Frau Käßmann, in der Ukraine, in Gaza und an vielen anderen Orten herrscht Krieg, in Deutschland wissen viele Menschen nicht, wie Sie die Miete zahlen sollen und Sie bringen das Buch „Farben der Hoffnung. Was uns Kraft und Zuversicht schenkt“ raus. Ist das Zwangsoptimismus?
Margot Käßmann: Nein, das wäre allzu simpel. Ich erlebe ja auch, dass viele Menschen völlig in Angst und Verzagtheit gefangen sind. Aber dem möchte ich Hoffnungsfarben entgegensetzen. Denn ich bin überzeugt, dass wir die Welt bessermachen können. Wir dürfen nur nicht verzagen.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Käßmann: Die vielen so genannten „kleinen“ Leute, die mir bei Gottesdiensten, Lesungen und Vorträgen begegnen und sich so sehr in diesem Land engagieren. Zum Beispiel die Mitarbeitenden der Hospizbewegung, die sich ehrenamtlich für schwerstkranke Kinder und Jugendliche engagieren. Oder die Ehrenamtlichen der Tafeln, die Bedürftige mit Essen versorgen. Oder die vielen Freiwilligen, die bei den Flutkatastrophen geholfen haben.
Was ist mit Politikerinnen und Politikern? Machen sie Ihnen auch Hoffnung?
Käßmann: Ich will ganz klar sagen: Mir fehlen Politiker mit Empathie für die Sorgen der Menschen wie Wohnungsnot und Inflation. Menschen, die das Gemeinschaftsgefühl in diesem Land überzeugend vermitteln, das leider mehr und mehr verloren geht. Denn uns fehlt ein gemeinsames Narrativ, wir haben kaum noch Erzählungen und Rituale, die uns zusammenhalten.
Was für Politiker und Politikerinnen wünschen Sie sich?
Käßmann: Ich weiß, das wird nicht mehr gerne gehört, aber wir brauchen Persönlichkeiten wie Angela Merkel, jemanden, der die Sorgen der Menschen aufnimmt und mit Charisma sagt: „Wir schaffen das.“
Die berühmtesten Worte ihrer 16-jährigen Regierungszeit sagte Merkel am 31. August 2015 und meinte damit die Aufnahme und Integration von Geflüchteten. Wenn Sie neun Jahre später Bilanz ziehen: Finden Sie, dass Merkel Recht hatte?
Käßmann: Das Migrationsthema stellt das Land heute vor eine Zerreißprobe. Das zeigt: Wir haben die Integration von Geflüchteten nicht wie erhofft geschafft. Aber wir haben viel geschafft! Ich sehe Menschen, die 2015 als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind und hier inzwischen sehr gut integriert sind. Deshalb finde ich, dass Deutschland viel stolzer darauf sein sollte, wie viele Menschen hier integriert sind, gerne hier leben und Vielfalt schaffen. Ich denke, dass wir viel zu wenig würdigen, wie sich unser Land aus diesem Muff der 50er Jahre verändert hat.
Sie haben auf Demonstrationen gesprochen, die als Reaktion entstanden auf ein Treffen von Rechtsradikalen, bei dem über die Ausweisung von Menschen mit Migrationshintergrund diskutiert wurde. Hat Ihnen das Hoffnung gemacht?
Käßmann: Ja, die Demonstrationen haben mir wirklich große Hoffnung gemacht, weil sie gezeigt haben: „Wir sind das Volk“– also diejenigen, die gerne in diesem Land leben, die sich am Regenbogen der Verschiedenheit erfreuen, die sich nicht in irgendeine Monokultur zurückbeamen lassen wollen. Das heißt jedoch nicht, dass ich Probleme kleinreden möchte.
Bei den Landtagswahlen Thüringen und Sachsen feierte die AfD große Erfolge. Macht Ihnen das Angst?
Käßmann: Angst wäre zu viel gesagt, aber es besorgt mich. Und es löst in mir Enttäuschung aus, weil wir es anscheinend seit 1989 nicht geschafft haben, dass Menschen in Ostdeutschland das Gefühl haben: „Ja, das ist unser Land, wir fühlen uns wohl in dieser Demokratie.“ Stattdessen haben viele Menschen in Ostdeutschland offenbar den Eindruck: „Wir werden mit unseren Sorgen, Ängsten und Fragen in der Berliner Blase – die da sein soll – nicht gehört.“ Und dann schließen sie sich einer Partei an, die in diesem Land nicht für Frieden, sondern für Unfrieden sorgt.
Können Sie dennoch nachvollziehen, warum Menschen bei der AfD ihr Kreuzchen machen?
