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Krisenpolitik: Ex-Verkehrsminister Scheuer erzählt, wie sich Politik in der Dauerkrise anfühlt

Krisenpolitik

Ex-Verkehrsminister Scheuer erzählt, wie sich Politik in der Dauerkrise anfühlt

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    Ex-Verkehrsminister Scheuer hatte harte Zeiten im Amt, will aber nicht ewig in der Opposition schmoren.
    Ex-Verkehrsminister Scheuer hatte harte Zeiten im Amt, will aber nicht ewig in der Opposition schmoren. Foto: Michael Kappeler,dpa

    Der Kontrast könnte größer kaum sein. Robert Habecks müdes Gesicht mit dem grauen Stoppelbart, aus dem die Erschöpfung spricht. Und das fröhliche Servus, das aus dem lächelnden Mund von Andreas Scheuer kommt. Der eine ist Minister und versucht mit aller Kraft zu verhindern, dass in Deutschland die Lichter ausgehen. Der andere ist Ex-Minister, der seine Leichtigkeit wiedergefunden hat.

    Andi Scheuer ist angriffslustig, empfindet aber keine Schadenfreude darüber, dass Habeck zuletzt ziemlich gebeutelt wurde. „Es kann jeden jeden Tag treffen. Ein ungeschickter Auftritt, eine schiefe Formulierung und die Häme ergießt sich über dich“, sagt Scheuer. „Ich war ja auch oft in der Zeitung.“

    Ein Spaziergang im Herbst mit Andreas Scheuer

    Es ist ein sonniger, frischer Herbsttag in Berlin. Zum Treffpunkt am Gendarmenmarkt in der Berliner Mitte kommt der CSU-Mann mit einem Leihrad. Genau um solche Dinge hat er sich als Verkehrsminister gekümmert. Scheuer schiebt einen Termin dazwischen. Als einfacher Abgeordneter geht das leichter. Eine Stunde Spaziergang rund um den großen Platz. Später wird er eine Besuchergruppe aus der Heimat empfangen. Seine Bayern sind zufälligerweise auch gerade am Gendarmenmarkt und erkennen ihren Gastgeber, der nur „der Andi“ ist. Grüßt euch, Händeschütteln, Foto mit „dem Andi“ vor dem Konzerthaus.

    Bald ist es ein Jahr her, dass er den Schlüssel zum Verkehrsministerium abgegeben hat. Damals war der 48-Jährige ein anderer. Verbittert im Verteidigungsmodus, weil er neben der Corona-Krise auch seine persönliche Krise durchstehen musste. Das Maut-Debakel brachte ihm Vorladungen in den Untersuchungsausschuss ein und beinahe täglich Berichte über Pleiten, Pech und Pannen in seinem Ministerium. „Manchmal ist es schon das Gefühl von Don Quijote mit den Windmühlen“, hatte er in seinem letzten Interview im Amt unserer Redaktion gesagt.

    Der Gendarmenmarkt im Herzen Berlins.
    Der Gendarmenmarkt im Herzen Berlins. Foto: Berlin Tourismus Marketing, tmn

    Was macht dieser gefühlt vergebliche Kampf mit einem, wenn im Ministerium jeden Tag mindestens zwölf Stunden abgerissen werden müssen? Und was macht es, wenn sich die Krisen multiplizieren? Scheuer hält seinen Schritt an, muss aber nicht lange überlegen. Er glaubt nicht, dass die Probleme früher kleiner waren. Er nennt die deutsche Einheit, die zugleich ein weltpolitisches Ereignis, ein sicherheitspolitisches Problem und ein schwieriger wirtschaftlicher Kraftakt war. Auch das Tempo, in dem die DDR abgewickelt wurde, war extrem hoch.

    Anders, so sieht es Scheuer, war die Form der Kommunikation. "Helmut Kohl konnte noch eine Woche auf Staatsbesuch nach Südamerika reisen und war dabei weitgehend unbehelligt. Er hat aus der Botschaft die Faxe bekommen.“ Und heute geht es einen Tag hin und am nächsten zurück. Dazwischen liegen zehn Presseanfragen, Agenturmeldungen und tausende Kommentare und Verwünschungen auf Facebook und Twitter. „Der Pressesprecher steht hinter dir, drängt auf Antwort“, erzählt Scheuer.

    Fax und Festnetz waren früher: Die Kommunikation ist durch das Internet schneller geworden. In der Politik bedeutet das Stress.
    Fax und Festnetz waren früher: Die Kommunikation ist durch das Internet schneller geworden. In der Politik bedeutet das Stress. Foto: Michael Jung, dpa

    Die Schnelligkeit der Kommunikation und die hohe Rückschlaggeschwindigkeit setzen das System Politik unter Stress. Passiert dann ein Fehler, wie es Habeck vor kurzem mit seiner verunglückten Erklärung zu Insolvenzen ging, entsteht ein neuer Anlass für Presseanfragen, Agenturmeldungen und tausende Kommentare auf Facebook und Twitter. Kommunikation erschafft Kommunikation und bindet die Ressourcen des Apparates. So erklärt der frühere Minister gemäßigten Fußes den Mechanismus, der den Betrieb so hart macht. Vom Konzerthaus blickt Apollon, der Gott der Weissagung herab.

    Scheuer weiß, wovon er redet. Mit seinen 48 Jahren, die im politischen Geschäft fast noch als jung gelten, ist er schon lange dabei. Als er vor 20 Jahren das erste Mal in den Bundestag einzog, da waren Handys noch etwas Exotisches, einige Abgeordnete hatten noch keinen Computer an ihren Schreibtischen. Die ersten Laptops waren so schwer, dass man sie lieber im Büro ließ.

    Die Politik ist immer unter Beobachtung

    Seit einigen Jahren ruht die Kommunikation höchstens noch in der tiefen Nacht, wenn die allermeisten schlafen. „Du bist zu jedem Zeitpunkt unter Beobachtung. Das hat sich durch die sozialen Netzwerke brutal geändert und beschleunigt“, sagt Scheuer. Seine Hände erklären in der Herbstluft seine Worte nach. Die Beschleunigung trifft auf die festen Beamten-Hierarchien in den Ministerien. Dort gebietet die Berufsehre, die Aufgaben gewissenhaft, gründlich und ohne Fehler zu machen, also das Gegenteil von schnell, schnell.

    Die Hektik der Welt trifft nicht nur die Minister, sondern auch ihre Mitarbeiter in den Amtsstuben. „Es ist jetzt kein Scheiß, den ich erzähle: Die Leute werden krank. Die haben Burnout, die kriegen Tinnitus“, gestand Habeck zur Verblüffung der Zuhörer bei einem Kongress des Bundesverbands der Industrie Ende September. Jetzt kämpft der Grüne den Kampf mit den Windmühlen und schaut manchmal dabei aus wie der Ritter von der traurigen Gestalt. Ein-, zweimal hat er durchblicken lassen, dass er sich gefragt hat, warum er sich das antut.

    Andi Scheuer hat den Eindruck ans vorzeitige Aufhören immer zurückgewiesen. Seine Position war wegen des Maut-Desasters gefährdeter, als es jetzt die Habecks nach dem Gasumlage-Murks ist. Trotz allem wirkt es so, dass sich Scheuer jederzeit wieder in den Sattel setzen würde, um den Kampf mit den Windmühlen aufzunehmen. „Ich gehe ja nicht in die Politik, um in der Opposition zu sein. Ich will gestalten und das hat mir Freude gemacht“, sagt er am Ende der Runde. Es fühlte sich nur manchmal so an, als habe er ein Holzschwert in der Hand gehabt. „Während man eigentlich ein Lichtschwert von Star Wars braucht."

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