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Kommentar: Was die Ostverträge über den Ukraine-Krieg lehren

Kommentar

Was die Ostverträge über den Ukraine-Krieg lehren

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    Der damalige Staatssekretär Egon Bahr (l) und Bundeskanzler Willy Brandt beim Aktenstudium am 09.02.1972 vor der Sitzung über die Billigung der Ostverträge im Bundesrat.
    Der damalige Staatssekretär Egon Bahr (l) und Bundeskanzler Willy Brandt beim Aktenstudium am 09.02.1972 vor der Sitzung über die Billigung der Ostverträge im Bundesrat. Foto: Peter Popp, dpa

    Vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen russischen Angriffs auf die Ukraine bietet der 50. Jahrestag der sogenannten „Ostverträge“ Gelegenheit, mit einer der größten Lebenslügen deutscher Politik aufzuräumen. Die viel beschworene „Ostpolitik“ von SPD-Kanzler Willy Brandt taugt nämlich nicht zur Rechtfertigung, warum Deutschland alle russischen Zumutungen unkritisch hinnehmen sollte. Sie tat es nie und sie tut es heute und in Zukunft erst recht nicht.

    Am 17. Mai 1972 beschloss der Deutsche Bundestag nach erbitterter Redeschlacht und gescheitertem Misstrauensvotum gegen Brandt zwei Verträge mit Moskau und Warschau. Sie umfassten das Bekenntnis zum Verzicht auf Gewalt, die Achtung der in Europa geltenden Grenzen, einschließlich der Oder-Neiße-Grenze sowie den Verzicht auf Gebietsansprüche. Die Bundesrepublik trat damals nicht als Bittsteller auf. Brandt hatte die Ostverträge mit Billigung der Schutzmacht USA ausgehandelt. Mit fast 493.000 Mann – Frauen kamen erst später dazu – und für damalige Verhältnisse hochmodern ausgerüstet, stand die Bundeswehr zur Landesverteidigung bereit. Heute sind es noch rund 184.000 Kräfte. Dass das westliche Sicherheitsbündnis Nato jeder Grenzüberschreitung des

    Ukraine-Krieg: Deutschland ist seit langem abhängig von russischer Energie

    Brandt handelte aus einer Position der Stärke heraus. Freilich nahm damals auch das Geschäft Fahrt auf, bei dem Deutschland die Röhren lieferte, durch die dann für Jahrzehnte russisches Gas strömen sollte. Immer stärker begaben sich deutsche Regierungen in die verhängnisvolle Abhängigkeit. Dass der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder bis heute als Lobbyist russischer Energiekonzerne auftritt, ist eine schwere Hypothek für die Sozialdemokratie, in der sich freilich bis zuletzt viele leidenschaftliche Russland-Versteher tummelten.

    Aber auch in der Ära von Angela Merkel ist nichts passiert, um Deutschland vom russischen Energie-Tropf zu nehmen. Eisern hielt die CDU-Frau gegen alle Kritik der amerikanischen und europäischen Verbündeten etwa am Gasleitungsprojekt Nord Stream 2 fest. Russland konnte wie in Tschetschenien oder Syrien grausame Kriege führen, Flüchtlingsströme politisch missbrauchen, Regimegegner vergiften oder sogar in Deutschland ermorden lassen. Und die Reaktion aus Berlin kam über den symbolisch erhobenen Zeigefinger kaum hinaus. Gleichzeitig wurde die Bundeswehr kaputt gespart, sehr zum Unmut der westlichen Partner.

    Wandel durch Handel? Russland ist nicht demokratischer geworden

    Die Annahme, dass sich durch Handel automatisch gesellschaftlicher Wandel einstellt, hat sich als grundlegend falsch erwiesen. Russland ist durch die glänzenden Geschäfte mit Gas, Kohle und Öl nicht demokratischer geworden. Sondern nur reicher und damit mächtiger.

    SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz hat zwar die Zeitenwende verkündet, doch sie kommt nicht mit der nötigen Geschwindigkeit voran. Im Rahmen der Nato und zusammen mit den europäischen Partnern muss Deutschland aber schnell wehrhafter werden. Dass Amerika für alle Zeiten die europäische Sicherheit garantiert, ist nämlich nicht in Stein gemeißelt. Ostpolitik darf also künftig nicht mehr für einen deutschen Sonderweg gegenüber Russland stehen. Vielmehr muss es darum gehen, die östlichen Partnerländer bestmöglich zu unterstützen. Polen oder die baltischen Staaten fürchten, nach der Ukraine die nächsten Ziele russischer Aggression zu werden. Eine schrittweise Annäherung an Moskau ist erst dann wieder möglich, wenn es sich klar zu dem bekennt, was schon die so oft missverstandenen Ostverträge forderten: einen Verzicht auf Gewalt und die Achtung von Grenzen.

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