Nach den verheerenden Angriffen im Libanon ist es zum mitunter schwersten Beschuss zwischen der Hisbollah und Israel seit Beginn ihrer erneuten Konfrontation vor bald einem Jahr gekommen. Die proiranische Miliz feuerte in der Nacht zum Sonntag aus dem Libanon Dutzende Raketen auf den Norden Israels ab, die so weit reichten wie noch nie seit Beginn der Angriffe der Hisbollah auf Israel vor fast einem Jahr. Die israelische Luftwaffe wiederum flog nach eigenen Angaben seit Samstagnachmittag Angriffe auf Hunderte Stellungen der Hisbollah im Libanon.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte in einem Video-Statement: «In den vergangenen Tagen haben wir die Hisbollah mit einer Reihe von Schlägen getroffen, mit denen sie nicht gerechnet hat.» Der «Times of Israel» zufolge sagte er zudem: «Wenn die Hisbollah die Botschaft nicht verstanden hat, verspreche ich Ihnen, dass sie die Botschaft verstehen wird.»
Laut israelischen Angaben wurden die meisten Geschosse der Hisbollah abgefangen, Berichte über Tote in Israel gab es nicht. Sanitäter meldeten sechs Verletzte. Die israelische Armee sprach von etwa 115 Angriffen aus der Luft auf zivile Gebiete im Norden Israels. Die Streitkräfte seien zur Verteidigung in dem Gebiet im Einsatz und befänden sich in höchster Bereitschaft, um die Bedrohungen zu vereiteln. Israels Armee werde ihre Angriffe gegen die Miliz fortsetzen «und intensivieren», hieß es weiter. Israelischen Medienberichten zufolge gab es Einschläge im Norden. In Kiriat Bialik nahe der Hafenstadt Haifa seien zwei Häuser getroffen worden, berichtete «ynet». Auch in Haifa selbst gab es Raketenalarm.
Die libanesischen Behörden meldeten drei Tote infolge der erneuten israelischen Luftangriffe. Bei dem Vorfall in zwei Dörfern im Süden seien außerdem drei Menschen verletzt worden. Von der israelischen Armee gab es dazu zunächst keine Angaben.
Hisbollah verstärkt unter Druck
In den vergangenen Tagen hatte Israel mit mehreren folgenschweren Angriffen den Druck auf die Hisbollah spürbar erhöht. Seit Dienstag wurden bei Explosionen von Kommunikationsgeräten, einem massiven Luftschlag in einem Vorort in Beirut und Angriffen im Süden des Landes mindestens 86 Menschen getötet und mehr als 3.000 verletzt, der Großteil davon wohl Hisbollah-Mitglieder. Beobachter sehen die Miliz unter Zugzwang, darauf zu reagieren.
Zugleich herrscht die Sorge vor einer möglichen Bodenoffensive Israels im Süden des Nachbarlands. Israel will die Hisbollah wieder aus dem Grenzgebiet verdrängen, um im Norden die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten und die Rückkehr Vertriebener zu ermöglichen.
Hisbollah: Feuerten auf Militärstützpunkt und Rüstungsunternehmen
Die Hisbollah erklärte, sie habe Dutzende Raketen auf Israel abgefeuert, darunter auf den Militärstützpunkt Ramat David nahe Haifa und den dortigen Flughafen sowie auf ein Gelände des israelischen Rüstungsunternehmens Rafael.
Auch proiranische Milizen im Irak begannen neue Angriffe. Die Gruppe «Islamischer Widerstand im Irak» - ein Zusammenschluss aus Milizen in dem Land - erklärte, ihre Kämpfer hätten ein «wichtiges Ziel» in Israel mit Drohnen attackiert, ohne Details zu nennen. Sie würden ihre Angriffe fortsetzen, hieß es weiter.
Israels Armee teilte am Morgen mit, sie habe einen von Osten kommenden Flugkörper abgefangen, bevor dieser israelisches Gebiet erreichte. In der Nacht wurden nach Militärangaben mehrere Drohnen abgefangen, die sich Israel vom Irak aus näherten. Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast einem Jahr kommt es immer wieder zu Angriffen der sogenannten «Widerstandsachse» von Verbündeten des Irans auf Israel.
Einschränkungen für Bewohner des Nordens
Angesichts der Eskalation verschärfte die Armee am frühen Sonntagmorgen die Einschränkungen für Bewohner im Norden Israels. Unter anderem auf den Golanhöhen und in der Küstenstadt Haifa durfte kein Unterricht stattfinden. Arbeitsplätze durften nur aufgesucht werden, wenn sich ein Schutzraum in der Nähe befindet, wie die «Times of Israel» meldete. Versammlungen im Freien seien auf maximal 10 Personen, in Innenräumen auf 100 Teilnehmer beschränkt. Medienberichten zufolge wurden auch Krankenhäuser im Norden Israels angewiesen, ihre Patienten in Schutzräume zu verlegen.
Israelischer Minister: Hisbollah spürt unsere Fähigkeiten
Die Hisbollah-Miliz gerät nach Einschätzung des israelischen Verteidigungsministers Joav Galant durch die militärische Macht seines Landes zunehmend unter Druck. Die Hisbollah habe begonnen, die Wirkung der militärischen Fähigkeiten der israelischen Streitkräfte zu spüren. «Und sie spürt, dass sie verfolgt wird», sagte Galant nach Angaben seines Büros.
«Die Aktivitäten werden fortgesetzt, bis wir einen Punkt erreichen, an dem wir die sichere Rückkehr der Bewohner der nördlichen Gemeinden Israels in ihre Häuser gewährleisten können - das ist unser Ziel, das ist unsere Mission, und wir werden die notwendigen Mittel einsetzen, um es zu erreichen», sagte Galant weiter.
Die Hisbollah will ihre Angriffe auf Israel nach eigenen Angaben erst einstellen, wenn es zu einer Waffenruhe zwischen Israel und der mit ihr verbündeten islamistischen Hamas im Gazastreifen kommt.
UN-Sonderkoordinatorin: Naher Osten an Schwelle zur Katastrophe
Die Sonderkoordinatorin der Vereinten Nationen für den Libanon, Jeanine Hennis-Plasschaert, sieht die Region «an der Schwelle zu einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe.» Es können nicht oft genug betont werden, dass es keine militärische Lösung gebe, «die irgendeine der beiden Seiten sicherer machen wird», sagte sie. Die UN-Beobachtermission Unifil überwacht seit 1978 das Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon.
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