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Meinung: Häme als Berufsrisiko: Was müssen Politiker aushalten?

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Häme als Berufsrisiko: Was müssen Politiker aushalten?

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    Nach dem Rücktritt von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht gab es viel Kritik - auch unsachliche.
    Nach dem Rücktritt von Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht gab es viel Kritik - auch unsachliche. Foto: Michael Kappeler, dpa (Archivbild)

    Wenn Politikerinnen und Politiker zurücktreten (oder zurückgetreten werden), bedienen sie sich zum Abschied noch einmal mit vollen Händen im Satzbausteinkasten für Krisenkommunikation. Meist sind dann nicht eigene Fehler Anlass für den Karriereknick, sondern der anhaltende öffentliche Druck, hämische Attacken des politischen Gegners und der tief empfundene Wunsch, Schaden von dem Amt zu nehmen, das man nun schweren Herzens aufgeben wird. Irgendwie muss man ja halbwegs unbeschadet rauskommen aus der Sache. 

    Natürlich kann man über solche Floskel-Festspiele müde lächeln. "Augen auf bei der Berufswahl" heißt es dann gerne onkelhaft, wenn wieder eine oder einer die Nerven verloren hat und hinschmeißt. Aber genausogut kann man sich ganz andere Fragen stellen: Was müssen sich Politiker wirklich bieten lassen? Was ist vom allgemeinen Berufsrisiko abgedeckt und wo werden Grenzen überschritten? Und nicht zuletzt: Wer will diesen Job überhaupt noch machen?

    Die Häme gegenüber Christine Lambrecht war ungerecht

    Dass das Amt der Verteidigungsministerin nicht gerade die Rolle ihres Lebens war, wird Christine Lambrecht kaum bestreiten, wenn sie eines Tages auf ihre Karriere zurückschaut. In anderen Zeiten wäre das vielleicht gar nicht so sehr aufgefallen, aber kurz nach ihrer Ernennung griff Russland die Ukraine an – und der Posten an der Spitze der Bundeswehr wurde plötzlich, im wahrsten Sinne des Wortes, kriegsentscheidend. 

    Die SPD-Politikerin war in diesem Moment die falsche Frau für diese Aufgabe. Das darf man sagen, das muss man sagen. Aber die unerbittliche Häme und Herablassung, mit der nicht nur in "Sozialen" Netzwerken, die zuverlässig den Bodensatz unserer Diskussionskultur abbilden, auf Lambrecht eingedroschen wurde, war eben nicht in Ordnung. 

    In Neuseeland hat gerade Premierministerin Jacinda Ardern ihren Rücktritt verkündet. Sie hat das vor allem damit begründet, dass ihre Akkus leer seien. Manche sagen nun, sie sei einfach zu weich für den Job gewesen. Und Ardern hat selbst stets zugegeben, dass ihr jene Teflonschicht und Abgebrühtheit fehlen, die sich die meisten Politiker im Laufe der Zeit zugelegt haben. Aber darf das wirklich zum Karriere-Killer werden? Wie kann es sein, dass jemand mit 42 Jahren nicht mehr in der Lage ist, zu regenerieren? 

    Und bevor jetzt jemand mit dem Mann-Frau-Reflex daherkommt: Das ist Quatsch. Auch Männer leiden unter dem Dauerdruck. Der erschöpfte frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber machte bei seinem Rückzug aus der ersten Reihe mit 43 Jahren keinen Hehl daraus, das es auch die Politik gewesen sei, die ihn krank gemacht hat. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth galt als Zukunftshoffnung seiner Partei und musste sich mit 51 Jahren ausgebrannt eingestehen: "Ich bin am Limit." Erst nach einer längeren Auszeit kam er wieder zu Kräften. 

    Andreas Scheuer kritisiert Druck durch Social Media

    Was also lässt sich daraus lernen? Dass Social Media ein hohes Vergiftungspotenzial für die Gesellschaft hat? Dass sich Spitzenpolitiker rund um die Uhr im Daueralarm-Modus befinden? Ja, das ist der Befund. Doch er greift zu kurz. Denn es sind nicht nur Medien und irgendwelche Twitter-Hetzer, Besserwisser oder Populisten, die dazu beitragen, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich diesen Job anzutun. Es sind auch seriöse politische Gegner, die im Affekt einer im Vorbeigehen rausgeblasenen Wortmeldung auf Facebook oder Twitter vergessen, dass ihnen nicht nur Konkurrenten, sondern auch Menschen gegenüberstehen. 

    Ein gutes Beispiel dafür ist der frühere Verkehrsminister Andreas Scheuer. Der Bayer, den alle irgendwann nur noch den "Scheuer Andi" nannten, war ein willkommenes Ziel. Dazu hat er selbst gehörig beigetragen, weil er sich wenig Mühe gab, sein nicht gerade unterentwickeltes Selbstbewusstsein zu verbergen. Und doch hat das Dauerfeuer auch bei dem scheinbar robusten CSU-Politiker Spuren hinterlassen. "Es kann jeden jeden Tag treffen. Ein ungeschickter Auftritt, eine schiefe Formulierung und die Häme ergießt sich über dich“, erzählte er kürzlich im Gespräch mit unserer Redaktion über seine Zeit als Minister – und fügte hinzu: „Du bist zu jedem Zeitpunkt unter Beobachtung. Das hat sich durch die sozialen Netzwerke brutal geändert und beschleunigt."

    Die Erwartungshaltung der Bevölkerung, der Opposition, aber auch von uns Journalisten, dass ein Kanzler und sämtliche Ministerinnen und Minister zu jeder Zeit binnen kürzester Zeit zu jedem Thema Position beziehen müssen, macht Politik schneller, aber nicht substanzieller oder besser. Doch zur Wahrheit gehört auch: Wie die agierenden Personen wahrgenommen werden, haben sie zu großen Teilen auch selbst in der Hand. Dafür gibt es ganze Stäbe von Beratern, Kommunikationsexperten und Social-Media-Teams.

    Was Olaf Scholz von seinem Vize Robert Habeck lernen kann

    Robert Habeck wurde zu Beginn seiner Zeit im Wirtschaftsministerium zu Recht für eine neue, offene und authentische Art gelobt, Politik zu erklären. Natürlich ist der Grüne ein grandioser Selbstvermarkter und weiß, sich in Szene zu setzen. Aber er hat eben auch erkannt, dass es immer noch besser ist, mal zuzugeben, wenn man noch keine Lösungen oder Antworten parat hat, als sich wegzuducken oder nur so zu tun, als habe man die Lage im Griff. Olaf Scholz könnte diesbezüglich von seinem Vize etwas lernen. Der Bundeskanzler geriet in der Panzer-Debatte auch deshalb für seine Kommunikation in die Kritik, weil selbige nicht stattgefunden hat.

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