Zu Beginn der jährlichen Erkältungs- und Grippesaison werden in Deutschland Medikamente immer knapper. Kranke, die Rezepte für Fiebersäfte, Nasensprays, Hustenstiller, Schmerzmittel oder Antibiotika einlösen wollen, bekommen in der Apotheke oft zu hören: ausverkauft, nicht vorrätig, nicht lieferbar. Auch Blutdrucksenker, Krebsmedikamente oder Magensäureblocker fehlen. Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte liegen für mehr als 300 Arzneimittel Meldungen über Lieferengpässe vor.
Einen kompletten Lieferausfall hat es nach Angaben des Instituts aber bislang nicht gegeben. Fehlt den Apotheken ein bestimmtes Produkt, müssen sie auf andere Darreichungsformen oder ähnliche Wirkstoffe ausweichen. Wenn nötig, mischen sie das passende Medikament selbst. Unversorgt gehe im Moment zwar niemand aus der Apotheke, sagt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Doch die Behandlung mit den noch verfügbaren Arzneimitteln könne „auch zu Qualitätseinbußen führen“.
Die Gründe für die Engpässe sind vielfältig. Ein Großteil der Medikamente und Wirkstoffe wird heute in Ländern wie China oder Indien hergestellt. Wegen strenger Corona-Auflagen stecken unzählige Container in asiatischen Häfen fest. Auch der Ukraine-Krieg hat die Lieferketten gestört. Weil pandemiebedingt die Grippewelle in den vergangenen Jahren schwächer ausfiel, wurde von bestimmten Medikamenten weniger produziert. Beim Schmerzmittel Paracetamol hat das Produktions-Aus eines Herstellers das Angebot verknappt.
Medikamente knapp – Vorwürfe gegen Lauterbach
Nach Meinung der Union im Bundestag ist Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mitverantwortlich für die Zuspitzung der Arzneimittel-Krise. CSU-Gesundheitsexperte Stephan Pilsinger sagte unserer Redaktion: „Leider hat die Bundesregierung aus der Corona-Pandemie und aus dem Russland-Ukraine-Krieg nichts gelernt. Die Abhängigkeit von Drittstaaten wie China und die hinreichend bekannte Lieferkettenproblematik hatten wir als Union der Bundesregierung zuletzt im Juni klar vor Augen geführt.“
Nun habe sich die Lage „nicht nur im Generika-Bereich, sondern auch bei hochpreisigeren lebenswichtigen Medikamenten verschärft.“ Pilsinger ist Arzt, er berichtet von der Verzweiflung vieler Patienten, wenn sie nicht das gewohnte Präparat bekämen. Vom Bundesgesundheitsminister wünscht er sich ein entschiedeneres Vorgehen: „Sich hier zurückzulehnen und die Hände in den Schoß zu legen, ist fahrlässig und verantwortungslos.“
Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministers verweist auf Anfrage unserer Redaktion auf mehrere Gegenmaßnahmen, die angestoßen worden seien. Schon im Jahr 2020 sei eine Strategie gegen Lieferengpässe bei Arzneimitteln beschlossen worden. Hersteller und Großhändler müssen demnach Daten zur Verfügbarkeit dem Arzneimittel-Bundesinstitut mitteilen. Das kann dann Maßnahmen gegen einen Lieferengpass ergreifen, etwa den Einzelimport von Präparaten.
Geregelt worden sei auch die Vergütung, wenn Apotheken Arzneimittel individuell zubereiten müssen, weil das Fertigmedikament fehlt. Die Sprecherin verweist zudem auf den Koalitionsvertrag, laut dem die Herstellung von Arzneimitteln nach Deutschland oder in die EU zurückverlagert werden soll. Darüber führe das Ministerium mit Herstellern und Verbänden sowie auf EU-Ebene Gespräche.
Ampel will Arznei-Produktion nach Europa zurückholen
CSU-Gesundheitsexperte Pilsinger fürchtet dagegen, dass das geplante Finanzstabilisierungsgesetz für die gesetzlichen Krankenkassen die Lage noch weiter verschärfen könnte. Denn es sieht vor, dass Pharmaunternehmen höhere Rabatte gewähren müssen, wodurch der Kostendruck weiter zu steigen drohe. Die heimische Arzneimittelindustrie mit drastischen Sparmaßnahmen zu überziehen, sei falsch, sagte er. Vielmehr müsse es jetzt darum gehen, „den Pharmastandort Deutschland mit allen politisch möglichen Mitteln zu stärken.“