Die belagerte und schwer verwüstete Hafenstadt Mariupol wird immer mehr zum Sinnbild für die Skrupellosigkeit, mit der Russland seinen Krieg in der Ukraine führt. In den vergangenen Tagen war dort zuerst eine Entbindungsklinik, dann ein Theater bombardiert worden, in dem hunderte Zivilisten Schutz gesucht hatten. Am Wochenende traf es eine Kunstschule, die ebenfalls als Zufluchtsort gedient hatte. Noch ist unklar, wie viele Menschen bei den Angriffen ums Leben kamen oder noch unter den Trümmern liegen.
Präsident Wolodymyr Selenskyi: Daran wird man sich noch Jahrhunderte erinnern
Die ständigen Gefechte lassen es kaum zu, nach Verletzten zu suchen. Laut bislang nicht verifizierbaren Angaben der Stadtverwaltung von Mariupol sollen russische Soldaten zudem tausende Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt gegen ihren Willen nach Russland gebracht haben. Vor allem Frauen und Kinder seien zwangsumgesiedelt worden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi warf dem Kreml Kriegsverbrechen vor. „Was die Besatzer einer friedlichen Stadt angetan haben, ist ein Terror, an den man sich noch Jahrhunderte später erinnern wird“, sagte er in einer Videoansprache.
Wladimir Putin braucht Mariupol, um eine Verbindung zur Krim zu schaffen
Die bestimmenden Gefühle in Mariupol sind in diesen Tagen Ohnmacht und Verzweiflung. Militärisch haben die Menschen dort den Angreifern nichts mehr entgegenzusetzen. Fällt die Stadt, wäre das für Wladimir Putin aus zweierlei Gründen wichtig. Zum einen könnte sein Militär nach vielen Rückschlägen einen sichtbaren Erfolg vermelden, und noch entscheidender: Mit Mariupol wäre die Verbindung der im Jahr 2014 annektierten Halbinsel Krim zu jenen Gebieten geschaffen, die schon jetzt von russischen Truppen oder Separatisten im Osten kontrolliert werden.
Auf einem Video, dass ein Polizeibeamter in Mariupol gedreht hat, wird das Ausmaß der Verwüstung deutlich. „Kinder und alte Menschen sterben. Die Stadt ist zerstört und wie vom Erdboden verschluckt“, sagt der Mann. Mehr als zwei Drittel der Gebäude sollen bereits beschädigt sein oder komplett in Trümmern liegen.
Erinnerungen werden wach an die Belagerung von Sarajevo im Bosnien-Krieg
Die Versorgung der Großstadt, in der bis vor kurzem noch mehr als 400.000 Menschen einen ganz normalen Alltag lebten, mit Strom, Wasser und Lebensmitteln ist schon vor Wochen weitgehend zusammengebrochen. Wenn es nicht russische Raketen sind, dann ist es der Hunger, der viele Menschen bedroht. Erinnerungen werden wach an die Tragödie von Sarajevo, das in den 90er Jahren im Bosnien-Krieg 1425 Tage belagert worden war.
Wer es irgendwie aus Mariupol herausschafft, versucht zu fliehen. Doch auch das ist lebensgefährlich – und viele wollen einfach nicht weg aus ihrer Heimat. Wohin sollen sie auch gehen? Zigtausende verstecken sich stattdessen in Kellern, in Bunkern oder anderen Schutzräumen – wie etwa dem Theater.
Satellitenbilder zeigen: Auf den Boden vor dem Gebäude hatten die Menschen noch in großen Buchstaben „KINDER“ geschrieben, um einem Luftangriff zu entgehen. Es hat ihnen nicht geholfen.
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