Mit echten Sympathieträgern, die die Herzen der Wählerinnen und Wähler erreichen, ist die erste Reihe der SPD derzeit nicht gerade reich gesegnet. Malu Dreyer ist so eine. Als Ministerpräsidentin regierte sie seit 2013 Rheinland-Pfalz. Am Mittwoch kündigte die 63-Jährige ihren Rücktritt an. Ihre Nachfolge tritt Arbeitsminister Alexander Schweitzer an. „Ich gehe mit schwerem Herzen, weil ich nicht amtsmüde bin“, sagte Dreyer. Sie trete zurück, weil sich ihre Akkus nicht mehr so schnell wie früher aufladen würden. Sie müsse immer mehr Energie aufbringen, um ihre Aufgaben als Ministerpräsidentin zu bewältigen, und komme an ihre Grenzen.
Mit Dreyer verlieren die Sozialdemokraten eine Politikerin, die für soziale Gerechtigkeit und Fairness stand. Dass sie trotz ihrer schweren Krankheit – sie leidet an Multipler Sklerose, einer Nervenkrankheit – vollen politischen Einsatz zeigte, rechneten ihr viele Menschen hoch an. Immer wieder gibt es Phasen, in denen sie auf einen Rollstuhl oder zumindest eine Gehhilfe angewiesen ist, sich schonen wollte Dreyer dennoch nie. Sie sagte einmal: „Ich leide nicht, ich habe meinen Frieden mit der Krankheit gemacht, kämpfe nicht mehr dagegen an.“ Besonders nach der Flutkatastrophe im Ahrtal zeigte die beliebte Politikerin große Präsenz, festigte ihren Ruf als kompetente und zugleich nahbare Politikerin. Ihre Popularitätswerte waren hoch, Wahlen gewann sie klar, selbst die politische Opposition zollte ihr Respekt. Zwei Ministerpräsidentinnen hat die SPD künftig noch in ihrer Männerriege: die umstrittene Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern und Anke Rehlinger im Saarland.
Die Amtsgeschäfte an ihren Nachfolger übergeben will die Juristin am 10. Juli. Die Strategie: So hat der „Neue“ noch Zeit, sich einen Amtsbonus vor der regulären Landtagswahl im Frühjahr 2026 zu erarbeiten. Das Bundesland ist seit 1991 in SPD-Hand, damals eroberte Rudolf Scharping die Staatskanzlei für die Genossen. Dreyer übernahm 2013 von Kurt Beck, dessen Motto „Nah bei de Leut sein“ sie gerne übernahm. Überraschend kommt ihr Rücktritt nicht, schon länger wurde darüber spekuliert, dass sie nach den Europawahlen eine Entscheidung treffen wolle.
Dreyer führt in Rheinland-Pfalz eine Ampelregierung an
Geboren wurde Dreyer in Neustadt an der Weinstraße. Dass sie in der SPD einst Karriere machen würde, war ihr nicht in die Wiege gelegt. Ihr Elternhaus war CDU-geprägt, der Vater Schuldirektor, die Mutter Erzieherin. Doch schon als Studentin setzte sie sich für Frauenrechte im Besonderen und Menschenrechte im Allgemeinen ein. Statt Marie-Luise ließ sie sich Malu nennen – zu bieder erschien ihr ihr vollständiger Name. 1991 wurde sie zur Richterin ernannt, der SPD trat sie 1995 bei. Ihr Weg führte geradezu klassisch von der Kommunalpolitik in die Landespolitik, sie war die erste Frau überhaupt, die das Land Rheinland-Pfalz regierte. Dort tut sie das, womit sich Berlin schwertut: Sie führt eine Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP – und das im Gegensatz zu Kanzler Olaf Scholz sogar recht geräuschlos. Das, so berichten Weggefährten, liege auch an Dreyers Stil: Sie gebe ihren Partnern das Gefühl, dass sich alle auf Augenhöhe begegnen.
Ihr Nachfolger tritt also in große Fußstapfen. Der 50-jährige Schweitzer gilt schon lange als charmanter Hoffnungsträger der Partei. Zudem gilt er als Machtpolitiker – der warten kann. Der 2,06-Meter-Mann ist großer Fan des Fußballvereins 1. FC Kaiserslautern, sein persönlicher Lieblingssport ist aber Basketball. Aktuell ist er Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung. Schweitzer ist in der Landespartei gut vernetzt und viel im Land unterwegs. Er meldet sich immer wieder auch bundespolitisch zu Wort und hat gute Drähte in die Berliner SPD. Dem Parteivorstand der Bundespartei gehört er seit 2017 an. Auch deshalb setzte er sich wohl gegen Innenminister Michael Ebling durch, der als Dreyers Favorit gehandelt worden war.
Ein Nachfolger für Schweitzer im Amt des Ministers für Soziales, Arbeit, Transformation und Digitalisierung steht noch nicht fest. Dafür sei es noch zu früh, sagte der aus der Pfalz stammende Schweitzer. Eine Kabinettsumbildung werde es nicht geben, dafür gebe es keine Notwendigkeit. Der künftige Ministerpräsident kündigte an, an der Ampelregierung festhalten zu wollen. (mit dpa)