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"Letzte Generation": Radikalisiert sich die Klima-Bewegung?

"Letzte Generation"

Radikalisiert sich die Klima-Bewegung?

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    Aktivisten von "Letzte Generation" haben in der vergangenen Woche das Brandenburger Tor besetzt und ein Banner von der Quadriga entrollt.
    Aktivisten von "Letzte Generation" haben in der vergangenen Woche das Brandenburger Tor besetzt und ein Banner von der Quadriga entrollt. Foto: Paul Zinken, dpa

    Zweifel an dem, was sie vorhaben, lassen sie nicht: Trotz der deutlichen Kritik aus Politik und Gesellschaft wollen die Aktivisten der "Letzten Generation" ihre Proteste fortsetzen. Einer von ihnen ist Micha Frey. Sieben Tage saß er in Stadelheim im Gefängnis, am heutigen Montag soll er freikommen. Der 24-Jährige sagte am Wochenende in einem Videostatement auf Twitter: "Wenn wir das Ende unserer freien Gesellschaft, das kommen wird in einer Welt von Wassermangel und Ernteausfällen, noch verhindern wollen, dann müssen wir jetzt Widerstand leisten."

    Kritiker der Bewegung warnen nicht weniger eindringlich vor einer Radikalisierung der Gruppierung. "Viele von denen, die sich bei uns ankleben, kommen nicht aus Bayern, sondern aus ganz Europa", sagt Ministerpräsident Markus Söder im Gespräch mit unserer Redaktion. "Wenn dieser Protest immer aggressiver wird, kann der Rechtsstaat nicht mit zweierlei Maß messen. Ein Staat muss bei kriminellen Straftaten handeln – und das tun wir. In Bayern gibt es keinen rechtsfreien Raum."

    Ist die deutsche Klimabewegung tatsächlich dabei, sich zu radikalisieren? Oder ist die Kritik an den Protesten ein altbekannter Reflex? "Ob etwas in Politik und Öffentlichkeit als Radikalisierung wahrgenommen wird, hängt immer davon ab, wie die Verhältnismäßigkeit und die Zweckdienlichkeit beurteilt werden", sagt Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, Potsdam. Schon als die Bewegung "Fridays for Future" zum Schulstreik aufgerufen hatte, habe es viele kritische Stimmen gegeben, ob die Schülerinnen und Schüler nicht nur einfach die Schule schwänzen wollten und dies mit einem klimapolitischen Mandat rechtfertigten.

    "Die meisten Menschen haben aber den Jugendlichen die thematische Motivation abgenommen und den erzwungenen Unterrichtsausfall als verhältnismäßig eingestuft", sagt Renn. Seither sei die Dringlichkeit des Klimaschutzes durch neue Studien und Berechnungen sogar noch deutlicher geworden. "Damit steigt auch die Messlatte für die Einschätzung der Verhältnismäßigkeit: Wenn das Überleben der Menschheit unmittelbar auf dem Spiel steht, ist natürlich ein Festkleben an Straßen und Museen als eher verhältnismäßig gegenüber der drohenden Klimakatastrophe einzustufen", sagt Renn.

    Viele verstehen die Protest-Aktionen der Klima-Aktivisten nicht

    Allerdings habe die Klimabewegung dennoch ein Problem: "Die ohnehin vom Klimaschutz Überzeugten mögen die Gefährdung von Kunstwerken zwar als verhältnismäßig, aber nicht als zweckdienlich ansehen, und die anderen werden sich noch stärker in der Ablehnung einer radikalen Klimaschutzpolitik bestätigt fühlen", sagt der Wissenschaftler. "Kurzum: Verhältnismäßig können angesichts der Schwere und Dringlichkeit der Herausforderung auch radikalere Aktionen sein, aber sie müssten so ausgestaltet sein, dass sich zumindest die Chancen eines Politikwechsels verbessern. Dies kann aktuell zu Recht bezweifelt werden." Er rät der "Letzten Generation", ihre Aktionen zu überdenken und einen Zusammenhang mit dem Klimaschutz herzustellen. Wenn Jugendliche ein Kunstwerk mit Kartoffelbrei bewerfen, stünde das in keinem Bezug zur Umweltpolitik. Wie wichtig das sei, hätten aber schon Protestaktionen der vergangenen Jahrzehnte gezeigt. "Die Erfolge der Anti-Atomkraft-Bewegung beruhten zum großen Teil darauf, dass die Aktionen von den meisten Beobachterinnen und Beobachtern als verhältnismäßig angesehen wurden", glaubt Renn.

