Es ist eine Zäsur im deutschen Parteiensystem: Mit 32,8 Prozent ist die vom Verfassungsschutz in Thüringen als rechtsextremistisch eingestufte AfD erstmals in ihrer Geschichte stärkste Kraft in einem Bundesland geworden. „Historisch“ nennt der thüringische Spitzenkandidat Björn Höcke den Rückhalt, den er von den Wählerinnen und Wählern erhalten hat – zu Recht: Der Wert ist der bisher höchste Stimmenanteil für die AfD bei einer Wahl in Deutschland. Gleich dahinter reihen sich die 30,6 Prozent in Sachsen ein, auch wenn es für die Partei dort nur für Platz zwei hinter der CDU reicht. Der bisherige AfD-Rekord lag bei 27,5 Prozent (Landtagswahl Sachsen 2019).
Zu verdanken hat die Partei ihre Wahlerfolge vor allem Männern. In Thüringen entschieden sich 39 Prozent der Wähler für die AfD, aber nur 28 Prozent der Wählerinnen. Ein ähnlich großer Abstand zwischen den Geschlechtern ist bei den anderen Parteien nicht erkennbar. Selbst bei der CDU ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern bei der Abstimmung relativ ausgewogen.
Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: Bei den Jungen ist die AfD stärkste Kraft
Und noch einen Unterschied gibt es zwischen den beiden Wählergruppen: Anders als die CDU erreicht die AfD zunehmend junge Wähler – dort wurde sie sogar mit Abstand stärkste Kraft. Ein Phänomen, das schon bei der Europawahl offenkundig wurde. Auch diesmal erhielt die CDU durchgängig umso höhere Stimmenanteile, je älter die Menschen waren. Bei den über 70-Jährigen kam sie auf 45 Prozent, bei den 18- bis 24-Jährigen nur auf 17 Prozent. Für die AfD hingegen gilt: Mehr als ein Drittel der unter 30-Jährigen machten ihr Kreuz bei der Höcke-Partei. Bei den über 70-Jährigen lag der Anteil hingegen mit 23 Prozent deutlich darunter, wie Zahlen des Instituts infratest dimap für die ARD zeigen.
Aus Sicht des Generationenforschers Rüdiger Maas ist dies Ausdruck einer Normalisierung der Partei. „Die AfD wird nicht als unmittelbar rechtsextrem wahrgenommen“, sagte er. Viele junge Menschen schätzten sich selbst als politisch mittig ein, wählten dann aber AfD. Die klassische Aufteilung der Parteienlandschaft in links und rechts verliere für junge Wähler ohnehin an Bedeutung. „Dadurch rutschen diese Extremparteien auch nicht an die Ränder“, sagt Maas. Es gebe unter jungen Leuten zudem eine hohe Toleranz gegenüber AfD-Wählern im Freundeskreis, wie eine Studie seines Instituts jüngst gezeigt habe. „Uns haben viele junge Leute gesagt: ,Die Rechtsextremen tun uns nichts, die sind nicht böse‘. Diese Gefahr scheinen vor allem ältere Menschen zu sehen.“
Verluste der SPD in Sachsen und Thüringen: Ist die AfD die neue Arbeiterpartei?
Eine andere Erkenntnis dürfte vor allem die Sozialdemokraten treffen: Die AfD holte mehr als 40 Prozent der Stimmen bei Arbeitern und Selbstständigen. Nur noch sechs Prozent der Arbeiter wählten hingegen SPD, bei den Angestellten waren es 10 Prozent. Das hatte Folgen: Mit lediglich 6,1 Prozent in Thüringen und 7,3 Prozent in Sachsen erreicht die SPD ihre schlechtesten Ergebnisse bei Landtagswahlen. Bisher lag der Negativrekord bei 7,7 Prozent (Landtagswahl Sachsen 2019). Forderungen nach einem höheren Mindestlohn oder mehr Unterstützung für Bürgergeldempfänge scheinen in diesem Milieu nicht mehr zu verfangen. Nicht auffangen kann die SPD die Abstiegsängste vieler Menschen.
Bestimmendes Thema für die AfD-Wählerinnen und Wähler war allerdings die Migration. 98 Prozent von ihnen stimmten der Aussage „Ich finde es gut, dass sie den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen stärker begrenzen will“ zu. Auch das „sich gesehen fühlen“ spielte eine große Rolle: „Wie wenig die Thüringer sich von der aktuellen Bundespolitik abgeholt fühlen, wird denn auch deutlich bei der Frage, welche Partei sich am ehesten um die Sorgen und Nöte der Ostdeutschen kümmert: 25 Prozent nennen die AfD, 22 Prozent die Linke - vor fünf Jahren lag deren Anteil noch bei 40 Prozent -, elf Prozent die CDU und zehn Prozent das BSW. Die Parteien der Bundesregierung spielen hier keine Rolle“, analysiert die Forschungsgruppe Wahlen aus Mannheim. Auffallend ist zudem der große Unterschied im Wahlverhalten zwischen Stadt und Land. In kleinen Gemeinden kam die AfD auf Stimmanteile von 36 Prozent, in Großstädten auf 21 Prozent.
Eines wird der AfD aber trotz ihres Erfolges verwehrt bleiben: die Regierungsverantwortung. Keine der übrigen Parteien möchte mit ihr eine Koalition eingehen. Als Hebel hat sie allerdings zumindest in Thüringen erstmals eine sogenannte Sperrminorität in der Hand. Da sie mehr als ein Drittel der Mandate im Landtag bekommt, kann sie Entscheidungen blockieren, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig wären, etwa die Wahl von Verfassungsrichtern oder die Spitze des Landesrechnungshofs. In Sachsen verpasste die AfD eine Sperrminorität knapp.
Jung, männlich, AfD-Wähler? Dann haben sicherlich jung, weiblich die GRÜNEN wegen Ricarda Lang gewählt?
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