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AZ Live: "Ich bin kein Historiker, aber ich war dabei": Waigel über Krieg, Frieden und die Ukraine

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"Ich bin kein Historiker, aber ich war dabei": Waigel über Krieg, Frieden und die Ukraine

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    Theo Waigel im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg mit Margit Hufnagel und Michael Stifter.
    Theo Waigel im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg mit Margit Hufnagel und Michael Stifter. Foto: Ulrich Wagner

    Theo Waigel war ein kleiner Bub, als er die bittere Nachricht erhielt, dass sein geliebter großer Bruder nicht mehr aus dem Krieg nach Hause kommen wird. „Man lebt doch gern“, habe sein Bruder in dem letzten seiner 64 Briefe geschrieben – drei Tage vor seinem Tod mit nur 18 Jahren, erzählt Waigel. Noch oft habe er in seiner Heimat Oberrohr die Totenglocke für gefallene Soldaten hören müssen. Von dem mittelschwäbischen Dorf aus konnte er am Horizont den Feuerschein der bombardierten, brennenden Städte Augsburg und Ulm sehen. Es sind Erlebnisse, die den 83-Jährigen bis heute prägen, wie er am Donnerstagabend im Live-Interview mit unseren Politikchefs Margit Hufnagel und Michael Stifter im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg erzählte.

    Theo Waigel: „Ich bin kein Historiker, aber ich war dabei“

    Als Spitzenpolitiker erlebte Waigel viele Jahrzehnte später in der ersten Reihe, als aus dem Feind Russland mit dem Ende des Kalten Krieges ein europäischer Partner wurde. „Ich bin kein Zeitgeschichtler, aber im Gegensatz zu den Historikern war ich dabei“, erzählt Waigel nicht ohne Humor über seine damalige Zeit. Etwa wie Michail Gorbatschow im Scherz für den Kremlflieger Matthias Rust danke, weil er deshalb ein paar alte Generäle feuern konnte.

    Damals, Anfang der 90er Jahre, empfanden viele Menschen den Frieden in Europa als großes Geschenk, irgendwann erschien er beinahe selbstverständlich. Doch das ist er in Wahrheit nie gewesen, wie der Angriff Russlands auf die Ukraine vor einem Jahr deutlich machte.

    Waigel widerspricht Putins „Mär von der Schuld der Nato“

    Wladimir Putins Erzählung, Moskau sei in der Wendezeit vom Westen mit falschen Versprechungen über den Tisch gezogen worden, widerspricht der langjährige CSU-Chef Waigel entschieden. „Das entspricht nicht den Tatsachen.“ Es habe nie eine Zusage gegeben, dass osteuropäische Staaten nicht der Nato beitreten dürften, schließlich habe damals noch die Sowjetunion und der Warschauer Pakt bestanden. „Drum ist die Mär, der Westen oder die Nato sei schuld an diesem Krieg eine Legende, die den Fakten nicht standhält.“

    Waigel erzählte, wie er die Treffen von Bundeskanzler Helmut Kohl mit dem sowjetischen Staatsschef Michail Gorbatschow im Kaukasus miterlebte. Damals, im Sommer 1990, machte der Kreml den Weg zur deutschen Einheit frei. 

    AZ-Live Interview: Waigel vergleicht Gorbatschow mit einem Heiligen

    Um die Erweiterung der Nato oder der Europäischen Union sei es in den Verträgen aber nicht gegangen, sondern allein um die Rolle des wiedervereinten Deutschlands, betonte Waigel. Mit Gorbatschow, der im vergangenen Jahr gestorben ist, verband den schwäbischen Politiker zeitlebens ein emotionales Verhältnis, wie er sehr eindrucksvoll erzählte. „Wenn ich nicht katholisch wäre, würde ich sagen, er war ein Heiliger!“

    Im Interview mit "Augsburger Allgemeine Live" sprach Theo Waigel im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg.
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    Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel war am Donnerstagabend zu Gast bei "Augsburger Allgemeine Live" im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg.

    Dass dessen Nachfolger Putin nach mehr als 30 Jahren des Friedens in Europa nun wieder mit Waffen Tatsachen schaffen will, bedrückt Waigel. Putin habe als Politiker im Vergleich zu allen anderen postsowjetischen Staaten ökonomisch versagt, deswegen setze er auf das Militärische.

    Abseits des ernsten Themas Ukraine wurde es aber auch unterhaltsam im Goldenen Saal. Rund 320 Zuschauerinnen und Zuschauer erlebten Waigel als humorvollen und durchaus selbstironischen Erzähler von Anekdoten aus seinem langen Leben in der Politik, wie den schlimmsten Flug seines Lebens mit Franz Josef Strauß am Pilotenknüppel ins vereiste Moskau, wo eigentlich wegen des Wetters Landeverbot herrschte. 

    Der heutige CSU-Ehrenvorsitzende, der seit vielen Jahren im Allgäu lebt, war von 1988 bis 1999 Parteichef und von 1989 bis 1998 Bundesfinanzminister unter Kanzler Helmut Kohl. (AZ)

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