Wie sich Boris Johnson fühlte, als er am Tag danach erneut in der Downing Street 10 aufwachte, ist schwer zu sagen. Möglicherweise erfüllte ihn der Umstand, noch eine Weile dort wohnen zu können, mit Genugtuung. Denn er erklärte am Donnerstag zwar seinen Rücktritt von seinem Amt als Vorsitzender der Konservativen Partei, betonte jedoch, dass er Premierminister bleiben will, bis ein Nachfolger gefunden wird. Außerhalb seiner „eigenen“ vier Wände befindet sich der 58-Jährige jedoch fortan im politischen Feindesland.
Boris Johnson: Wirbel um eine große geplante Party im Juli
Denn so groß die Erleichterung über seinen Rückzug auch war, bis ein Nachfolger gefunden ist, werden angesichts der parlamentarischen Sommerpause wohl noch Monate vergehen. Dass Johnson als vorübergehender Premier so noch bis in den Herbst hinein faktisch im Amt bleiben könnte, bringt viele Tories aus der Fassung. Für einen Sturm der Entrüstung sorgte auch die Vermutung, dass Johnson auch aus privaten Gründen bleiben will. Denn er und seine Frau Carrie planten ursprünglich Ende Juli auf Checkers, dem Landsitz des Premierministers, eine große nachträgliche Feier anlässlich ihrer Hochzeit, die 2021 stattfand.
Zu der Party auf dem luxuriösen Anwesen, welches unter anderem über einen beheizten Pool verfügt, sollten so viele Gäste wie möglich kommen. Johnson hat mittlerweile zwar angekündigt, dass die Feier nun woanders stattfinden solle und bezeichnete die Vorwürfe, dass er auch deshalb im Amt bleiben wolle, als absurd. Die Diskussion zeigt jedoch, dass man dem Premierminister selbst so ein Vorhaben zutraut und ihn folglich für absolut skrupellos hält.
Boris Johnson hat immer wieder gezeigt, dass er sich seine eigenen Regeln macht
Tatsächlich hat Johnson während seiner Amtszeit und auch schon zuvor immer wieder gezeigt, dass er sich nicht an Regeln gebunden fühlt. Eindrücklich zur Schau gestellt hat er dies nicht nur durch sein bewusst unangemessenes Verhalten, das ewig zerzauste Haar und die Partys in der Downing Street 10 während der Lockdowns; er ließ 2020 überdies teure Renovierungsmaßnahmen des Regierungssitzes teilweise durch Spenden finanzieren. Zuletzt begleiteten ihn und seine Minister gleich mehrere „Hoffotografen“ gewissermaßen auf Schritt und Tritt – auf Kosten des Steuerzahlers.
Teil seiner Skrupellosigkeit ist auch, sich über Konventionen hinwegzusetzen. So erzwang er 2019 die Auflösung des Parlaments und schickte die Abgeordneten quasi in Urlaub, um den Gegnern eines No-Deal-Brexits zuvorzukommen. Diese Zwangspause wurde schließlich vom britischen Supreme Court als unrechtmäßig eingestuft – und gestoppt. Das dreiste und letztlich illegale Vorgehen belegte allerdings einmal mehr, dass sich Johnson die Welt gerne so macht, wie sie ihm gefällt.
Überleben war dem Populisten immer wichtiger als Integrität oder Respekt. Dementsprechend skeptisch sind die Mitglieder seines Kabinetts aktuell. Am Donnerstag versicherte Johnson seinen Ministern zwar, dass er während des Interregnums, wie die Zwischenphase bis zur Ernennung eines Nachfolgers genannt wird, keine großen Entscheidungen mehr treffen werde. Aber seine Partei weiß genau, wie wenig man sich auf sein Wort verlassen kann.
Sorge bereitet vielen auch, dass er aktuell Posten im Kabinett in seinem Sinne neu besetzt. Auch die Drohung eines erneuten Misstrauensvotums, dieses Mal durch das ganze Parlament, ausgesprochen durch die oppositionelle Labour-Partei, brachten ihn am Donnerstag nicht von seiner Linie ab, zu bleiben, solange es irgendwie geht. Experten befürchten, dass die kommenden Wochen einer holprigen Straße für die Tories und Großbritannien gleichen werden. Und das in einer Zeit, in der es wichtigere Probleme zu regeln gäbe, wie etwa die ökonomische Krise im Land.
In Umfragen fallen die britischen Konservativen weiter zurück
Während Johnson seinen Abgang verwaltete, konnte sich die Labour-Partei am Freitag über gute Nachrichten freuen. Der Vorsitzende Keir Starmer erhält – anders als Johnson – keinen Strafbefehl wegen Verstoßes gegen Lockdown-Regeln, nachdem er im Jahr 2021 mit Kollegen Bier getrunken hatte, wie die Polizei in Durham mitteilte. Starmer hatte hoch gepokert, als er versprach, im Fall einer Geldstrafe zurückzutreten, um zu zeigen, dass er anders ist als sein politischer Rivale. Doch sein Plan ging auf.
Laut einer YouGov-Umfrage würden aktuell 40 Prozent der Britinnen und Briten Labour wählen, die Tories hingegen kommen nur noch auf 29 Prozent.