Das Interview des französischen Fernsehsenders TF1 dauerte erst wenige Sekunden, da war Marine Le Pens Verteidigungsstrategie schon erkennbar. Sie habe sich nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfen, versicherte die Rechtsextreme mit harter Miene und angriffslustigem Ton. „Der Rechtsstaat wurde mit Füßen getreten.“ Sie sei das Opfer einer politisch gelenkten Justiz, doch sie lasse sich keineswegs so einfach ausschalten. Nach der aufsehenerregenden Verurteilung wegen der Veruntreuung öffentlicher EU-Gelder stellt die Frontfrau des rechtsextremen Rassemblement National (RN) klar: Sie will noch lange nicht Platz machen für einen Nachfolger.
Bei einem Treffen mit Parteikadern am Dienstag legte sie nach: Das System habe „die Atombombe herausgeholt“, wolle ihr die Wahl „stehlen“. Es heißt, die 56-Jährige habe sich im Vorfeld nicht mit der Möglichkeit eines Urteils auseinandersetzen wollen, das ihrer politischen Karriere ein vorläufiges Ende setzt. Deshalb gab es auch keinen Plan B. Le Pen war unvorbereitet.
Unterstützung für Le Pen aus Ungarn und Russland
Dabei wogen die Vorwürfe schwer. In dem Prozess ging es um die Affäre um Scheinbeschäftigung von Assistenten durch mehrere französische Europaabgeordnete von Le Pens Partei Rassemblement National. Zwischen 2004 und 2016 waren Mitarbeiter als Assistenten von Abgeordneten des Europäischen Parlaments bezahlt worden, ohne für diese tätig zu sein - teils sogar ohne sie überhaupt zu kennen. Die Partei sparte sich damit Personalkosten, der Schaden für das EU-Parlament belief sich auf 4,1 Millionen Euro.
In Le Pen sahen die Richter die Hauptverantwortliche für dieses System, das auf ihren inzwischen verstorbenen Vater, Ex-Parteichef Jean-Marie Le Pen, zurückging. Verurteilt wurde sie zu vier Jahren Haft, davon zwei auf Bewährung, 100.000 Euro Bußgeld und das auf fünf Jahre befristete Verbot, bei Wahlen anzutreten. Damit ist die bisherige Favoritin für die Präsidentschaftswahl 2027 von dieser ausgeschlossen. „Im Land der Menschenrechte haben Richter Praktiken eingeführt, von denen man dachte, sie seien autoritären Regimen vorbehalten“, klagte sie. Ironischerweise erhielt sie eben von den Vertretern solcher Regimes Unterstützung. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán nannte das Urteil eine „Kriegserklärung aus Brüssel“, Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sah einen Verstoß „gegen demokratische Normen“. Auch US-Präsident Donald Trump äußerte sich kritisch.
Jordan Bardella ruft zu Protesten auf
In Frankreich sind die Reaktionen gemischt. Laut einer Umfrage des Instituts Elabe für den Sender BFMTV sind 42 Prozent der befragten Franzosen mit der Gerichtsentscheidung einverstanden, 29 Prozent nicht. Weitere 29 Prozent waren neutral. Vertreter der bürgerlichen Rechten und der Linkspartei La France Insoumise (LFI) übten hingegen Kritik am Ausschluss einer Kandidatin von Wahlen ohne die Möglichkeit, einen Berufungsprozess abzuwarten. Stimmen aus Justiz und Politik warnten indes davor, Gerichtsentscheidungen infrage zu stellen.
Unterdessen rief Le Pens politischer Ziehsohn, RN-Chef Jordan Bardella, aufgebrachte Franzosen dazu auf, sich friedlich und demokratisch gegen „eine Entscheidung der Ungerechtigkeit“ zu wehren. „Nichts wird uns davon abhalten, dafür zu kämpfen, dass wir an die Macht kommen.“ Die Partei werde nach dem Urteil alle juristischen Möglichkeiten prüfen. Der 29-Jährige, der bei den RN-Anhängern inzwischen beliebter ist als Le Pen, gerät nun noch mehr in den Fokus, auch wenn er selbst alle Spekulationen zurückweist, seine Mentorin ersetzen zu wollen.

Seit mehreren Jahren baut Le Pen Bardella zu ihrem Nachfolger auf, übergab ihm 2021 den Parteivorsitz, während sie weiterhin intern die Strippen zieht und auch den Fraktionsvorsitz in der Nationalversammlung behalten darf. Stets hieß es, sollte sie Präsidentin werden, mache sie ihn zum Premierminister. Für eine Umkehrung dieser Rollen zeigte sie sich nicht bereit, wie sie nun betonte. „Jordan Bardella ist ein toller Trumpf, um unsere Bewegung zu verteidigen; ich hoffe, wir werden diesen Trumpf nicht früher als nötig verwenden müssen.“ In der Partei ist der Sohn italienischer Einwanderer nicht unumstritten, gilt als zu unerfahren, hat die versprochene programmatische Arbeit noch immer nicht geleistet. Doch auch andere Namen kommen bislang nicht auf.
Dabei hat Le Pen nur minimale Aussichten auf eine Kandidatur bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Ihre einzige juristische Hoffnung liegt in einem künftigen Berufungsprozess, auch wenn unklar ist, ob andere Richter angesichts der belastenden Beweise anders urteilen werden. Auch könnte dieser frühestens in einem Jahr stattfinden. Das Urteil käme dann wiederum erst Wochen oder gar Monate später – dann aber hat längst der Präsidentschaftswahlkampf begonnen. Der RN braucht eine Strategie, spätestens dann.
Ach ja sie war unvorbereitet? Hatte sie 2013 nicht selbst solche Strafen gefordert und nicht nur 5 Jahre sondern Lebenslang? Die sind ja 2016 dann auch eingeführt worden. Man kann nur hoffen, dass die Franzosen nicht gar so vergesslich sind.
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