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Labor Day: Auf Wahlkampftour in den USA: Die heiße Phase beginnt

Labor Day

Auf Wahlkampftour in den USA: Die heiße Phase beginnt

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    John Fetterman führt in Umfragen zur Senatswahl in Pennsylvania. Er trägt die Postleitzahl seines Heimatorts auf dem Arm.
    John Fetterman führt in Umfragen zur Senatswahl in Pennsylvania. Er trägt die Postleitzahl seines Heimatorts auf dem Arm. Foto: Imago Stock&people

    Doktor Mehmet Oz versucht sich vor der Gemüsetheke des Supermarktes volkstümlich zu geben. Nachdem er Brokkoli, grünen Spargel, Karotten, Guacamole und Salsa aus dem Regal genommen hat, beschwert sich der gertenschlanke Fernsehdoktor, 62, über den Preis. „Leute, das sind 20 Dollar für Crudités (Gemüsesticks, Anm. d. Red.). Und da ist der Tequila noch nicht eingerechnet."

    Der TV-Spot des republikanischen Kandidaten für den offenen Senatssitz in Pennsylvania erwies sich als Steilvorlage für John Fetterman, 53. „Er ist eindeutig noch nie in einem Supermarkt gewesen“, macht sich der Zwei-Meter-Mann über das Video lustig. Und spottet über den Gebrauch des französischen Worts "Crudités": "Wir nennen das hier Gemüse-Platte.“

    Der Senat in den USA ist 50:50 geteilt

    Binnen 24 Stunden spülte die Episode eine halbe Million Dollar in die Wahlkampfkasse des demokratischen Vize-Gouverneurs von Pennsylvania, der nach einem Schlaganfall im Mai seine politischen Aktivitäten ins Netz verlagert hatte. Fetterman trägt die Liebe zu seinem Staat auf dem Körper: Seinen Unterarm ziert die Postleitzahl seines Heimatorts Braddock. In Umfragen liegt Fetterman acht Punkte vor Mehmet Oz, dem türkischstämmigen Herzchirurgen, den die Amerikaner aus seiner TV-Sendung „Dr. Oz Show“ kennen. Dabei müssen die Republikaner von Mehmet Oz in Pennsylvania gewinnen, wenn sie im November die Mehrheit in dem zurzeit 50:50 geteilten Senat übernehmen wollen.

    Der Labor Day, der Gedenktag der Arbeiterbewegung am ersten Montag im September, läutet in den USA traditionell die heiße Phase des Wahlkampfs ein. Und diesmal zeichnet sich eine Stimmungswende zugunsten der Demokraten ab.

    Der einst als Quacksalber und Anbieter wirkungsloser Diätpillen entlarvte Oz erhielt bei den Vorwahlen der Republikaner Trumps Segen, weil er diesen genügend hofiert hatte. Eifrig unterstützte der Kandidat die „große Lüge“ von den gestohlenen Wahlen und bezeichnete Abtreibungen ab der Empfängnis als „Mord“. Das kam an der „Make-America-Great-Again“-Basis (MAGA) an, nicht aber beim Wahlvolk.

    Liegt hinten: Mehmet Oz, republikanischer Kandidat für Pennsylvania.
    Liegt hinten: Mehmet Oz, republikanischer Kandidat für Pennsylvania. Foto: Brian Cahn, Imago Images

    Der Fehlgriff Trumps in Pennsylvania ist nicht die einzige Personalie, die den Republikanern bei den Zwischenwahlen im November zu schaffen macht. MAGA-Kandidaten bereiten dem Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, auch in anderen Staaten Kopfschmerzen, die seine Partei bei den „Midterms“ gewinnen müsste: angefangen in Arizona mit Investmentbanker Blake Masters über Georgia mit Football-Star Herschel Walker bis hin zu Ohio, wo der Besteller-Autor J. D. Vance Mühe hat, den Demokraten Tim Ryan abzuschütteln.

    Umgekehrt haben die Demokraten mit Cheri Beasley in North Carolina, Val Demings in Florida und Mandela Barnes in Wisconsin attraktive Kandidaten und Kandidatinnen aufgestellt, die einen offenen Sitz und zwei republikanische Amtsinhaber erfolgreich ins Visier nehmen könnten. Der Wahlstatistiker Nate Silver sieht die Chancen für eine Mehrheit der Demokraten im Senat zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs bei 68 Prozent.

