Die Vielzahl an Krisen, die die Welt seit einigen Jahren heimsucht, hinterlässt ihre Spuren: Der ohnehin schwierige Kampf gegen den Hunger kommt kaum mehr voran. 733 Millionen Menschen weltweit haben nicht ausreichend Nahrung. Das ist das Ergebnis des Welthunger-Indexes, der jährlich von Hilfsorganisationen vorgelegt wird.
Vor allem afrikanische Länder südlich der Sahara und Staaten in Südostasien haben mit massiven Problemen zu kämpfen. Eigentlich hatte sich die Weltgemeinschaft das Ziel gesteckt, bis zum Jahr 2030 den Hunger zu bekämpfen. „Zero Hunger“ lautete das Schlagwort. Zu halten ist es kaum mehr. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2030 immer noch 582 Millionen Menschen chronisch unterernährt sein, mehr als die Hälfte davon in Afrika. „Wir halten den Kopf über Wasser, aber schaffen keine weiteren Fortschritte. Diese Entwicklung ist nicht akzeptabel“, kritisiert Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe. Es sei die Verpflichtung der Weltgemeinschaft, ihr selbstgestecktes Ziel zu erreichen. Das Gegenteil scheint der Fall: Die Mittel für humanitäre Hilfen im Etat des Bundesentwicklungsministeriums wurden aufgrund eigener Sparzwänge um fast 50 Prozent gekürzt. „Das ist das völlig falsche Signal“, sagt Thieme.
Fortschritte im Kampf gegen den Hunger sind möglich
Dass der Hunger bekämpfbar ist, hätten die Fortschritte bewiesen, die über viele Jahre hinweg erzielt worden waren. Allein zwischen den Jahren 2000 und 2016 war der Hunger in der Welt um ein Drittel zurückgegangen. Und auch heute noch zeigen Länder wie Bangladesch, dass Ernährungsunsicherheit kein unabwendbares Schicksal ist. Das Land in Asien gilt als Lichtblick. Die Regierung habe gezielt in Bildung, in Gesundheitssysteme und in die Förderung von Frauen investiert – Frauen und Mädchen sind statistisch betrachtet am stärksten von Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung betroffen. Geschlechtergerechtigkeit spiele in der Entwicklungsförderung daher eine entscheidende Rolle.
„Diese Art von Politik macht einen Unterschied“, sagt Mathias Mogge, Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe. „Es braucht politischen Willen, dann sehen wir auch Fortschritte.“ Umso dramatischer sind die Folgen in jenen Ländern, in denen eben dieser Wille fehlt oder – schlimmer noch – eine politische Krise herrscht. Staaten wie Syrien oder Venezuela, die eigentlich nicht als arm gelten, haben in den vergangenen Jahren stetige Rückschritte gemacht, wenn es darum geht, die eigene Bevölkerung zu versorgen.
Krise und Kriege treiben den Hunger an
Ohnehin bleiben bewaffnete Konflikte das größte Risiko für Hungerkrisen – Hunger ist also in weiten Teilen menschengemacht. Das zeigt die Liste jener Länder, die im Welthunger-Index am schlechtesten abschneiden. Auf Platz 1 der Staaten, in denen der Hunger als „sehr ernst“ eingestuft wird, liegt Somalia, gefolgt vom Jemen und dem Tschad. Das Land am Horn von Afrika mit etwa 16 Millionen Einwohnern ist von bewaffneter Gewalt, politischer Instabilität und extremer Armut geprägt. Besonders die islamistische Miliz Al-Shabab, die weite Teile des Südens und der Zentralregionen kontrolliert, verübt regelmäßig Anschläge, deren Ziel Sicherheitskräfte sowie Zivilisten sind. Auch Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen um politische Macht oder wirtschaftliche Vorteile sind nicht selten. Die Folge: Kriegsparteien zerstören bewusst Ernten oder überfallen Märkte, sie verweigern Hilfsorganisationen den Zugang. Aber auch der Gazastreifen ist ein anschauliches Beispiel: „Seit dem 7. Oktober 2023 sind etwa 70 Prozent des Viehbestands verloren gegangen, und die Fischerei wurde aufgrund von beschädigten Booten, Treibstoffmangel und Sicherheitsproblemen weitgehend eingestellt“, so die aktuellen Zahlen.
Afrika bleibt insgesamt das Sorgenkind von Hilfsorganisationen. „Im Jahr 2022 waren 72 Prozent der Bevölkerung in Afrika südlich der Sahara nicht in der Lage, sich eine gesunde Ernährung zu leisten – die höchste Rate aller Weltregionen“, so die Bilanz der Welthungerhilfe. Die Folgen von Mangelernährung sind enorm: Weltweit leiden 148 Millionen Kinder an Wachstumsverzögerung, 45 Millionen Kinder an Auszehrung, und fast fünf Millionen Kinder sterben vor dem fünften Lebensjahr, so die Zahlen der Organisation.
Und noch auf ein weiteres Phänomen macht die Welthungerhilfe aufmerksam: „In den letzten zehn Jahren ist die Auslandsverschuldung in allen Regionen stetig gestiegen, und viele der ärmsten Länder kämpfen nun mit steigenden Schuldendienstzahlungen.“ Und wo die finanziellen Mittel knapp sind, werden staatliche Leistungen gekürzt.
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