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Kritik an Koalition: Geplante Verbesserungen für Kriegsflüchtlinge lösen Behördenchaos aus

Kritik an Koalition

Geplante Verbesserungen für Kriegsflüchtlinge lösen Behördenchaos aus

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    Weit über 600.000 Kriegsflüchtlinge erhalten zum 1. Juni einen besseren Rechtsstatus, doch die Städte und Gemeinden schlagen für die Umsetzung in der Praxis Alarm.
    Weit über 600.000 Kriegsflüchtlinge erhalten zum 1. Juni einen besseren Rechtsstatus, doch die Städte und Gemeinden schlagen für die Umsetzung in der Praxis Alarm. Foto: Jens Büttner, dpa

    In vielen deutschen Jobcentern blicken die Beschäftigten mit Bangen auf den 1. Juni. Gerade in Gegenden mit niedriger Arbeitslosigkeit herrscht seit Wochen Hochbetrieb mit zahllosen Überstunden wie seit Jahren nicht mehr, um sich auf das Datum vorzubereiten. Mit einem Schlag erhalten zum Monatswechsel weit über 600.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge einen neuen Rechtsstatus.

    Sie bekommen nicht mehr Leistungen nach den Asylgesetzen, sondern wie Deutsche die üblichen nach dem Sozialrecht. Für die Betroffenen bringt dies in der Regel knapp 20 Prozent höhere Leistungen. Für die Behörden bedeutet es einen gewaltigen Kraftakt bei der Umstellung der Zuständigkeiten und auch höhere Ausgaben der Sozialversicherungen.

    Jobcenter bekommen mit einem Schlag 50 Prozent mehr Arbeit

    In manchen Gegenden Deutschlands bekommen beispielsweise Jobcenter mit einem Schlag bis zu 50 Prozent mehr Kundschaft. Die ukrainischen Flüchtlinge haben automatisch Anspruch auf intensive Beratung in Einzelgesprächen, um einen Arbeitsplatz zu finden. Wichtiger für die meisten ist, dass sie weiter pünktlich an ihr Geld zum Leben kommen.

    Statt Asylbewerberleistung bekommen sie nun Grundsicherung, gemeinhin bekannt als Hartz IV. Doch gerade an diesem Punkt kämpfen viele Jobcenter gegen völlige Überlastung. Da nicht mehr die Asylbehörden der Sozialämter in Landkreisen und Städten zuständig sind, müssen alle Fälle aufwendig neu angelegt werden und die Kriegsflüchtlinge aufwendige Anträge ausfüllen.

    Städte und Gemeinden beklagen schlechte Vorbereitung

    „Die Gesetzesänderungen sind auf Bundesebene ohne ausreichende Rücksprache mit der Praxis vorbereitet worden“, klagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Die Besserstellung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge hält er zwar für den richtigen Weg und grundsätzlich begrüßenswert.

    „Die aktuell vorgesehene Umsetzung bringt mehrere Probleme mit sich“, fügt er jedoch hinzu. „Ein Grundproblem ist sicher, dass noch immer ein großer Teil der Geflüchteten aus der Ukraine nicht vollständig registriert ist“, kritisiert er. Und selbst bei der Behelfslösung gibt es Probleme, bis hin zum akuten Mangel an speziellen Dokumentenvordrucken.

    Bund kann wichtige Dokumente nicht liefern

    Wenn noch nicht endgültig über das Aufenthaltsrecht von Menschen aus dem Ausland in Deutschland entschieden ist, erhalten sie zusätzlich zu ihrem Ausweis ein Spezialdokument, das in unverständlichstem Juristendeutsch „Fiktionsbescheinigung“ heißt – vereinfacht gesagt nimmt der Staat „fiktiv“ an, dass es bald eine Aufenthaltserlaubnis gibt. „Das Ausstellen der

    Laut Landsberg sind eine vollständige Registrierung oder das Ausstellen einer Fiktionsbescheinigung die Voraussetzung dafür, dass die Flüchtlinge in die üblichen Sozialleistungen wechseln können. Zudem schreibe das Sozialrecht eine genaue Einzelfallprüfung vor, damit die Kommunen die ausbezahlten Leistungen später vom Bund erstattet bekommen. Landsberg erwartet für die rückwirkende Prüfung einen enormen Verwaltungsaufwand.

    „Angesichts vieler ungeklärter Fragen hätte man sich mehr Zeit für das Verfahren nehmen und die Fachleute aus der Praxis früher einbinden müssen“, sagt der Verbands-Geschäftsführer. „Der Unmut wird wiederum vor Ort die Kommunen treffen, die zu erklären haben, warum die von Bundesregierung und Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene Rechtsänderung nicht fristgerecht und reibungslos umgesetzt werden kann.“

    Union warnt Bund vor höheren Krankenkassenbeiträgen

    Auch die Union kritisiert, dass die Bundesregierung die seit Wochen bekannten Probleme nicht rechtzeitig vor dem Stichtag gelöst habe: „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass so schnell wie möglich alle technischen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die ukrainischen Flüchtlinge die Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch erhalten können“, sagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm. „Es ist ein Versagen der Bundesregierung, wenn hier keine ausreichenden Vorkehrungen geschaffen wurden“, betont der CDU-Politiker.

    Zudem herrscht in der Union Unmut darüber, dass der Bund nicht ausreichend für die drohenden finanziellen Folgen der Neuregelung für das Gesundheitswesen aufkommen wolle. „Der Zugang der ukrainischen Flüchtlinge zur ärztlichen und medizinischen Versorgung in Deutschland ist nicht zum Nulltarif zu haben“, sagt der CSU-Gesundheitsexperte Stephan Pilsinger. Der Bund erstatte den gesetzlichen Krankenkassen seinen Angaben zufolge weniger als 40 Prozent der durchschnittlich zu erwartenden Kosten, 108 statt mindestens 275 Euro. Der Rest bleibe auf den Beitragszahlenden sitzen.

    CSU-Experte Pilsinger: „Gesundheitskarten fallen nicht vom Himmel“

    „Der Bund muss endlich seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen und seinen Beitrag leisten“, betont Pilsinger. „Das allein auf den Schultern der Beitragszahler abzuladen, ist unfair und schürt schlussendlich den Unmut gegenüber den Flüchtlingen“, betont der CSU-Politiker. Pilsinger fordert zusammen mit seinem CDU-Kollegen Tino Sorge in einem Brief an SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, für eine kostendeckende Lösung zu sorgen, um einen weiteren Anstieg der Krankenkassenbeiträge zu verhindern.

    „Deswegen muss die Bundesregierung jetzt endlich ein Gesetz auf den Weg bringen, das einerseits den Flüchtlingen den Zugang zu ärztlicher und medizinischer Versorgung ermöglicht, andererseits aber damit verbundene Beitragserhöhungen für die gesetzlich Krankenversicherten ausschließt“, betont der CSU-Politiker. „Gesundheitskarten fallen nicht vom Himmel“, betont Pilsinger. „Der Bund muss nun endlich seinen Anteil an diesen Kosten bezahlen, nicht die Versichertengemeinschaft der Beitragszahler.“

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