Käßmann: Aus Gesprächen mit Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind, weiß ich natürlich, dass sie alle nach ‘89 diesen gigantischen Bruch erlebt haben. 80 Prozent der Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren, mussten sich verändern. Hinzu kam die Arroganz der Westdeutschen, die alles besser wussten und den Menschen im Osten beispielsweise schlechte Autos teuer verkauft haben. Das führte zum Gefühl, über den Tisch gezogen worden zu sein und nicht ernst genommen zu werden. Diese Erfahrung wirkt auch nach vielen Jahren noch sehr massiv. Die Westdeutschen haben den Ostdeutschen zu wenig zugehört. Es gab und gibt zu wenig Wertschätzung für ostdeutsche Biografien.
Macht Ihnen der zunehmende Antisemitismus Sorgen?
Käßmann: Dieser Antisemitismus ist für mich unbegreiflich! Die Brutalität der Hamas – mehr als 1200 Menschen zu ermorden, abzumetzeln, Kinder und Frauen zu vergewaltigen, Geiseln zu nehmen – die muss doch wahrgenommen werden! Ich habe auch tiefste Empathie mit den Menschen in Gaza, die in einer unerträglichen Notlage sind. Aber das kann man doch nicht gegeneinander ausspielen! Man muss doch unterscheiden können zwischen der Regierung Netanjahu, dem Staat Israel, dem Judentum. Und auch zwischen der Hamas und ihrem Attentat und der Gegenreaktion. Ich finde, so viel Differenzierung muss möglich sein. Antisemitismus hat in diesem Land nichts zu suchen! Wir müssen uns dem massiv entgegenstellen.
Sie gehörten im Februar letzten Jahres zu den Erstunterzeichnerinnen des von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten „Manifests für den Frieden“. Darin wird gefordert „die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen“ und sich für „Friedensverhandlungen“ einzusetzen. Würden Sie das heute noch unterschreiben?
Käßmann: Ja, weil im Mainstream der Medien – das muss ich jetzt mal so sagen – immer so getan wird, als seien Waffenlieferungen das einzige, worüber überhaupt gesprochen werden kann. Jeder Krieg ist ein Krieg zu viel, und dieser Krieg dauert jetzt schon viel zu lange. Zudem zeigt es sich, dass immer mehr Waffen daran nichts ändern. Ich habe gerade wieder gehört, dass selbst General a. D. Harald Kujat, der ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, davon ausgeht, dass dieser Krieg nicht auf dem Schlachtfeld entschieden wird.
Also verhandeln statt Waffen liefern?
Käßmann: Ja, ich bin weiterhin Pazifistin. Ich bin der Meinung, dass die ganze Kraft und die ganzen Milliarden statt für Waffenlieferung lieber dazu verwendet werden sollten, alles zu tun, um diplomatischen Druck zu erzeugen, dass es zu einem Waffenstillstand kommt.
Waffen könnten für die Ukraine eine bessere Ausgangslage für Verhandlungen schaffen.
Käßmann: Ich habe auch gelesen, dass der Blutzoll der Ukraine und Russlands zunächst erhöht werden muss, um eine bessere Ausgangsposition für Verhandlungen zu schaffen. Ich halte das für zynisch, weil so mit Menschenleben gespielt wird. Meines Erachtens muss alles getan werden, damit die Waffen endlich schweigen. Waffen sind nicht die Lösung, sondern das Problem.
Lassen Sie uns zum Schluss noch über die Kirche reden. In einer Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche ist von mindestens 2225 Betroffenen und 1259 mutmaßlichen Tätern die Rede.
Käßmann: Die Studie hat mich wirklich getroffen, denn ich liebe meine Kirche. Ich habe mein ganzes Leben in dieser Kirche verbracht. Ich war als Kind und Jugendliche sehr, sehr gerne in der Kirche, habe viele Freizeiten mitgemacht und nie sexuelle Übergriffe miterlebt. Aber natürlich ist die Kirche kein anderer Raum als die Welt, denn sie wird von Menschen gestaltet. Was mich wirklich zornig macht ist, dass einige Männer – die Leiter der Studie haben gesagt, dass in diesem Fall nicht gegendert werden muss – ihre Machtposition missbraucht haben, um Kinder brutal zu missbrauchen. Dass der sexuelle Missbrauch zudem bewusst vertuscht wurde, ist nicht entschuldbar.
Was bedeutet das für die Kirche?
