Lächelnd steigt sie, die Hessens erste Ministerpräsidentin werden will, in der Abendsonne aus der Limousine, umarmt zur Begrüßung Parteifreunde. Für Nancy Faeser ist dieser Freitagabend im Frankfurter Ostend zwischen Wahlkampf und Berliner Dauerbeschuss eine Wohlfühlveranstaltung. Gut gelaunt plaudert sie mit den Gastgebern in einem Kulturverein im früheren Arbeiterviertel. Etwa 50 Gäste, dem Anschein nach vor allem Parteimitglieder ihrer SPD, erwarten sie zu einer Diskussionsrunde über Europa.
„Wir müssen über Hessen reden“, sagt Faeser, nachdem die europäischen Themen abgearbeitet sind. Jetzt ist sie im Wahlkampfmodus. Kita-Gebühren will sie abschaffen. "In Hessen hängt der Bildungserfolg der Kinder vom Geldbeutel der Eltern ab", sagt die 53-Jährige. Staatliche Aufträge sollen nur noch an Firmen gehen, die nach Tarif bezahlen. In Bildung und Gesundheitswesen sollen Zehntausende neue Stellen geschaffen werden. Woher sollen die Fachkräfte kommen? Es ist die einzige kritische Frage des Abends. Sie antwortet nur vage. Doch das reicht den Genossinnen und Genossen.
Für Nancy Faeser geht es längst um ihre politische Zukunft
Unter Parteifreunden ist Faeser sichtbar entspannt. Dabei ist die politische Lage drei Wochen vor der Wahl kritisch. Die aktuelle Umfrage des Hessischen Rundfunks sieht die SPD mit 18 Prozent abgeschlagen hinter der CDU (31 Prozent) und nur knapp vor den Grünen und der AfD (jeweils 17 Prozent). Die SPD droht nur viertstärkste Kraft zu werden. In einem Bundesland, in dem sie zwischen 1946 und 1999 fast durchgehend den Ministerpräsidenten stellte. Für Faeser geht es längst auch um ihre politische Zukunft. Sie sieht keinen Grund, ihren Posten als Bundesinnenministerin aufzugeben, um sich voll auf Hessen zu konzentrieren. Damit hat sie sich ein Sicherheitsnetz gespannt: entweder wird sie Ministerpräsidentin oder sie bleibt in Berlin. Die Frage ist, ob das gut ankommt.
Noch dazu ist ihr Ministerposten selbst zum Risikofaktor geworden. Die Kritik an ihrer Berliner Arbeit – da geht es beispielsweise um die Frage, ob sie den Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, zu Unrecht entlassen hat – wird auch in Hessen diskutiert. Hinzu kommt, dass Faeser als Bundesinnenministerin für das heikle Thema Migration zuständig ist. Ihre politischen Gegner werfen ihr vor, nicht streng genug gegen illegale Zuwanderer vorzugehen.
Von Faesers Schwäche will Boris Rhein profitieren. Der Amtsinhaber von der CDU eröffnete seinen Wahlkampf mit dem Slogan „Boris Rhein – Ampel raus“. Mit Ordnung und Sicherheit setzt der er auf klassische CDU-Töne. Bis 2014 war er als Innenminister genau für diese Punkte zuständig. Es war eine Überraschung, dass er nach Stationen als Wissenschaftsminister und Landtagspräsident 2022 Bouffiers Nachfolge als Ministerpräsident antrat.
Derzeit verfügt die Union in Umfragen über einen Vorsprung von über zehn Prozentpunkten. Eine andere Frage ist, ob Rhein Ministerpräsident bleibt. Sollten SPD, Grüne und FDP zusammen wenige paar Zähler zulegen, könnte es auch in Hessen für eine Ampel reichen. Für Faeser ist Rot-Grün-Gelb die einzig realistische Option – mit ihr an der Spitze. Dafür müssten aber auch die Grünen mitspielen. Die haben sich einen Tag nach Faeser ebenfalls in Frankfurt versammelt. Ein Straßenfest mit Flohmarkt, internationaler Küche und Ständen politischer Initiativen.
Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir steht für Schwarz-Grün
Heimspiel für Tarek Al-Wazir. Er ist der amtierende Wirtschaftsminister der seit zehn Jahren regierenden schwarz-grünen Landesregierung – und der Ministerpräsidenten-Kandidat der Grünen. Obwohl etwa der Ausbau von Autobahnen und des Frankfurter Flughafens am grünen Selbstverständnis rüttelten, gab es kaum öffentliche Differenzen in der Regierung. Auf dem Straßenfest mit vielen jungen Familien präsentiert er seine vier Kernthemen für die Wahl: Fachkräftemangel, Wohnungsnot und Wirtschaftskrise bekämpfen, sowie den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. "Geh langsam, aber bleib immer in Bewegung", nennt er sein Motto für die kommende Legislaturperiode. Der Landesverband ist fest in der Hand der Realos.
Mitglieder und -Sympathisanten blicken pragmatisch auf die mögliche Fortsetzung von Schwarz-Grün. Zwar bremse die CDU bei sozialpolitischen Themen. Das Chaos auf Bundesebene schrecke aber ab. Sollten die Grünen bei der Wahl Juniorpartner bleiben (müssen), dann sagen viele: lieber mit der CDU als in der Ampel. Spannend dürfte es vor allem werden, wenn die Grünen vor der SPD landen und die Koalition mit der FDP rechnerisch möglich wäre. Dann könnte Al-Wazir die Aussicht auf das Amt des Ministerpräsidenten aus dem Bündnis mit der Union locken.
Die FDP dümpelt nach Umfragen an der Fünf-Prozent-Grenze
FDP-Spitzenkandidat Stefan Naas positioniert sich schon als zukünftiger Wirtschaftsminister, aber nicht in einer Hessen-Ampel, sondern unter Boris Rhein. Der warnt offen davor, die FDP zu wählen, weil das eine Stimme für die Ampel sei. In einem Wahlkampf, in dem Bildung und soziale Themen im Vordergrund stehen, müssen sich die Liberalen sogar ernsthafte Sorgen um den Wiedereinzug in den hessischen Landtag machen – und ohne Gelb keine Ampel. Die Umfragen sehen sie nur noch knapp über der Fünf-Prozent-Hürde.
Noch größer sind die Sorgen bei der Linken. Laut Umfragen schwankt sie kurz vor der Wahl zwischen drei und vier Prozentpunkten. Hessen ist das letzte Flächenbundesland im Westen, in dem die Linke noch im Landesparlament vertreten ist. Vor allem die anhaltende Diskussion um eine Wagenknecht-Abspaltung dürfte ihr schaden.
Die AfD spürt auch in Hessen den bundesweiten Aufwärtstrend
Die AfD spürt auch in Hessen den bundesweiten Aufwärtstrend. Obwohl sie in Hessen so zerstritten ist, dass ihre Fraktion in der vergangenen Legislatur deutlich kleiner wurde. Eine vom Hessische Rundfunk veröffentlichte Umfrage könnte der AfD Hoffnung machen: danach spielt bei 45 Prozent der Wählerinnen und Wähler die Bundespolitik bei ihrer Wahlentscheidung eine größere Rolle als die Landespolitik.