Sie war zu einem Symbol geworden, für Solidarität und auch für Widerstand gegen Corona-Leugner und Verschwörungsgläubige, die in keinem österreichischen Bundesland so stark sind wie in Oberösterreich. Dr. Lisa Maria Kellermayr – ursprünglich als Ärztin in einer Reha-Klink tätig – setzte sich seit Pandemiebeginn gegen Corona ein, verabreichte Corona-Schutzimpfungen, arbeitete Hunderte Stunden in einem mobilen Betreuungsteam, bevor sie im Frühjahr vergangenen Jahres in Seewalchen am Attersee ihre eigene Ordination eröffnete. Eine junge Ärztin mit herausragendem Engagement, mit Leidenschaft, eine, die ihren Beruf ernst nahm.
Wie viele Mediziner, die sich während der Pandemie klar und offen für Impfung und Schutzmaßnahmen aussprachen, geriet auch Kellermayr schnell ins Visier der Impfgegner-Szene: Hassbotschaften in sozialen Netzwerken waren für die Oberösterreicherin Alltag. Sie lernte, damit umzugehen. Und doch kam es in ihrem Fall anders: Sie wurde von Rechtsextremen aus Deutschland und Österreich als Ziel ausgewählt, wurde Ziel einer beispiellosen, organisierten Hetze. Täglich erreichten sie und ihre Mitarbeiter in der Praxis detaillierte Todesdrohungen, „Querdenker“ drangen in ihre Praxis ein. Aus eigenen Mitteln finanzierte die Ärztin einen Sicherheitsdienst, richtete einen Panikraum und Sicherheitsschranken ein. Kellermayr machte die Welle aus Hass, die ihr entgegenschlug, öffentlich – und sie suchte Hilfe. Bei der österreichischen Polizei, beim Verfassungsschutz, bei der Standesvertretung. Sie trat im deutschen wie im österreichischen TV auf, gab Zeitungsinterviews.
Der Fall Kellermayr: Polizeischutz wurde ihr lange verweigert
Doch Ermittlungen wurden eingestellt. Erst vor wenigen Wochen sagte ein Polizeisprecher im ORF-Radio, man habe den Eindruck, Kellermayr würde „in die Öffentlichkeit drängen“, wolle „das eigene Fortkommen“ fördern. Die Ärztekammer sprach davon, dass die Ärztin sich ja nicht „exzessiv auf Twitter“ zu Wort melden müsse. Polizeischutz erhielt sie erst zuletzt und nicht dann, als sie dringlich darum bat. Kellermayr musste ihre Praxis schließen, ein Weitermachen war unmöglich, auch, weil ihre Mitarbeiter die Last nicht mehr tragen konnten. Am vergangenen Freitag wurde die erst 36-jährige tot in ihrer Praxis aufgefunden, eine Obduktion soll es keine geben, Fremdverschulden sei ausgeschlossen.
Die Opfer-Täter-Umkehr, die wesentlich zum Tod Kellermayrs beigetragen hat, begann an jenem Novembertag 2021, als ein rechtsradikaler Mob vor dem Klinikum Wels-Grieskirchen demonstrierte, Kellermayr die Szenen filmte, auf Twitter postete und annahm, die Corona-Leugner würden die Rettungseinfahrt blockieren. Die Polizei wies dies sofort als „Falschmeldung“ zurück: eine Reaktion mit fatalen Konsequenzen. Jetzt hatte der aggressive (reale wie digitale) Mob das, was er brauchte, um die Ärztin zu attackieren.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen äußert sich
Ob bewusst oder unbewusst: Die oberösterreichische Polizei nahm damit den Mob in Schutz – anstatt jene zu schützen, die der Aggression ausgeliefert waren: Pfleger, Betreuer und Ärzte wie Kellermayr. Bundespräsident Alexander Van der Bellen schrieb, Kellermayrs Einsatz habe „manche Menschen in Wut versetzt“. Und: „Finden wir am Ende immer einen Weg, friedlich miteinander zu leben. Stärken wir den Zusammenhalt.“ Für den Grünen- Gesundheitsminister Johannes Rauch ist „jetzt nicht die Zeit, Schuldige zu suchen“. In manchen Medien ist davon zu lesen, da müssten doch noch andere Probleme gewesen sein, im Leben der Ärztin.
Diese Reaktionen sind nicht nur Ausdruck einer umfassenden Kapitulation der österreichischen Politik vor den Verschwörungsgläubigen und Rechtsradikalen. Lisa-Maria Kellermayr hat nicht „entschieden, nicht mehr weiterleben zu wollen“, wie der Präsident schrieb. Sie ist Opfer einer fatalen Entwicklung, in der man den Tätern die Hand reichen will, anstatt Grenzen zu setzen. Und ihr Tod ist die individuelle wie schreckliche Konsequenz einer Kultur, in der die Opfer selbst schuld sind, in der psychisches Leid dem Leidenden selbst umgehängt wird.
Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie darüber! Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, unter anderem die Telefonseelsorge. Sie erreichen sie unter der Nummer 0800/1110111 oder 0800/1110222. Die Hotline ist rund um die Uhr erreichbar, kostenlos und anonym. Ein Anruf bei der Telefonseelsorge wird weder auf der Telefonrechnung noch auf dem Einzelverbindungsnachweis ausgewiesen.