Käßmann: Mir hat kürzlich jemand gesagt: „Ich bringe meine Kinder doch nicht in den Kindergottesdienst – zu diesem Kinderschänderverein!“ Das tut mir wirklich weh. Auch weil ich als Kind und Jugendliche erlebt habe, wie toll Kindergottesdienst war. Und jetzt spreche ich mit Diakonen, die keine Konfirmandenfreizeit mehr begleiten wollen, weil sie Angst haben, das etwas passieren könnte, das gegen sie verwendet werden könnte. Neulich hat mir ein Kita-Erzieher erzählt, dass ein Kind auf seinen Schoss wollte, er jedoch Angst hatte, dass es falsch interpretiert werden könnte. Es ist so viel zerstört worden! Die Täter haben nicht nur Kindern entsetzliche Gewalt angetan, sondern auch all die verraten, die sich in der Kirche für Kinder und Jugendliche eingesetzt haben und einsetzen.
Sie fragen in Ihrem Buch: „Wenn Gott existiert, wie kann er zulassen, dass es so viel Elend gibt?“ Was antworten Sie?
Käßmann: Die Antwort, die ich in meinem Leben gefunden habe, ist: Gott schickt kein Leid. Gott schickt keine Hamas-Terroristen und Gott schickt keine russischen Angriffspanzer. Gott ist auf der Seite der Leidenden und gibt denen, die leiden, die Kraft, gegen das Leid anzustehen und mit dem Leid umzugehen.
Zur Person: Die streitbare Theologin Margot Käßmann, 66, war Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Nachdem sie dabei erwischt worden war, als sie mit ihrem Dienstwagen betrunken eine rote Ampel überfuhr, trat sie 2010 zurück. Sie hat vier erwachsene Töchter und sieben Enkelkinder. 2007 ließen sie und der Vater ihrer Kinder, Pastor Eckhard Käßmann, sich scheiden. Seit 2014 ist sie mit ihrer Jugendliebe Andreas Helm liiert.
Schön herausgearbeitet wurde ihre Einstellung zu Waffenlieferungen an die Ukraine in einem Streitgespräch in der "Zeit". Dort meinte sie: "Die Bergpredigt provoziert: Was passiert, wenn du die andere Wange hinhältst, statt zurückzuschlagen? Du verstörst den Angreifer, weil er das nicht erwartet. Nur so wird die Spirale der Gewalt unterbrochen! Du zwingst den Aggressor, aus der Logik des Krieges herauszutreten." Vollkommen hilflos und naiv (Putin läge lachend unterm Tisch), würde ich das bezeichnen und angesichts der 1000 Zeichen-Regel belasse ich es dabei. Auch sehr bitter, dass sie als anerkannte und sympathische Theologin einer Populistin wie Wagenknecht den Steigbügel hält. Ich glaube, ich kaufe lieber ein altes Buch von Helmut Schmidt, bevor ich mir den neuesten Käßmann antue.
@Herr Markl, zu diesem Thema formulierte der NZZ-Chefredakteur Gujer z. B. folgende Sätze: „Wenn die kollektive Hysterie wütet, muss man sich verweigern. Auch das ist Zivilcourage“ und „Die Ostdeutschen mit ihrer größeren Distanz zu Eliten und Parteien haben ein feines Gespür für erodierende Glaubwürdigkeit“. (Quelle: www.nzz.ch/meinung/hoecke-ist-nicht-hitler-seit-dem-wahlsieg-der-afd-in-thueringen-herrscht-hysterie-ld.1846937; 06.09.2024) Und wie auch ich hier vor einigen Wochen schrieb, meint auch Gujer, dass ein Vergleich mit der Weimarer Republik (die Niederlage im 1. WK hatte hohe Reparationen, Hyperinflation etc. zur Folge) unzulässig ist. Wie nahezu alle Kommentatoren dort, halte ich den Artikel für überaus lesenswert.
@Herr Eimiller: Ich glaube sie bewegen sich jetzt zu weit vom Thema weg (Käßmann) und zum anderen will Höcke tatsächlich eine ganz andere Republik. Die historischen Vergleiche und Beschwichtigungsversuche aus der sicheren Schweiz helfen mir da nicht weiter. Auf der anderen Seite steht Gujer für Waffenlieferungen inkl. Taurus an die Ukraine https://www.nzz.ch/der-andere-blick/krieg-gegen-ukraine-deutschland-macht-sich-zum-nuetzlichen-idioten-putins-ld.1823130 Ich habe nach wie vor ein Bedürfnis Helmut Schmidt zu lesen...jedenfalls nicht NZZ und Käßmann
Herr Markl, zunächst besten Dank für Ihre Antwort. | Die 1000-Zeichen-Regel finde ich auch nicht gut. Deshalb nur ganz kurz der Hinweis: Ich befand mich gedanklich in den Abschnitten nach dem Fettgedruckten: "Sie gehörten im Februar letzten Jahres zu den Erstunterzeichnerinnen des von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten „Manifests für den Frieden“.
