltweit rund 20 Millionen Uiguren, die ethnisch mit den Türken verwandt sind, unter chinesische Herrschaft. Als Peking in den 50er Jahren begann, systematisch Han-Chinesen – die größte Gruppe in der Bevölkerung des Landes – anzusiedeln, wuchsen die Spannungen in der Provinz. Es kam immer wieder zu Protesten, die von Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen wurden, aber auch zu blutigen Terroranschlägen uigurischer Gruppen.

    Heute jedoch hat Peking die Lage längst unter Kontrolle: „Aus den letzten sieben Jahren sind mir keine Zeugnisse über nennenswerten Widerstand der Uiguren gegen die Unterdrückung bekannt. Die Terroranschläge, die es gab, lagen vor dieser Zeit“, sagt Bütikofer. Auch seien von den rücksichtslosen Maßnahmen kaum Menschen betroffen, die tatsächlich Widerstand leisten. Es reiche, einen langen Bart zu tragen, einen Koran zu besitzen oder Verwandte im Ausland zu haben. Es gibt 50 Gründe, in ein Lager gesteckt zu werden. „Zusammenfassend gesagt: Wenn du Uigure bist, lieferst du einen Grund, ins Lager gesteckt zu werden.“

    China-Experte Reinhard Bütikofer gehört zu den Kritikern, die von Peking mit Sanktionen belegt worden sind. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, die Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren immer wieder zu thematisieren.
    China-Experte Reinhard Bütikofer gehört zu den Kritikern, die von Peking mit Sanktionen belegt worden sind. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, die Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren immer wieder zu thematisieren. Foto: Marcus Merk

    Der Westen und China überziehen sich gegenseitig mit Sanktionen

    Der Westen reagierte mit Sanktionen gegen einzelne Personen, die als mitverantwortlich für die Unterdrückung ausgemacht wurden. Peking antwortete seinerseits mit Sanktionen, wie Einreiseverbote gegen Kritiker – betroffen davon ist auch Reinhard Bütikofer.

    Die abgewählte Große Koalition in Deutschland wurde nicht zuletzt von den Grünen für Leisetreterei gegenüber China kritisiert. Unter politischen Beschuss gerieten auch große deutsche Unternehmen wie VW, BMW oder Siemens, die in Xinjiang produzieren. Politische Forderungen, dass die Verbrechen gegen die Menschlichkeit klare Konsequenzen für China haben müssten, wurden und werden oft mit der Warnung gekontert, dass zu forsche Proteste gegen Chinas Politik der deutschen Volkswirtschaft große Schäden zufügen würde.

    Immer wieder wird davor gewarnt, die Handelsbeziehungen zu gefährden

    In der Tat unterhalten die beiden Staaten intensive Handelsbeziehungen, insbesondere in der Autobranche. Gleichzeitig gibt es die Tendenz, dass – zumindest in der Öffentlichkeit – die Bedeutung Chinas für die deutsche Wirtschaft zu hoch eingeschätzt wird. Dennoch: Rund zwei Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland hängen direkt oder indirekt von Exporten nach China ab. Das ist nicht wenig.

    Die neue Außenministerin Annalena Baerbock hatte Erwartungen geweckt, dass Deutschland das Schicksal der Uiguren in Zukunft gegenüber Peking nachdrücklicher als bisher zur Sprache bringen werde . Dazu hätte sie jetzt Gelegenheit. Es geht darum, ob die Bundesregierung dem Beispiel der USA und anderer Staaten folgt und einen diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele in China erklärt – sprich keine hochrangigen Politiker nach Peking schickt. Doch Baerbock zögerte zuletzt mit dem Hinweis auf eine wünschenswerte gemeinsame EU-Linie. Frankreich jedoch stellt sich quer. „Die Bundesregierung wollte nicht zu Beginn mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf Konfrontationskurs gehen. Ich glaube, am Ende werden die EU-Staaten nicht offiziell von einem politischen Boykott sprechen, aber ihre Politiker werden nicht hinfahren“, sagt Bütikofer. Er könne sich jedenfalls nicht vorstellen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz oder deutsche Minister nach Peking reisen werden.

    Im Übrigen habe sich das „Europäische Parlament mit einer breiten Mehrheit von Konservativen, Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen für einen diplomatischen Boykott der Spiele ausgesprochen“. Macron hingegen habe sich „arrogant und herablassend“ gegen einen solchen Schritt geäußert. „Er hat recht, das ist Symbolpolitik. Aber mit Symbolpolitik kann man in diesem Fall die richtigen Signale setzen“, sagt Reinhard Bütikofer.

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