Jetzt verspotten die Klimakämpfer ihren besten Mann. Eigentlich ist Robert Habeck einer von ihnen, aber in ihren Augen ist er abgefallen. Von der grünen Seite auf die schwarze Seite des Kohlekonzerns RWE. „Habeck, Habeck, du warst mal o. k., doch dann kam RWE“, ätzt die Kölner Band AnnenMayKantereit bei einem Auftritt im besetzten Dorf Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier.
Die Musiker singen es auf die Melodie des Blödellieds „Jesus“ aus den 90er Jahren, das einst Olli Dittrich und Wigald Boning zusammenreimten. Hinter der Bühne sind die verschlingenden Schaufeln der Bagger des Energiekonzerns RWE schon bedrohlich nah. Habeck hat gemeinsam mit seiner Parteifreundin Mona Neubaur den Kohlefahrplan mit RWE ausgehandelt. Habeck ist Wirtschaftsminister für ganz Deutschland, Neubaur für das Industrieland Nordrhein-Westfalen.
Die echten Lützerather sind längst weggezogen
Der Deal sieht vor, dass RWE jetzt mehr Kohle im Tagebau Garzweiler abbaggern darf und dafür im Jahr 2030 Schluss macht mit der Stromerzeugung aus dem heimischen Rohstoff. Das ist acht Jahre früher als ursprünglich geplant. Damit RWE jetzt mehr Kohle aus der Erde holen kann, um in der Energiekrise mehr Strom zu produzieren, soll der Weiler weichen.
In Lützerath wohnen keine Lützerather mehr. Sie sind alle weggezogen. Eingezogen in die leeren Häuser sind Klimaschützer. Sie wollen das Örtchen verteidigen gegen die Polizei und den RWE-Werkschutz. Es sind nicht nur Brav-Bewegte darunter, sondern auch Aktivisten der harten Gangart. Sie haben Sperren aus Eisen, Beton und Reifen gebaut, Häuser verrammelt. Greenpeace hatte eine Mahnwache abgehalten. Mehrere tausend Klimaschützer hatten sich am Wochenende versammelt. Derzeit sind es wohl nur einige hundert, die die Polizei stoppen wollen. Am Dienstag begannen die Einsatzkräfte mit dem Räumen erster Barrikaden.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger kämpft gegen die Räumung. „Der Preis ist zu hoch! Die Kohle unter Lützerath muss im Boden bleiben“, sagt die 35-Jährige. Über den Kurznachrichtendienst Twitter lässt sie die Welt mit Bildern und kurzen Videos an der Blockade teilhaben. Sie weiß aber auch, was das mit der Umweltbewegung und ihrem parlamentarischen Arm macht. „Ein Problem dieses Deals ist, dass er einen Riss verursacht zwischen der Bewegung und der Partei.“
Luisa Neubauer: Es ist nicht radikal, in Lützerath zu sein
Wenn es eine Gallionsfigur der Bewegung gibt, dann ist es Luisa Neubauer, die einst die riesigen Demos von Fridays for Future anführte. „Es ist nicht radikal dort (in Lützerath) zu sein, es ist radikal, der Zerstörung freien Lauf zu lassen“, meint Neubauer. Die 26-Jährige ist selbst Grünen-Mitglied, erhielt für ihr Studium der Geografie ein Stipendium der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung. Ihre Mutter engagierte sich einst in der Anti-Atom-Bewegung. Grüner als Neubauer kann man kaum sein. Der Riss zieht sich also in die Partei hinein. Der Chef der Grünen Jugend, Timon Dzienus, hat bereits angekündigt, sich notfalls aus Lützerath von der Polizei wegschleppen zu lassen.
Das Partei-Establishment versucht, die Abgefallenen mit Verständnisgesten zu umarmen. Die Aufgabe übernimmt die Parteivorsitzende Ricarda Lang, Robert Habeck äußert sich nur, wenn er unbedingt muss. Lang übernimmt die Rolle der Schmerzensfrau, die immer wieder betont, wie schwer ihr Lützerath zu schaffen mache. Das Gebot der Stunde sei Deeskalation.
Der Kampf um die leeren Häuser erinnert an den Kampf um den Hambacher Forst im Jahr 2018. Damals gewann das Klimalager nach wochenlangen schweren Scharmützeln mit der Polizei. Ein Journalist verlor dabei sein Leben. Die Bäume sollten seinerzeit für die Braunkohlebagger weichen. Seinerzeit stritten die Grünen Seit an Seit mit den Klimaschützern, Annalena Baerbock besuchte die Protestler. Das Roden des alten Waldes sei falsch, sagte sie damals. „Es zerstört auch das Vertrauen in die Politik.“ Es ist wie ein Déjà-vu unter anderen Vorzeichen. Genau das geschieht den Grünen in diesen Tagen in Lützerath.