Ich sehe das Problem bei Frau Käßmann darin, dass Sie an jemanden glaubt, den es nicht gibt und dadurch Ihr Blick auf die Realtät eines Krieges verzerrt wird. " Nicht Gott hat den Mensch erschaffen, sondern der Mensch Gott".
Herr Steger, unser Dorfpfarrer und zugleich Religionslehrer hieß Georg Steger und hat in den 1960er mit aller Gewalt versucht, uns Kinder von der Existenz Gottes zu überzeugen. Um Ihren Kommentar besser einordnen zu können, hätte ich jetzt folgende Fragen an Sie: Was gibt Ihnen die Sicherheit für Ihre apodiktische Aussage? Evtl. eigene Forschungsergebnisse? Wieso ist für Sie die Glaubensfrage so entscheidend bei der Wertschätzung von Leben? Was halten Sie von Mahatma Gandhi? (Gandhi sagte einmal: „Gewalt ist die Waffe der Schwachen, Gewaltlosigkeit die der Starken.")
Herr Eimiller, meine Aussage ist nicht apodiktisch. Als Atheist respektiere ich jeden Christ, der an Gott glaubt. Meines Wissens ist der christliche Gott allmächtig. Warum soll er dann nicht auch für das millonenfache Sterben in Kriegen verantwortlich sein ? Ist er nur für das Gute zuständig? Der Ausspruch von Gandhi klingt schön für uns, die wir in Frieden leben. Was glauben Sie, was Menschen in der Ukraine oder in Gaza davon halte.?
Herr Eimiller Wer gibt IHNEN das Recht zu Glauben sie hätten recht? Die Geschichten aus der Bibel, sollten sie mal zwischen den Zeilen lesen, oder die Erzählungen von Teilweise Pädophilen Pfarrern? Und wenn wir von ihrer und denen ihrer Mitgläubiger geglaubten „Wahrheit“ ausgehen, dann hat dieser Gott zig Milliarden Menschen und Tiere getötet! Beispiele? Kindermord in Ägypten, Sintflut, Abraham sollte seinen Sohn Opfern usw.. Vom Einfluss der Kirche über tot und leben ganz zu Schweigen! Aber Gehirnwäsche funktioniert ja heute noch sehr gut, muss man ja nur in diese Zeit schauen.
Herr Demirovic für mich abschließend Folgendes: Ich habe keinen orthodoxen Glauben und die Verfehlungen der Kirche und auch die menschlichen Verfehlungen der in der Kirche Wirkenden schmerzen auch mich. Apropos Orthodoxe: Wenn z. B. die Juden (das Judentum zählt wie der Islam und das Christentum zu den abrahamistischen Religionen) sich als das auserwählte Volk Gottes sehen, dann schreckt mich das fast genauso ab, wie wenn hier in unserer Community ein Grundrecht in Frage gestellt wird, nämlich das Recht zu glauben. – vgl. z. B. www.uni-potsdam.de/de/rechtskunde-online/rechtsgebiete/oeffentliches-recht/grundrechte/glaubens-und-religionsfreiheit-art-4-gg „Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Incarnation des primitiven Aberglaubens.“ (so Albert Einstein 1954, zu finden unter wiki/Auserwähltes_Volk)
Darum hat Gott uns ein Hirn gegeben.. damit wir uns, jeder einzelne entscheiden kann ob wir, oder an was, wen wir glauben, oder auch nicht.. Jeder einzelne Mensch ist einmalig, es gibt ihn nicht zweimal.. und jeder hat die Entscheidung zu tun, was für ihn gut, schlecht oder was er für richtig hält.. Wenn sie jemanden zitieren der ihren Gedanken nahe ist.. so schließen sich dessen Meinung an... Und zu denken dass der andere falsch denkt wenn er etwas anders sagt, meint, ist von ihnen falsch gedacht.. Der Glaube hat mir in meiner schweren Krankheit etwas gezeigt, ich musste erst in mir was anstoßen, mir zu vertrauen, zu glauben dass ich gesund werden kann, um dann den Ärzten vertrauen zu können. Unsere Existenz ist die Tatsache des Seins..... Ich schließe mich Käßmanns Worten an.. "Gott schickt keine Hamas Terroristen und keine russischen Panzer." Wenn es drauf ankommt brauchen wir einen der die Schuld für uns auf sich nimmt..
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