    Der republikanische Mehrheitsführer McConnell räumte kürzlich ein, es sei „wahrscheinlicher, dass das Repräsentantenhaus kippt als der Senat“. Die „Qualität der Kandidaten“ habe viel mit dem Ergebnis zu tun. Und mit Donald Trump, der seit Wochen die Schlagzeilen bestimmt. Der ganze Juli stand im Zeichen der Kongressanhörungen über die Rolle des Ex-Präsidenten bei dem versuchten Staatsstreich vom 6. Januar 2021. Im zurückliegenden Monat sorgte die Geheimdokumente-Razzia in Trumps Anwesen Mar-a-Lago für weitere Dauerpräsenz in den Medien.

    Bidens Bilanz kann mit Obama mithalten

    Normalerweise sind die Zwischenwahlen ein Referendum über den Amtsinhaber. Diesmal geraten sie aller Voraussicht nach zu einem Richtungsentscheid. Aus Sicht der Demokraten ist das allemal besser. Denn Trump ist mit einer Zustimmungsrate von nur 38 Prozent noch unbeliebter als Joe Biden, der am Labor Day bei 42 Prozent lag. Tendenz steigend. Für das Stehaufmännchen der US-Politik lief es zuletzt blendend. Biden kann nach einer Reihe legislativer Erfolge im Kongress eine Bilanz vorweisen, die mit der von Barack Obama konkurrieren kann.

    Der 79-jährige Präsident setzte ein Billionen Dollar schweres Infrastruktur-Paket, dreistellige Milliardenhilfen für die Herstellung einheimischer Computerchips und den Forschungsstandort sowie historische Klimaschutz-Investitionen durch. Hinzu kommt das erste Waffengesetz seit drei Jahrzehnten und ein spürbarer Erlass von Ausbildungsschulden. All das trug dazu bei, Anhängerinnen und Anhänger der Demokraten zurückzugewinnen, denen versprochene Reformen lange nicht schnell genug vorangekommen waren. Laut Umfragen ist die Basis des Präsidenten nun mindestens so motiviert wie die der Republikaner.

    Biden kehrte Ende August bei einer Kundgebung in Rockville vor den Toren Washingtons aus einer politischen Verschnaufpause zurück. Danach machte der Präsident zweimal Station in Pennsylvania, das nicht nur ein Schlüssel zum Erfolg im November ist, sondern auch Bidens Heimat. Ende vergangener Woche hielt er an der Wiege der amerikanischen Demokratie, in Philadelphia, eine Rede an die Nation.

    Der Präsident wiederholte darin nicht den Vorwurf, dass die Republikaner eine „halb faschistische“ Partei geworden seien. Aber er nannte Ross und Reiter. „Zu viel von dem, was heute in unserem Land passiert, ist nicht normal.“ Trump und seine MAGA-Bewegung stünden für „einen Extremismus, der die Fundamente unserer Republik bedroht“. MAGA-Republikaner lehnten es ab, „die Ergebnisse freier Wahlen zu akzeptieren“. Diese Kräfte fachten politische Gewalt an, für die es in Amerika „keinen Platz“ gebe. Demokratie sei nicht garantiert. „Wir müssen sie verteidigen, schützen, für sie aufstehen.“ Geschickt schlug Biden dann eine Brücke zu den Angriffen auf das Recht, zu wählen und private Entscheidungen über den eigenen Körper zu treffen – etwa bei der Frage nach einem Schwangerschaftsabbruch. „Wählt, wählt, wählte.“

    Unverkennbar hat sich zum Wahlkampfauftakt die Stimmung gedreht. Im Senat zugunsten einer Mehrheit der Demokraten, im Repräsentantenhaus zu einer Zitterpartie für die Republikaner. Mit der Erwartung eines Zugewinns von drei Dutzend Sitzen hatte der republikanische Minderheitsführer Kevin McCarthy im Frühjahr bereits die Gardinen des Büros vermessen, in dem derzeit Nancy Pelosi residiert, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses. Dann kam das Abtreibungsurteil, mit dem der Supreme Court im Juni ein halbes Jahrhundert an Rechtsprechung über den Haufen geworfen hatte.

