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Leitartikel: Macron steht für Wandel aus der Mitte der Gesellschaft

Leitartikel

Macron steht für Wandel aus der Mitte der Gesellschaft

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    Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron steht für die  Umwälzung des Parteiensystems. Der Wandel kommt aus der Mitte der Gesellschaft.
    Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron steht für die Umwälzung des Parteiensystems. Der Wandel kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Foto: Lionel Bonaventure, AFP

    Frankreich bietet ein politisches Schauspiel von historischer Dimension. Das alte Parteiensystem bricht zusammen; die seit Jahrzehnten herrschende politische Klasse wird vom Wähler abserviert. Ein junger Mann, der im Alleingang zum Präsidenten aufgestiegen ist und nun mit seiner erst vor einem Jahr gegründeten Bewegung "En Marche" die absolute Mehrheit im Parlament ansteuert, wird fortan nahezu alle Macht in Händen halten. Das ist kein Erdrutsch – das ist ein Tsunami, der über diese große europäische Nation hinwegrauscht und das alte, das "Ancien Régime" zerschmettert.

    Neuer Präsident: Macrons "Revolution" kommt aus der Mitte der Gesellschaft

    Der 39 Jahre junge Staatschef Emmanuel Macron greift nicht zu hoch, wenn er von einer "Revolution" spricht. Es rollen keine Köpfe wie im Jahre 1789, als sich die Franzosen in einem welthistorischen Augenblick gewaltsam der absolutistischen Monarchie entledigten und der Idee der Demokratie in ganz Europa zum Durchbruch verhalfen. Es geht nicht um Leben und Tod oder um einen radikalen Wechsel des Systems an sich. Aber die friedliche Umwälzung der Verhältnisse, die Macron in atemberaubendem Tempo herbeigeführt hat, sucht ihresgleichen in der jüngeren Geschichte demokratischer Staatsordnungen. Der Neuanfang, den Frankreich auf der Suche nach Erneuerung wagt, ist beispiellos.

    Die Franzosen schicken einen Großteil ihres abgehobenen, dem Volk seit langem entfremdeten Führungspersonals in Rente und verbannen Sozialisten und Konservative, die seit 1958 abwechselnd am Ruder waren und mit CDU/CSU und SPD vergleichbar sind, von den Schalthebeln der Macht. Das Besondere daran ist: Es ist keine populistische Revolte von jener grobianischen, nationalistischen Sorte, wie sie Donald Trump entfesselt hat.

    Auch der begnadete Menschenfischer Macron ist ein Mann, der die Selbstinszenierung beherrscht und die Sehnsucht nach Veränderung instinktsicher bedient. Doch er steht für demokratische Grundwerte, für Europa und für ein sozialliberales Programm. Diese Revolution findet also aus der gesellschaftlichen Mitte heraus statt. Die große Mehrheit der politischen Novizen, die unter dem Banner ihrer Lichtgestalt ins Parlament einziehen und dem Chef das "Durchregieren" ermöglichen werden, ist gut situiert und begeistert vom Ziel ihres Patrons, alte Verkrustungen aufzubrechen und das im ökonomischen Wettbewerb zurückgefallene Land wieder aufzurichten.

    Emmanuel Macron: Hat er den Mut für beherzte Reformen?

    Das überschuldete, überbürokratisierte, von hoher Arbeitslosigkeit und einer übermäßigen Staats- und Abgabenquote geplagte Land braucht eine Rosskur. Man wird sehen, wie weit Macrons Mut und Kraft für beherzte, auch unpopuläre Reformen reichen. Die Lockerung des starren Arbeitsrechts, das neue Jobs verhindert, wird zu seinem ersten Härtetest. Macron wird es mit knallharten Massenprotesten auf den Straßen und erbittertem gewerkschaftlichen Widerstand zu tun bekommen. Das Mehrheitswahlrecht lässt die um "En Marche" gruppierte Mitte stärker erscheinen, als sie ist. Das Land ist tief gespalten, die Integration der muslimischen Einwanderer misslungen. Die Hälfte der Wähler ist am Sonntag daheim geblieben; das Potenzial der extremen Rechten und Linken liegt unverändert bei über 40 Prozent.

    Macron ist kein Zauberer, der das in vielen Jahren zerstörte Vertrauen in die politischen Eliten im Handumdrehen wiederherstellen könnte. Dazu bedarf es konkreter Erfolge und des Nachweises, dass Moral wieder etwas zählt in der Politik. Umgekehrt gilt: Scheitert Macron mit seiner Politik von Maß und Mitte, bringt er Frankreich nicht voran und schafft keinen Aufbruch, dann schlägt doch noch die Stunde der le Pens und Mélenchons.

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