    Und doch warnen Experten zugleich davor, die Klimabewegung mit Extremismus gleichzusetzen. "Weder gibt es eine Strömung in der Bewegung, die Gewaltanwendung als legitim ansieht, noch gibt es ein Milieu, das bereit wäre, Gewalt anzuwenden", sagt Simon Treune, Gründungsmitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung. Das Fehlen einer solchen Position unterscheide die Klimagerechtigkeits-Bewegung gerade von früheren sozialen Bewegungen, wie etwa der Hausbesetzer-Szene.

    Auch die Anti-Atomkraft-Bewegung setzte immer wieder Gewalt ein, etwa indem sie Sprengstoffanschläge auf Hochspannungsmasten verübte. Dies sei heute nicht zu beobachten. "Alle relevanten Akteure haben sich auf gewaltlose Formen des Protestes festgelegt", sagt der Soziologe. Umso erstaunlicher sei es, dass gerade der Eindruck vermittelt werde, die Bewegung wäre aus diesem Grund abzulehnen, mit höheren Strafen abzuschrecken oder durch den Verfassungsschutz zu beobachten. "Hier werden gerade Grenzen verwischt", sagt Treune. "Und das kann gefährliche Folgen haben."

    Hilflosigkeit als Antrieb für die "Letzte Generation"

    Was die Klimaaktivisten noch von früheren Bewegungen unterscheide, sei, dass ihr Kampf auch einer gegen die Uhr ist. Je später Entscheidungen in der Umweltpolitik getroffen werden, umso geringer ist ihre Wirkung. Auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 war vereinbart worden, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Klimaforscher sehen das Ziel allerdings in Gefahr. Entsprechend wächst das Gefühl der Hilflosigkeit unter den Aktivisten – nicht umsonst hat sich die Gruppierung "Die letzte Generation" genannt: Sie glaubt, dass sie die letzte Generation sei, die die Klimakatastrophe noch abwenden kann. "Die Tatsache, dass die Uhr tickt und dass keine der bisherigen Aktionen – von Gerichtsprozessen über Großdemonstrationen bis hin zum zivilen Ungehorsam – bislang zu einem Umdenken in der Klimapolitik geführt haben, macht die Entwicklung der Klimagerechtigkeits-Bewegung auch nicht vergleichbar mit vorangegangenen Bewegungen", sagt Treune. "Es ist durchaus denkbar, dass die Frustration und die Angst vor der bedrohlichen Entwicklung eines Klimakollapses die Kalküle in der Bewegung verändert und dass Einzelne oder auch kleinere Gruppen den Konsens der Gewaltfreiheit aufkündigen. Bislang zeichnet sich das aber nicht ab."

    Vor allem aus dem grünen Lager kommen Appelle, sich weniger über die Aktivisten zu ärgern als vielmehr eine bessere Klimapolitik voranzutreiben. "Statt Jugendliche ohne reguläres Verfahren und Gerichtsurteil einzusperren, sollte sich die bayerische Regierung lieber endlich um den rapiden Ausbau der Erneuerbaren kümmern", mahnt Jamila Schäfer, bayerische Landesgruppenchefin der Grünen im Bundestag. "Das wäre ein echter Beitrag für unsere wehrhafte Demokratie gegenüber den tatsächlichen Demokratiefeinden wie Putin und Co.

    So viele Klima-Aktivisten sitzen in bayerischen Gefängnissen

    Die bayerische Polizei hat in den vergangenen Wochen insgesamt 33 Klimaaktivisten in längerfristigen Gewahrsam genommen. 17 davon befanden sich zuletzt immer noch nicht wieder auf freiem Fuß. Gegen diese Personen seien Gewahrsamnahmen bis zu diesem Montag, 14. November, oder 2. Dezember richterlich angeordnet worden, also für einen Zeitraum von insgesamt acht beziehungsweise 30 Tagen. Die anderen Personen seien jeweils nach vier bis sieben Tagen wieder entlassen worden, eine Person bereits am darauffolgenden Tag.

    Die Möglichkeit dafür bietet das seit langem umstrittene bayerische Polizeiaufgabengesetz: Auf Grundlage einer richterlichen Entscheidung können Menschen bis zu einem Monat lang in Gewahrsam genommen werden, um die Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit "von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit" oder einer Straftat zu verhindern. Dieser Zeitraum kann später um maximal einen weiteren Monat verlängert werden. (mit dpa)

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