Man weiß nicht, ob im Hause Scholz-Ernst nach diesem Auftritt des Kanzlers für kurze Zeit der Haussegen schief hing. Überschwang jedenfalls ist ein wohl noch zu mildes Wort für die Reaktion von Olaf Scholz auf eine Reporterfrage nach Nancy Faeser. „Das ist eine tolle Innenministerin, die wirklich dazu beiträgt, dass die Sicherheit in Deutschland vorankommt, und viele, viele Defizite der Vergangenheit Stück für Stück mit großer Klarheit abarbeitet“, sagte der SPD-Politiker über seine Parteifreundin. Später schob Scholz noch nach, Faeser sei „eine tolle Frau“, die „großartige Dinge“ könne und von der sich jede Hessin und jeder Hesse wünschen würde: „Na, so eine hätte ich gerne!“
Ob die Hessen Faeser wirklich haben wollen, wird sich am 8. Oktober zeigen. Dann wird ein neuer Landtag für Wiesbaden gewählt, die 52-Jährige tritt als Spitzenkandidatin der SPD an. Offiziell nominiert wurde die SPD-Landesvorsitzende am Freitag bei einem Spitzentreffen der hessischen Sozialdemokraten in Friedewald, ihre Kandidatur gab die Bundesinnenministerin schon vorher unter anderem in einem Schreiben an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekannt. Bis zum Wahltermin will sie im Amt bleiben und nur dann nach Hessen wechseln, wenn sie Ministerpräsidentin wird. „Oppositionsführerin war ich schon. Wenn die Wählerinnen und Wähler sich anders entscheiden, werde ich weiterhin als Bundesinnenministerin meiner Verantwortung gerecht werden“, sagte sie dem Spiegel.
Frei kritisiert „Teilzeit-Innenministerin“
Sowohl ihre Kandidatur an sich als auch die Ankündigung, im Falle einer Niederlage in Berlin bleiben zu wollen, stieß in der Opposition auf Kritik. Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei etwa sagte dem Fernsehsender Welt, das Bundesinnenministerium sei nicht nur eines der größten, sondern auch der bedeutendsten Ministerien. „Die Bundesinnenministerin ist für unsere Sicherheit in Deutschland verantwortlich“, meinte der CDU-Politiker und nannte Herausforderungen wie Cyberkriminalität, Terrorismus und Extremismus. Vor diesem Hintergrund könne sich „Deutschland schlicht keine Teilzeit-Innenministerin leisten“.
Zum Auftakt des Treffens in Friedewald zeigte sich Faeser abgeklärt. Die Kritik an ihren Plänen habe sie nicht überrascht, lächelte sie. Bei Männern habe sie Entsprechendes allerdings selten gehört. Ein Unionspolitiker aus Bayern immerhin schlug andere Töne an: "Ich habe kein Problem damit, dass man sagt, man will Bundesinnenministerin bleiben - aber dann muss man den Job auch erfüllen", sagte CSU-Chef Markus Söder. Die Genossinnen und Genossen applaudierten, Faeser hatte sich zudem „volle Rückendeckung“ von Kanzler Scholz geholt. Dem Regierungschef kam ihre Entscheidung gelegen, hat er doch gerade erst für Christine Lambrecht Verteidigungsminister Boris Pistorius ins Kabinett geholt und damit die von ihm beschworene Parität gebrochen. Hätte er noch eine Frau im Kabinett verloren, wäre die Erklärungsnot größer geworden.
Loyal an der Seite von Kanzler Scholz
Vor allem aber weiß Scholz in Faeser nach mehr als einem Jahr Regierungsarbeit eine loyale Ministerin an seiner Seite, die sich eingearbeitet hat. Nach rumpeligem Start – der Juristin wurde unter anderem vorgeworfen, sie sähe auf dem linken Auge nicht allzu gut, nachdem sie den Rechtsextremismus als mit Abstand größte Gefahr für den Staat identifiziert hatte – überzeugte sie durch Fleiß und Konsequenz manchen Kritiker. Mit ihren europäischen Amtskollegen verständigte sie sich etwa auf ein konsequenteres Vorgehen gegen illegale Migration auf der Balkanroute, verlängerte die Kontrollen an der Grenze zu Österreich. Auch die sogenannte „Clan-Kriminalität“ will sie entschieden bekämpfen. Die Polizei, mit der Amtsführung ihres Vorgängers Horst Seehofer nicht immer einverstanden, steht an ihrer Seite.
Die verheiratete Mutter eines Sohnes weiß um die Brisanz, die ihre Entscheidung mit sich bringt. Bis zum 8. Oktober wird jeder ihrer Schritte noch genauer als ohnehin schon unter die Lupe genommen, Faeser muss sorgfältig zwischen Amtsführung und Spitzenkandidatur trennen. So darf sie nicht etwa Personal des Ministeriums für ihren Wahlkampf einsetzen, die Trennung lässt sich im Alltagsbetrieb allerdings nicht leicht umsetzen. Ihre Bodyguards kann Faeser mit nach Hessen nehmen. Aber schon bei der Frage, ob sie ihre Dienstlimousine benutzen darf oder in ein anderes Fahrzeug umsteigen muss, wird es kritisch. Die Ministerin reagierte bereits und kündigte beispielsweise an, dass ihr Twitter-Kanal „nicht mehr von meinem Ministerium betreut“ werde.