Es war eine Aussage, die britische Radiohörer aufhorchen ließ: „Ich wollte, dass Boris Johnson weitermacht“, er habe einst einen „fantastischen Job“ gemacht, sagte Außenministerin Liz Truss, eine der beiden Finalisten im Rennen um seine Nachfolge, gestern.
Sie heizte damit die Diskussionen um ein Problem an, das sie mit ihrem Konkurrenten, dem früheren Finanzminister Rishi Sunak, teilt und welches die britische Tageszeitung The Independent so umriss: „Die Torys lassen Johnson hinter sich und machen mit Ministern weiter, die ihn unterstützt haben.“ Ist so ein Neuanfang möglich? Diese Woche verließ Noch-Premierminister Johnson die politische Bühne des Parlaments. Zum letzten Mal beantwortete er Fragen im Unterhaus. Als er den Saal verließ, klatschten viele Torys. Doch wer genau hinsah, konnte die Erleichterung in ihren Gesichtern sehen. Viele sind froh, ihn endlich loszuwerden. Schließlich hat er durch seinen von Lügen und Halbwahrheiten geprägten Führungsstil großen Schaden angerichtet.
Sunak und Truss setzten sich in mehreren Wahlrunden gegen sechs weitere Bewerber durch. Abgestimmt hatten die konservativen Parlamentsabgeordneten. Nun müssen die beiden die Basis der Partei überzeugen. Denn sie ist es, die darüber entscheiden wird, wer neuer Parteichef und damit Premierminister wird. Das Ergebnis soll am 5. September verkündet werden. Liz Truss versucht zu überzeugen, indem sie sich als Reformerin präsentiert, vor allem aber, indem sie zur Bewältigung der Lebenshaltungskostenkrise massive Kürzungen von Steuern und Abgaben verspricht – finanziert durch Kredite. So wie einst Margaret Thatcher. Jene Premierministerin also, die in den Achtzigerjahren durch ihre liberale Wirtschaftspolitik Großbritannien zu Wachstum und Reichtum gebracht hat. Was gut klingt, hat jedoch einen Haken: Die Maßnahme würde wohl die Inflation im Land weiter in die Höhe treiben. Rishi Sunak will deshalb zunächst die Preissteigerungsrate in den Griff bekommen und erst mittelfristig die Steuern senken. Als pragmatischer Kandidat hat er damit bislang zwar die Abgeordneten überzeugt, nicht aber die Basis, bei der Truss in Umfragen aktuell vorne liegt.
Langfristig wird es für die Torys zum Problem werden, dass sowohl Sunak als auch Truss an dem Chaos, das in den letzten Monaten in der Regierung herrschte, beteiligt waren. Sunak erhielt wie Johnson ein Bußgeld, weil er durch seine Teilnahme an einer Feier im Jahr 2020 gegen Corona-Regeln verstoßen hatte. Truss betont bis heute ihre Loyalität gegenüber dem Noch-Premierminister. Während ihr dies vielleicht kurzfristig hilft, um Johnson-Fans von sich zu überzeugen, schadet sie den Torys damit auf lange Sicht. Denn die Labour-Partei wird immer wieder an die Verfehlungen Johnsons erinnern – und daran, dass ihm sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin dennoch die Stange gehalten haben.