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Kommentar: Lieber in die Augen anderer statt auf das Smartphone schauen

Kommentar

Lieber in die Augen anderer statt auf das Smartphone schauen

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    Das Handy ist zum ständigen Begleiter geworden. Ein Leben ohne ist kaum mehr vorstellbar. Doch der Dauerkonsum hat einen Preis.
    Das Handy ist zum ständigen Begleiter geworden. Ein Leben ohne ist kaum mehr vorstellbar. Doch der Dauerkonsum hat einen Preis. Foto: Christin Klose, dpa

    Der moderne Mensch schaut nach unten. Ziemlich oft und ziemlich lange. In der Bahn, am Arbeitsplatz, beim Essen im Restaurant mit dem Partner, beim Treffen mit Freunden. Die Augen richten sich auf einen kleinen Kasten, den fast jeder bei sich trägt. Dieser Kasten zeigt Dinge, die glitzernder sind als die schnöde Wirklichkeit des Lebens. 

    Zu sehen ist ein unermesslicher Strom an Bildern schöner Menschen an schönen Orten, an kurzen Videos, an Filmen und Serien. Mit dem Kästlein kann man auf der ganzen Welt einkaufen, in virtuellen Realitäten spielen, Nachrichten lesen und seinen Freunden Nachrichten schreiben. Vier Stunden macht das jeder und jede in Deutschland ab 14 Jahren pro Tag im Durchschnitt. Am Ende des Tages ärgert sich der moderne Mensch darüber, dass er seine kostbare Zeit vertrödelt hat.

    Machen Smartphones glücklich? Ja, denn beim Benutzen von Social Media wird das Glückshormon Dopamin freigesetzt.
    Machen Smartphones glücklich? Ja, denn beim Benutzen von Social Media wird das Glückshormon Dopamin freigesetzt. Foto: Samsung, dpa

    Das Smartphone ist eine Droge für den Kopf

    Das Schöne und Unheimliche am Kästchenschauen ist, dass es dafür eine Belohnung gibt. Das Gehirn schüttet das Glückshormon Dopamin aus. Das passiert zum Beispiel auch beim Essen von Schokolade oder beim Genuss von Alkohol.

    Weil der Mensch nach Dopamin hungert, ist die Welt im Kästchen so verführerisch. Unser Kopf liebt die kurzen Impulse aus Bildern, Tönen, Kuriositäten und Nachrichten von Freunden. Wie alle Suchtstoffe fordert auch der Medienkonsum einen Preis. In der Forschung ist das gut belegt. Die Aufmerksamkeitsspanne wird kürzer, die Konzentrationskraft für komplizierte Dinge schwindet, das Gedächtnis merkt sich weniger. Das Erhaschen von Überschriften auf einer Nachrichtenseite führt nicht dazu, dass die Informationen hängen bleiben und in einen größeren Kontext gestellt werden können.

    Und auf einmal ist der Habeck ganz okay

    Das ist für den Einzelnen problematisch. Weil es aber fast jeder tut, ist es auch ein gesellschaftliches Problem. Es verändert die Kommunikation. Sie ist schneller und härter als früher. In den sozialen Medien werfen sich die Nutzer Dinge an den Kopf, die sie einem anderen nie sagen würden, stünden sie ihm direkt gegenüber. Von Mensch zu Mensch aus Fleisch und Blut. 

    Das gesellschaftliche Klima ist vergiftet. Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ziehen ungefilterte Abneigung auf sich, zum Teil puren Hass. Das trifft Schauspielerinnen genauso wie Sportler, Wirtschaftsbosse und Politiker. Dabei ist interessant, dass sich die negative Aufwallung sofort legt und teilweise in das Gegenteil verwandelt, wenn es zu einer echten Begegnung kommt. Wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Beispiel Handwerker auf einer Messe trifft, finden auch Habeck-Gegner, dass er ja eigentlich ganz okay ist und man mit ihm normal reden kann. Nach einem Gespräch werden aus Gegnern keine Fans, aber die Stimmung ist wie ausgewechselt.

    Das Smartphone wegzulegen fühlt sich an wie ein Entzug

    Das Beispiel zeigt die Schönheit der Begegnung von Angesicht und Angesicht. Durch das Kästchenschauen kommt es weniger dazu. Das interessante Gespräch mit Fremden während einer Zugfahrt, der Quatsch mit Kollegen in der Pause oder der Flirt in der Bar -- diese Momente fallen weg. Der Sog der Online-Welten ist stark, sie ziehen den Blick nach unten. Das eigentliche Verpassen geschieht aber nicht dort, denn auch morgen wird der unendliche Strom aus Bildern, Videos, Musik und Informationen fließen. Das eigentliche Verpassen geschieht in der schnöden Wirklichkeit. „Wir amüsieren uns zu Tode“, schrieb der Medientheoretiker Neil Postman Mitte der 80er-Jahre. Seine Medienkritik zielte damals auf das Fernsehens. Seine schlimmsten Befürchtungen sähe er heute im Internet hundertfach übertroffen. 

    Dem Rauschen des Stromes zu entkommen ist gar nicht so leicht. Das Smartphone wegzulegen oder in der Tasche zu behalten, den Blick zu heben, dem Impuls zu widerstehen, fühlt sich an wie ein Entzug. Genau darum geht es, denn zunächst verlangt das Hirn nach Dopamin aus dieser Quelle. Eine Studie aus dem Jahr 2021 von der University of California kam zu dem Ergebnis, dass der Entzug die Lebensqualität steigern kann. Die beste Gelegenheit für einen Versuch steht übrigens vor der Tür, wenn der Frühling beginnt. Das Leben wartet draußen. 

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