Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Leitartikel: Das tragische Scheitern des Sigmar Gabriel

Leitartikel

Das tragische Scheitern des Sigmar Gabriel

    • |
    Sigmar Gabriel wird nicht Kanzlerkandidat der SPD.
    Sigmar Gabriel wird nicht Kanzlerkandidat der SPD. Foto: Boris Roessler (dpa)

    Unter den Spitzenämtern, die die deutsche Politik zu vergeben hat, ist das des SPD-Vorsitzenden das mit Abstand undankbarste. Nie kann er sich der Loyalität seiner Partei wirklich sicher sein, nach jeder verkorksten Landtagswahl kann er ins Zentrum einer veritablen Personaldebatte rücken – und mit jedem Umfrageprozent, das die Sozialdemokratie verliert, wächst unter den Genossen die Sehnsucht nach einem Neuanfang. Auch deshalb hat die SPD in den 30 Jahren seit dem Rücktritt von Willy Brandt zwölfmal die Pferde gewechselt. Die CDU, das nur nebenbei, kam in der gleichen Zeit mit drei Vorsitzenden aus.

    Sigmar Gabriel hat an seiner Partei zuletzt mindestens so gelitten wie sie an ihm – und so gesehen ist es nur konsequent, wenn er jetzt mit einem großen Knall auf die Kanzlerkandidatur verzichtet, den Parteivorsitz niederlegt und als Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier ins Auswärtige Amt wechselt. Ob seine Entscheidung politisch klug war, steht dagegen auf einem ganz anderen Blatt. Mit Gabriel an der Spitze hat die SPD sich unspektakulär, aber verlässlich in der politischen Mitte behauptet, auf dem Terrain also, auf dem für gewöhnlich Wahlen gewonnen werden.

    Sigmar Gabriel zeigte: Er kann regieren

    Als Umwelt- und Wirtschaftsminister hat Gabriel gezeigt, dass er regieren kann. Er hat seine Partei nach dem 21-Prozent-Debakel bei der Wahl 2009 wieder neu aufgerichtet, sie vier Jahre später zurück an die Macht geführt – und dabei einen Koalitionsvertrag ausgehandelt, der von der Rente mit 63 über den Mindestlohn bis zur Mietpreisbremse so ziemlich alles enthielt, was ihr wichtig war. Gedankt aber hat die SPD es ihm nicht. Im Gegenteil. Dass sie in kaum einer Umfrage über 22 Prozent hinauskommt, hat die Partei sich selbst zuzuschreiben, nicht ihrem Vorsitzenden.

    Es ist ihre notorische Lust am Widerspruch, die schon Gerhard Schröder, Franz Müntefering und Kurt Beck das Leben schwer gemacht hat, gepaart mit einer latenten Unentschlossenheit: Einerseits misst sie jeden ihrer Vorsitzenden insgeheim noch immer an ihrem Idol Brandt und mahnt bei jedem von ihnen Führung an. Gleichzeitig aber lässt sie diese Führung nicht zu, wenn es darauf ankommt. Keine andere Partei käme auf die Idee, einen eigenen Konvent einzuberufen, um über eine Selbstverständlichkeit wie das europäisch-kanadische Handelsabkommen zu entscheiden. Die SPD schon.

    Gabriel will Außenminister werden

    Gabriels Scheitern ist auch deshalb so tragisch, weil er nie wirklich eine Chance hatte. Als er sein Amt als Parteichef antrat, hatte die Partei alle Hoffnungen auf ihn projiziert, bald aber gaben wieder die Nörgler den Ton an. Widerwillig nur ist die SPD ihm in die Große Koalition gefolgt, sie hat ihn bei seiner Wiederwahl mit einem Ergebnis von lediglich 74 Prozent abgestraft, als habe er gerade eine Bundestagswahl verloren, und ihre Augen in ihrer Sehnsucht nach etwas Neuem immer ungenierter auf Schulz gerichtet. Als Außenminister wird Gabriel ihr zwar noch an prominenter Stelle erhalten bleiben.

    Das Amt jedoch, das ihm immer am wichtigsten war, wichtiger auch als die Kanzlerkandidatur, war der Parteivorsitz. Im Rückblick war es sicher ein Fehler, dass er bei der letzten Wahl Peer Steinbrück in ein aussichtsloses Rennen gegen Angela Merkel gehetzt hat. So schlecht jedoch, wie sie in der Partei gelegentlich gezeichnet wird, ist Gabriels Bilanz nicht. In den Bundesländern zum Beispiel steht die SPD besser da als die Union.

    Kandidat Schulz: Ein Stück sozialdemokratischer Geschichte

    Nun versammelt sie sich hinter Schulz – und ist in Gedanken doch schon vier Jahre weiter. Hinter den Kulissen haben längst die Positionskämpfe für die Wahl 2021 begonnen. Dann wird auch der Kandidat Schulz schon ein Stück sozialdemokratischer Geschichte sein.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden