Atomkraft, ja bitte! Zumindest ein bisschen. So lässt sich das Ergebnis einer Debatte zusammenfassen, die man eigentlich eher in Union oder FDP vermuten würde, die nun aber auch die Grünen erfasst hat. Immer mehr prominente Politikerinnen und Politiker der einstigen Anti--Partei denken laut darüber nach, die drei noch ans Netz angeschlossenen deutschen Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus laufen zu lassen. Hintergrund ist die Angst vor Energieengpässen im Winter. Doch selbst wenn die Grünen ihren Widerstand aufgeben sollten: Rein rechtlich ist ein Weiterbetreiben aktuell ausgeschlossen und auch praktisch wäre er schwer umzusetzen.
Als eine der ersten hatte Grünen-Chefin Ricarda Lang die Spekulationen befeuert. Auf Nachfrage, ob es die Möglichkeit gebe, dass die Laufzeiten verlängert werden, verneinte Lang in der ARD zwar, erklärte aber zugleich, dass man das „im Moment“ nicht tun werde. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt legte nach. „Wenn es „eine wirkliche Notsituation“ gebe, dann „müssen wir darüber reden, was mit den Brennstäben ist“, sagte sie. Eine Möglichkeit, die jüngst auch die Münchner Stadtregierung ins Spiel gebracht hatte, wäre ein „Streckbetrieb“ bis Ende März. Damit würde die Leistung der Atommeiler reduziert und auf einen längeren Zeitraum verteilt. Die produzierte Strommenge bliebe unter dem Strich gleich.
Laufzeitverlängerung: Wer haftet für die drei Atomkraftwerke?
Wenn die Meiler über das Jahresende hinaus am Netz bleiben sollen, wäre allerdings eine Sicherheitsüberprüfung „zwingend geboten“, heißt es aus dem Haus des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck. Die letzten Prüfungen sind 13 Jahre her, sie lassen sich nicht so schnell nachholen. Die Betreiber hatten bereits ausgeschlossen, im Fall eines Weiterbetriebs die Haftung zu übernehmen. Bedeutet: Der Staat müsste einspringen und im Falle eines Atomunfalls für die Schäden zahlen.
Und noch eine Hürde gibt es: Der Bundestag müsste das Atomgesetz ändern. Die Bundesregierung will zunächst aber das Ergebnis des zweiten sogenannten Stresstests unter verschärften Bedingungen abwarten. Er soll Auskunft darüber geben, wie sicher die Stromversorgung in Deutschland ist – und könnte die Grünen unter Zugzwang setzen. „Wenn der verschärfte Stresstest ergeben sollte, dass einzelne AKWs im Extremfall zur Aufrechterhaltung der Stromversorgung beziehungsweise Netzstabilität notwendig sind, müssen wir je nach Anlage entsprechend reagieren“, sagte der Grünen-Fraktionschef im Bayerischen Landtag, Ludwig Hartmann, auf Nachfrage unserer Redaktion. Zentral sei es, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Der Freistaat müsse in diesem Test besonders berücksichtigt werden, „weil uns die bayerische Regierung vollkommen abhängig gemacht hat“, fügte Hartmann mit einem Seitenhieb auf die CSU hinzu. Genau diese setzt die Grünen seit Wochen unter Druck, ihre Bedenken aufzugeben.
An diesem Dienstag tagen die Energieminister in Brüssel
CSU-Chef Markus Söder appelliert, man müsse jede denkbare Form von Energie heranschaffen, „whatever it takes“ – koste es, was es wolle. Der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, warnte bei deren Klausur in Kloster Banz davor, die europäischen Nachbarn zu brüskieren, auf deren Solidarität man im Winter angewiesen sein könnte: „Wenn wir dann gleichzeitig unsere Situation dadurch verschärfen, dass wir die Kernenergie abschalten, dann werden unsere Partnerländer sagen: Aus dieser Misere können wir euch nicht raushelfen.“
Um solche Fragen wird es an diesem Dienstag gehen, wenn die EU-Energieminister in Brüssel zusammenkommen. Die Debatte um die Atomkraft ist auch Thema im und auf der .