Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Lindners Forderungspapier: Wirtschaftswende oder Koalitionsbruch?

Ampel-Koalition

Lindners Liste: Scheidungspapier oder Wachstumsimpuls?

    • |
    • |
    FDP-Chef-Christian Lindner gibt mit seinem 18 Seiten langen Konzept der Koalition zu denken.
    FDP-Chef-Christian Lindner gibt mit seinem 18 Seiten langen Konzept der Koalition zu denken. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Zumindest in einem Punkt bleibt Christian Lindner der Ampel treu. Trotz aller Probleme mit der Energiewende, einer wenig fruchtenden Verkehrswende oder der höchst umstrittenen „Wärmewende“ hat der Finanzminister noch nicht die Lust am „Wende“-Geist der rot-grün-gelben Koalitionäre verloren. „Wirtschaftswende Deutschland“ hat der Bundesfinanzminister sein 18 Seiten dickes Forderungspapier für eine Neuausrichtung der Konjunkturpolitik überschrieben.

    Lindners Papier ähnelt Lambsdorffs Scheidungsbrief von anno 1982

    Da der FDP-Chef schon seit Wochen einen „Herbst der Entscheidungen“ anmahnt und andernfalls einen Bruch der Koalition offen lässt, entfaltet sein Papier von vornherein größere Sprengkraft, als die Vorschläge, die sein grüner Kabinettskollege Robert Habeck als Wirtschaftsminister in dessen „Impulspapier“ vorgelegt hatte. Von einem „Scheidungspapier“ reden altgediente Politbeobachter in Berlin und erinnern an den Bruch der einstigen sozialliberalen Koalition in der alten Bonner Republik.

    Damals war es der FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorf, der mit Forderungen „zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ die Koalition mit der SPD platzen ließ und das Ende der Kanzlerära von Helmut Schmidt besiegelte. Vieles aus Lambsdorffs Forderungen wurde später auch in der Koalition mit der Union nie umgesetzt: Etwa der oberste Punkt, der Abschaffung der Gewerbesteuer in den Kommunen. Anderes von damals ähnelt Linders Papier von heute. Lambsdorff forderte eine „Minderanpassung“ der damaligen Sozialhilfe, Lindner will die Leistungen für Bürgergeldempfänger kürzen. Und so wie Lindner heute forderte Lambsdorff damals ein „Moratorium“ als Verzicht auf weitere Verschärfungen von Vorschriften für Unternehmen.

    Lindners Wirtschaftsdiagnose: : „Deutschland schwächt sich selbst“

    Immerhin trägt Lindners Papier im Gegensatz zu Lambsdorffs Analyse und zur späteren schwarz-gelben Ära, die den „Standort Deutschland“ von Regierungsseite im Streit mit den Gewerkschaften schlechtredete, einen optimistischen Ansatz. „Unsere Volkswirtschaft hat unverändert große Stärken: Innovationskraft und geistiges Eigentum, qualifizierte Beschäftigte, ein kapitalstarker Mittelstand und eine industrielle Basis, die ihre Anpassungsfähigkeit schon oft bewiesen hat“, schreibt der Finanzminister. Allerdings, so lautet der Befund des Liberalen in der Kapitelüberschrift: „Deutschland schwächt sich selbst.“

    Lindner beklagt, dass die Produktivität, vor allem der erzielte Umsatz pro Beschäftigten und eingesetztem Kapital, viel geringer wachse als früher. Lange konnte Deutschland so die Renten steigern, obwohl auf einen Rentner weniger Arbeitnehmer kamen. Schuld an der Produktivitätsmisere sei vor allem ein „ ein immer weiter wucherndes Regulierungs- und Bürokratiedickicht, in dem die traditionell hohe Innovationskraft Deutschlands und der Unternehmergeist zunehmend erstickt.“

    Als weiteren Grund für die selbst verschuldete Unzulänglichkeit nennt Linder einen „Sonderweg beim Klimaschutz“. Die ehrgeizigen Klimaziele unter gleichzeitigem Verzicht auf die Kernenergie führten zu Wertvernichtung und ökonomischer Unsicherheit. „Deutschlands Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen beträgt nur 1,3 Prozent“, betont Lindner. „Es hilft dem Klimaschutz nicht, wenn Deutschland als vermeintlicher globaler Vorreiter möglichst schnell und folglich mit vermeidbaren wirtschaftlichen Schäden und politischen Verwerfungen versucht, seine Volkswirtschaft klimaneutral aufzustellen.“ Deutschland müsse statt der Rolle eines Vorreiters die eines Vorbilds anstreben. Habecks zig Milliarden großer Subventionstopf, der Klima- und Transformationsfonds sollte ausgelöst werden und damit eine Senkung des Solidaritätszuschlags mitfinanziert werden, fordert Lindner.

    Wirtschaftswende-Papier: Lindner-Berater macht Ernst der Lage klar

    Doch nicht nur den Grünen serviert der FDP-Chef in seinem Papier reichlich gelbe Kröten zum Schlucken, falls die Ampelpartner noch auf die Liberalen in der Regierung bauen wollten. Die von der SPD vorangetriebenen Gesetzespläne zur Stärkung der Tarifverträge, Lieferkettendokumentationen und die arbeitgeberfinanzierte Familienstartzeit passten ebenso wie andere Projekte angesichts des wirtschaftlichen Umfelds nicht mehr in die Zeit. Neben der Senkung der Bürgergeldsätze wegen einer niedriger als erwarteten Inflation, fordert Lindner, dass die Wohngeldkosten nur noch als begrenzte Pauschalen übernommen werden, um so den Arbeitsanreiz für Betroffene zu erhöhen.

    In Berlin vermuten viele den Ökonomen und Lindner–Berater Lars Feld als Co-Autor des Papiers. Feld machte im Handelsblatt deutlich, dass es Lindner ernst meine: „Wenn SPD und Grüne ihm dabei weit genug entgegenkommen, muss die Koalition nicht platzen.“

    Diskutieren Sie mit
    2 Kommentare
    Rainer Kraus

    Um die SPD und Helmut Schmidt zu stürzen hat man seinerzeit Genscher von der FDP "gekauft", dass sollte doch auch heute auch und gerade mit Lindner möglich sein, um das Ampel-Drama zu stoppen und Deutschland vor Schlimmeren zu bewahren.

    |
    Maria Reichenauer

    Wer kauft schon freiwillig Lindner ein? Das ist wie wenn man sich freiwillig ein Furunkel auf die Nase setzt, das einem dann auf selbiger herumtanzt. Lindner geht es nicht um Deutschland, sondern um seine Profilierung und den Wiedereinzug der FDP in den Bundestag nach der Wahl. Er ist in der Regierung, kann Vorschläge erarbeiten (lassen) zum Bürokratieabbau und gibt dennoch den Feind im eigenen Bett. Das ist billig und durchschaubar. Und als Gag präsentiert er ein Papier aus der Mottenkiste, das den Reichen gibt und den Armen nimmt. Also wer das nicht durchschaut, der sollte die Brille mit einer Lupe tauschen.

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden