Als der britische Finanzminister Kwasi Kwarteng vergangene Woche die Maßnahmen im Parlament aufzählte, die die neue Regierung plant, um für Wachstum zu sorgen, war er nach einer Weile hörbar heiser, so lang ist die Liste. Im Zentrum stehen dabei neben einem milliardenschweren Hilfspaket für Privathaushalte und Unternehmen auch massive Steuersenkungen für Firmen und Besserverdiener. „Wir benötigen einen neuen Ansatz für eine neue Ära“, sagte er, während
entrüsteten Rufen aus der Opposition mit einem siegessicheren Lächeln begegnete.
Energiepreise, Gesundheitssystem und Wirtschaft: Drängende Probleme müssen besprochen werden
Nach der zehntägigen Trauerphase anlässlich des Todes von Königin Elizabeth II. waren sich viele Britinnen und Briten einig, dass es Zeit ist, sich wieder dem Alltag und drängenden Problemen zuzuwenden. Unternehmen und private Haushalte ächzen unter den steigenden Energiepreisen, das nationale Gesundheitssystem NHS ist überlastet und die Wirtschaft erholt sich nach der Pandemie langsamer als in vielen anderen Ländern in Europa und weltweit. Viel Arbeit also für Truss, die erst vor knapp zwei Wochen, nur zwei Tage vor dem Tod der Queen, ins Amt gehoben wurde.
Wie bereits im Verlauf ihres Wahlkampfes angekündigt, will sie die Wirtschaft durch Steuersenkungen in Schwung bringen. Es ist eine Umkehr der Politik unter Boris Johnsons Finanzminister Rishi Sunak, der auf eine Gegenfinanzierung für Hilfsleistungen bestanden hatte. Nun hat die Regierung ihren lange erwarteten sogenannten „Mini-Haushalt“ verkündet, der alles andere als klein ist.
In der Kritik: Hohe Steuersenkungen auch für Besserverdienende
So sollen unter anderem die Erhöhungen der Sozialversicherungsbeiträge und der Körperschaftsteuer rückgängig gemacht und der Spitzensatz der Einkommensteuer für Besserverdienende gesenkt werden. Insgesamt sollen Steuerzahler laut Angaben der Regierung bis ins Steuerjahr 2026/27 um über 50 Milliarden Euro entlastet werden. Finanziert werden soll das Programm mit höheren Staatsschulden.
„Dies ist die höchste Steuersenkung seit dem Jahr 1972“, kommentierte Paul Johnson, Chef des Forschungsinstitutes „Institute for Fiscal Studies“, den Schritt. Die Gefahr bestünde nun allerdings darin, dass die Inflation durch das zusätzliche Geld weiter steigen könne. Zudem wachse die Staatsverschuldung. „Das ist ein großes wirtschaftliches Experiment mit vielen Risiken.“
Die Labour-Politikerin und Finanz-Expertin Rachel Reeves verglich die Maßnahme deshalb mit dem eines „verzweifelten Spielers“ und erinnerte an die warnenden Worte des US-Präsidenten Joe Biden. Dieser hatte vor wenigen Tagen betont, dass er die Idee von einer „Trickle-Down-Ökonomie“, der Vorstellung also, dass der Wohlstand der Reichsten nach und nach durch deren Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchrieselt und zu Wirtschaftswachstum führt, satt habe. „Das hat noch nie funktioniert“, schrieb der Präsident auf Twitter.
Joe Biden und Liz Truss sind sich in einigen Punkten uneinig
Liz Truss hatte Biden im Rahmen der UN-Vollversammlung in New York getroffen. Das Verhältnis zwischen den USA und Großbritannien ist seit jeher ein spezielles. Und so betonten beide, wie viel sie verbinde – sprachen aber auch Themen an, bei denen sie sich nicht einig sind. Schließlich hatte Truss wiederholt angekündigt, das Abkommen mit der EU über Brexit-Sonderregeln für Nordirland einseitig zu verändern oder aufzuheben.
Biden hatte diese Idee in der Vergangenheit immer wieder scharf kritisiert. Während Truss noch in New York war, nahm ihre Regierung in London die Arbeit auf. Sie kündigte unter anderem an, dass im Kampf gegen explodierende Energiekosten auch die Strom- und Gaspreise für Unternehmen eingefroren werden. Überdies wurden Pläne zur Reform des Gesundheitssystems vorgelegt. So sollen Patienten nicht länger als zwei Wochen auf einen Kontrolltermin beim Hausarzt warten müssen. Eine Zeitenwende? Experten bezeichneten es als eine „kosmetische Korrektur“.