    Labor Day: Die Abtreibungsentscheidung rächt sich

    Die anfängliche Freude der Republikaner darüber kam wie ein Bumerang zurück. Mit strikten Abtreibungsverboten in vielen konservativ regierten Bundesstaaten – ohne Ausnahmen für Inzest, Vergewaltigung oder Lebensgefahr der Mutter – hätten die Republikaner die Lage für sich selber verschärft. „Das ist ein Desaster“, sagt der Politologe Lary Sabato von der University of Virginia. Ablesen lässt es sich an handfesten Zahlen. 57 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner lehnen das Abtreibungsurteil ab, zwei von dreien beklagen gar den Verlust von Frauenrechten. Entsprechend groß ist die Wählermobilisierung. Laut den Meinungsforschern des Unternehmens Target Smart haben sich USA-weit deutlich mehr Frauen neu zum Wählen bei den Midterms registriert als Männer. In dem wichtigen Wechselwählerstaat Wisconsin sind es beispielsweise 15 Prozent mehr, in Pennsylvania zwölf Prozent und in Ohio elf.

    Das lässt die Demokraten hoffen, die ihre Erfolge bei den Midterms 2018 und den Präsidentschaftswahlen 2020 laut Nachwahlanalysen den Frauen aus dem suburbanen Amerika zu verdanken haben. „Die Abtreibungsentscheidung hat die Demokraten elektrifiziert“, räumt der republikanische Stratege Whit Ayres ein, der seiner Partei empfiehlt, nicht über Abtreibung zu sprechen. Ein Rat, den selbst MAGA-Kandidaten annehmen, die reihenweise auf ihren Webseiten radikale Positionen zur Abtreibung löschen. Die US-Medien sprechen von der „großen Säuberung“. Der Kolumnist Dana Milbank lästert in der Washington Post, eine Feinjustierung nach den Vorwahlen der Parteien sei normal, „ein Übersprühen im Sowjetstil, das Positionen gänzlich verschwinden lässt, nicht“.

    Besonders gründlich hat Yesli Vega ihren Auftritt bereinigt, die in Virginia versucht, die demokratische Kandidatin Abigail Spanberger abzulösen. Die Demokratin erinnert in TV-Spots daran, wie die glühende Trump-Verehrerin Vega kürzlich noch zu Protokoll gab, dass Vergewaltigungen nicht zur Schwangerschaft führten, weil Männer nicht viel Zeit bei ihrem Verbrechen hätten.

    Donald Trump wird vor den Midterms für seine Partei zum Problem.
    Donald Trump wird vor den Midterms für seine Partei zum Problem. Foto: Michael Kappeler, dpa

    In Pennsylvania hat der republikanische Kongress-Kandidat Jim Bognet Referenzen zu Trump, den gestohlenen Wahlen und seinen „Pro Life“-Positionen von seiner Webseite verschwinden lassen. Stattdessen versucht er, das Augenmerk der Wähler auf die Inflation, Kriminalität und Unpopularität Bidens zu lenken. Matt Cartwright, der zu den gefährdeten Demokraten gehört, erinnert an die Weißwaschversuche des MAGA-Kandidaten. Doch es bleiben Restzweifel an dem Stimmungswandel.

    Amy Walter vom renommierten Politmedium Cook Report etwa mahnt vor überzogenen Erwartungen. Die Republikaner müssten im Repräsentantenhaus für eine Mehrheit nur vier Stimmen hinzugewinnen. Keine unlösbare Aufgabe in einer Wählerschaft, in der drei von vier Menschen mit dem Kurs des Landes nicht zufrieden sind. „Die Ausgangslage hat sich nicht geändert“, sagt Walter. Am Ende kommt es bei den Midterms wie immer darauf an, wer tatsächlich seine Stimme abgibt. 2018 war es einer von zwei Wahlberechtigten, während sich die Beteiligung in den Jahren zuvor oft nur um die 40-Prozent-Marke bewegt hatte.

    Nicht nur dem Doktor und dem Zwei-Meter-Mann in Pennsylvania steht noch ein harter Schlagabtausch bevor.

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