„Die Waffen nieder!“ Diese Mahnung hat Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch plakativ über seinen Twitter-Account gestellt. Sie ist vornehmlich an die Kriegsparteien der Ukraine gerichtet, wirkt derzeit aber wie eine Aufforderung an seine zerstrittene Partei. Deren Waffen sind Austrittsabsichten und gegenseitige Vorwürfe – allesamt scharfe Schwerter, die der ohnehin angeschlagenen Linkspartei den Garaus machen könnten. Die Gedankenspiele der wohl bekanntesten Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht über die Gründung einer eigenen Partei beschleunigen dabei einen Abstieg, der nicht nur in den eigenen Reihen für Diskussionen sorgt. Mittlerweile blicken viele Bundestagsparteien gespannt auf die Entwicklung bei den Linken.
Sahra Wagenknecht ist Reizfigur der Linken
Wagenknecht war als Linken-Fraktionsvorsitzende Vorgängerin von Amira Mohamed Ali, die mit ihrer Ankündigung, Anfang September nicht wieder für den Vorsitz zu kandidieren, gerade für weitere Aufregung sorgt. Die Befürchtung, Mohamed Ali könne sich Wagenknecht bei einer Parteineugründung anschließen, ist groß und offenbar berechtigt. Den letzten Ausschlag für ihre Entscheidung habe der einstimmige Beschluss des Parteivorstands Mitte Juni gegeben, wonach die Zukunft der Linken „eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht“ sei, erklärte die Norddeutsche.
Wagenknecht, am 16. Juli 1969 in Jena geboren, ist schon lange eine Reizfigur in der Linkspartei. Als sie der Regierung etwa im September vorwarf, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland vom Zaun gebrochen zu haben, fanden das viele überhaupt nicht gut. Gleichwohl ist die Politikerin eine Galionsfigur der Linken. Wagenknecht sei, sagte Bartsch in einem Interview mit unserer Redaktion einmal, „eine besondere Persönlichkeit mit einem hohen Bekanntheitsgrad“.
Ob dieser Bekanntheitsgrad ausreicht, um eine eigene Partei zum Erfolg zu führen? In einem Beitrag für die linke Tageszeitung nd (ehemals Neues Deutschland) verweisen die Gastautoren Michael Brie und Ines Schwerdtner auf Italiens Linke, die über ihre Suche nach neuen Positionen heillos zerstritten ist. „Zumeist führt ein solcher Weg am Ende in die Sackgasse. Vor allem dann, wenn diese Gruppierung um eine einzige Person gebaut wird und kein organisatorisches Fundament aufweist“, schreibt das Autoren-Duo.
Bartsch sieht das ähnlich. Er werbe dafür, „dass wir gemeinsam vorangehen“, sagte er. Nur dann werde die Linke erfolgreich sein. Das hat einerseits ganz handfest mit der Fraktionsmindeststärke zu tun. Die liegt für diese Legislaturperiode bei 37 Abgeordneten. Verliert Bartsch nur drei Fraktionsmitglieder, rutscht die Linke unter diese Grenze. Sie würde Einfluss und einen Teil ihrer finanziellen Ansprüche verlieren.
Spaltung der Linken könnte AfD stärken
Der Faktionsvorsitzende warnt zudem davor, dass eine Spaltung der Linken rechte Parteien stärke. In der Tat wird die Linke seit 2013 durch die AfD torpediert. So „erlebte die Partei 2016 in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern ein Debakel, als die Rechtspopulisten sie aus dem Stand als zweit- beziehungsweise drittstärkste Kraft verdrängten“, analysiert der Politologe Frank Decker in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Ähnlich hohe Einbußen erlitt die Linke bei den Landtagswahlen 2019 in Brandenburg und in Sachsen. Die Machtstellung in Thüringen, wo im nächsten Jahr neu gewählt wird, ist ebenfalls in Gefahr. Den Umfragen zufolge führt die AfD dort mit 32 Prozent – zehn Punkte vor der zweitplatzierten Linkspartei.
In Zeiten, in denen Regierungsbildungen mit nur zwei Parteien immer schwieriger werden, würde mit einer sich zerlegenden Linkspartei ein potenzieller Koalitionspartner verschwinden. Sie ist aktuell in neun Landesparlamenten vertreten und in dreien davon (Thüringen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern) an der Regierung beteiligt. Wenn Wahlergebnisse eng und Dreier- oder gar Viererkonstellationen nötig werden, würden sich die meisten Parteien für die Linke und gegen die AfD entscheiden – sofern es diese Option in Zukunft noch gibt. Im Bund genießt die Linke bei den anderen Parteien, die Union ausgenommen, einen zumindest soliden Ruf.
Würde Wagenknecht eine eigene Partei gründen, wäre das keine Option für die anderen Parteien. Die Kritikerin der „Lifestyle-Linken“ sieht beispielsweise im Rechtsruck der dänischen Sozialdemokraten ein Vorbild. Menschen mit einem geringen Einkommen seien nicht zu überzeugen, dass unbegrenzte Einwanderung keine gravierenden Nachteile bringe, meint sie. Programmatisch würde sich Wagenknecht der AfD wohl in vielen Punkten annähern.