Es war eines der Dauerthemen vor wenigen Jahren: Die Deutsche Umwelthilfe trieb mit ihren Klagen die Politik regelrecht vor sich her. Weil die Regierungen in Bund und Ländern die Schadstoffbelastung in den Städten quasi ignorierte, konnte DUH-Chef Jürgen Resch mithilfe von Gerichten ein städtisches Fahrverbot nach dem nächsten durchsetzen. Die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns für Bürger und Firmen hat das Thema in den Hintergrund gedrängt. Doch nun machte die EU-Kommission deutlich, dass saubere Luft auch künftig ein Thema bleibt – und sogar
gemacht werden könnten.Der Jahresgrenzwert für Feinstaub soll nach dem Willen der EU-Kommission bis 2030 um mehr als die Hälfte gesenkt werden. Die Belastung durch Feinstaub mit einer Partikelgröße von bis zu 2,5 Mikrometer soll von 25 auf 10 Mikrogramm pro Kubikmeter reduziert werden, teilte die EU-Kommission am Mittwoch mit. Die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) soll künftig bei nur noch 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen, nicht mehr wie bisher bei 40 Mikrogramm. Insgesamt listet die Kommission zwölf Luftschadstoffe in ihrem Vorschlag auf. "Jedes Jahr sterben hunderttausende Europäer vorzeitig, und viele weitere leiden an Herz- und Lungenkrankheiten oder durch Umweltverschmutzung verursachte Krebserkrankungen. Je länger wir mit der Verringerung dieser Verschmutzung warten, desto höher sind die Kosten für die Gesellschaft", sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. Konkrete Vorgaben, wie die Werte eingehalten werden sollen, macht die Kommission nicht. In Deutschland würde bei einer entsprechenden Verschärfung zum Beispiel der Stickstoff-Grenzwerte aktuell an über der Hälfte der Messstationen das vorgeschlagene Limit überschritten.
Schlechte Luft ist ein Gesundheitsrisiko
"Luftverschmutzung ist nach wie vor der größte umweltbezogene Risikofaktor für Krankheiten und vorzeitige Sterbefälle in Europa", sagt Barbara Hoffmann, Leiterin der Arbeitsgruppe Umweltepidemiologie an der Universität Düsseldorf. "Alle profitieren gesundheitlich von einer besseren Luftqualität, besonders Kinder, Schwangere, Menschen mit Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen und ältere Menschen." Eingeatmeter Feinstaub führe nicht nur zu schweren Herz- und Lungenerkrankungen, löse Krebs aus und schädige – ähnlich wie Tabakrauch – ungeborene Kinder, sondern könne bis in das Gehirn vordringen und Demenz auslösen beziehungsweise die geistige Entwicklung von Kindern bremsen, so die Umwelt-Expertin.
Für sie ist eine Absenkung der Schadstoff-Grenzwerte auch eine schlichte Kosten-Nutzen-Rechnung. "Der Nutzen wird auf 38 Milliarden Euro im Jahr 2030 beziffert, während die Kosten für eine Absenkung auf nur 7 Milliarden in 2030 geschätzt werden", so Hoffmann. "Es ist daher umso erstaunlicher, dass die Kommission auf Basis dieser Berechnungen keine ehrgeizigeren Ziele vorgeschlagen hat." Zwar werde damit eine Verbesserung erzielt, doch die Weltgesundheitsorganisation WHO fordere schon lange viel ehrgeizigere Ziele. Bei mehr als 5 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft und mehr als 10 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft komme es zu schwerwiegenden Erkrankungen und Todesfällen.
Andere Experten bewerten den EU-Vorstoß euphorischer: "Fakt ist: Die Folgen der Luftverschmutzung in der Außenluft wurden lange Zeit deutlich unterschätzt", sagt Hans-Peter Hutterer, Fachmann für Umweltmedizin an der Medizinischen Universität Wien. Deshalb kommt er zu dem Schluss: "Dieser Vorstoß ist mehr als ein mutiges Signal. Nun gilt es diesen Vorschlag auch ‚durchzubringen‘. Die entsprechenden Lobbys – Interessenvertretungen der Automobilindustrie und so weiter – werden hier sicher mit sehr viel Energie versuchen, gegenzusteuern", so Hutterer. "Aus umweltmedizinischer Sicht ist dies endlich eine zukunftsweisende Politik, die wir mit aller Kraft unterstützen werden."
Was muss die Politik tun, um die Grenzwerte für Luftqualität einzuhalten?
Im Bundesumweltministerium hingegen gibt man sich zurückhaltend. Die Festlegung von Grenzwerten, etwa für die Feinstaubbelastung, unterliege immer Fragen der Abwägung, erklärte ein Sprecher des Ministeriums am Mittwoch in Berlin. "Auf der einen Seite haben wir den Schutz der Gesundheit, den Schutz der Umwelt, den Schutz der Luftqualität. Wir müssen auf der anderen Seite aber auch anerkennen: Niemand kann wollen, dass wir uns nicht mehr bewegen, dass wir keine Mobilität mehr haben." Insgesamt habe sich die Luftqualität in den vergangenen Jahren zwar nicht ausreichend, aber deutlich verbessert.
Doch sollte der EU-Vorschlag angenommen werden, wird sich auch Deutschland stärker bemühen müssen. "Sehr viele Messstationen, auch in Deutschland, liegen derzeit noch über 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel und die Rückgänge sind langsam", sagt Volker Matthias, Umweltchemiker am Helmholtz-Zentrum. Allerdings habe der Lockdown während der ersten Phase der Corona-Pandemie gezeigt, dass wesentliche Reduktionen bei den Stickoxiden möglich sind, wenn der Verkehr stark eingeschränkt oder elektrifiziert werde. Dennoch ist es nicht allein der Verkehr, der die Luft belastet: In Hafenstädten ist der wachsende Schiffsverkehr mitverantwortlich, auch lange Trockenphasen und Waldbrände tragen zu einer zunehmenden Belastung bei, genauso wie die intensive Nutzung von Holz und Kohle zur Gebäudeheizung.