Kalkulierte Provokation oder offener Ausdruck verfassungsfeindlicher Gesinnung? Ein Farbanschlag der radikalen Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ auf das Grundgesetz-Denkmal in der Nähe des Deutschen Bundestags hat in Berlin parteiübergreifend heftige Kritik ausgelöst. Die Protestgruppe filmte sich, wie ein halbes Dutzend ihrer mit orangen Warnwesten bekleideten Mitglieder das Kunstwerk „Grundgesetz 49“ des israelischen Künstlers Dani Karavan attackierten.
Aus einem Lastenfahrrad hoben sie schwere Farbeimer und kippten mit Schwung eine zähe schwarze Flüssigkeit auf die in drei Meter hohe Glasplatten eingravierten Grundrechte der 19 wichtigsten deutschen Verfassungsartikel. Die Warnwestengruppe klebte über die Menschenrechtsartikel schwarze Plakate mit den Aufschriften „Erdöl oder Grundrechte“ und „In der Klimahölle gibt es keine Menschenwürde, keine Freiheit, kein Recht auf Leben!“
Wofür steht das von „Letzter Generation“ attackierte Grundgesetz-Kunstwerk?
Politikerinnen und Politiker aus Regierungs- und Oppositionsparteien reagierten mit Abscheu und Empörung auf die Schändung des Grundrechte-Denkmals. „Es gibt keinerlei Rechtfertigung dafür, ausgerechnet die Grundrechte zu beschmieren – und das auch noch am Bundestag, dem Herz unserer Demokratie“, verurteilte SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Tat.
Der 2021 verstorbene israelische Bildhauer Dani Karavan hat die 19 Grundrechte des Grundgesetzes in ihrer Ursprungsfassung von 1949 – beispielsweise ohne die weitreichende Änderung des Asylrechts in Artikel 16 – in dicke Glasplatten gravieren lassen. Das Kunstwerk an den Bundestagsbauten an der Spreepromenade soll zugleich für Transparenz der deutschen Nachkriegsdemokratie stehen.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas reagiert „wirklich erschüttert“ auf „Letzte Generation“-Farbanschlag
Sie könne nur hoffen, dass die Glastafeln des Kunstwerks nicht nachhaltig beschädigt worden sind, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Die Protestaktion, ein Kunstwerk mit dem Grundgesetz zu beschmieren, habe sie „wirklich erschüttert“, erklärte die SPD-Politikerin. „Das empört mich und dafür fehlt mir jedes Verständnis“, betonte sie. „Das Kunstwerk ,Grundgesetz 49‘ steht als Mahnung, unsere Grundrechte zu achten und zu schützen.“
Die Gruppierung „Letzte Generation“ erklärte, ihre Unterstützer hätten die Glasskulptur „in Erdöl getränkt“. Tatsächlich ließ die Berliner Polizei die schwarze Masse analysieren und erklärte, dass es sich um ein Gemisch aus Tapetenleim und schwarzer Dispersionsfarbe gehandelt habe. Die Polizei nahm die Personalien von sechs Aktivisten auf und erteilte ihnen Platzverbot.
Zahlreiche Bundestagsabgeordnete verurteilten die Tat in harschen Worten. „Ihr scheißt auf die Grundrechte, zerstört Kunst ähnlich wie die Taliban und fühlt euch noch als Heldinnen und Helden“, schrieb der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der SPD-Politiker Michael Roth, auf Twitter.
FDP nennt „Letzte Generation“ früher oder später Fall für Verfassungsschutz
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), forderte, die Bundesregierung müsse handeln und die Strafvorschriften für derartige Taten verschärfen. Auch FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle warnte: „Wenn sich dieses Tempo der Radikalisierung fortsetzt, muss die ‚Letzte Generation‘ früher oder später vom Verfassungsschutz beobachtet werden.“ Niemand schade dem Anliegen des Klimaschutzes mehr als die sogenannte „Letzte Generation“, kritisierte er.
Mit Verständnis für die Aktion reagierte der Grünen-Politiker Johannes Wagner. „Ich verstehe bei dieser Aktion mit Farbe: Die ‚Letzte Generation‘ will (zugespitzt) darauf aufmerksam machen, dass zu wenig Klimaschutz unsere Grundrechte gefährdet“, erklärte der Nürnberger Bundestagsabgeordnete. „Sie fordert die Regierung auf, sich an geltende Gesetze zu halten.“