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Krise: Millionen Menschen droht der Hungertod

Krise

Millionen Menschen droht der Hungertod

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    Ein Junge legt einen Pflug an, den er und seine Familie von der Organisation Welthungerhilfe bekommen haben. Im Südsudan hat sich die Zahl der Hungernden stark erhöht.
    Ein Junge legt einen Pflug an, den er und seine Familie von der Organisation Welthungerhilfe bekommen haben. Im Südsudan hat sich die Zahl der Hungernden stark erhöht. Foto: Gioia Forster, dpa

    Es war die Hoffnung, die viele Helfer über Jahrzehnte angetrieben hat: Bei allen Problemen, bei all dem Leid in der Welt, gab es doch die Gewissheit, dass Hunger kein unabwendbares Schicksal war. Der Fortschritt war eine Schnecke, manchmal sogar eine besonders langsame. Doch die Zahl der Menschen, deren Teller nicht länger leer blieb, wuchs kontinuierlich.

    Bis 2030, so das Ziel der Vereinten Nationen, sollte es keinen Hunger mehr geben. Doch inzwischen ist dieses Vorhaben in weite Ferne gerückt. „Seit 2014 kehrt sich der Trend um: Multiple Krisen lassen die Zahl der Hungernden immer weiter steigen, aktuell sind es weltweit etwa 811 Millionen Menschen, die hungern“, schreibt die Welthungerhilfe in ihrem Jahresbericht. Und: die Zahl steigt weiter an. Die Mahnungen der Hilfsorganisationen werden dringlicher. Die Ungleichheit in der Welt ist nach einer Studie der Vereinten Nationen so groß wie seit mehr als 100 Jahren nicht mehr.

    Menschengemachte Ursachen, verstärken die Krisen

    „Das ist ein richtiger Weckruf an die gesamte Welt“, betont Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe. Die Ernährungslage in vielen Teilen des Globus habe sich geradezu dramatisch verschlechtert.

    Spätestens der Ausbruch der Corona-Pandemie hat das Wirtschaftswachstum vieler Entwicklungsländer einbrechen lassen, Menschen verloren ihre Jobs, Lebensmittelpreise stiegen steil an – allein im Jahr 2021 um 28 Prozent. Düngemittel sind für viele Bauern kaum mehr bezahlbar, Sprit für Fahrzeuge und Maschinen frisst die Gewinne auf. Die ärmsten 20 Prozent der Weltbevölkerung hatten mit der Corona-Pandemie die größten Einkommenseinbußen erlitten. „Die Welt hat es versäumt, auf frühe Warnzeichen zu reagieren“, sagt Thieme. „Es leiden insbesondere diejenigen am stärksten, die ohnehin zu den Ärmsten gehören und am wenigsten zu den Krisen beigetragen haben.“

    Meist sind es menschgemachte Ursachen, die die Not wachsen lassen: Kriege und bewaffnete Konflikte gelten als eine der wichtigsten Gründe für Versorgungsprobleme. „In acht von zehn Ländern mit einer sehr ernsten oder gravierenden Hungersituation tragen Konflikte, Gewalt und Fragilität maßgeblich zum Hunger bei, etwa in Äthiopien oder im Südsudan“, so die Welthungerhilfe. Die Zahl der Konflikte bewegt sich seit Jahren auf einem hohen Niveau. 20 Kriege weltweit verzeichnete das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) im Jahr 2021, hinzu kamen 355 Konflikte, darunter 204 gewaltsame. Fünf innerstaatliche Auseinandersetzungen etwa in Äthiopien oder Myanmar eskalierten 2021 zu Kriegen. Aktuell setzt der russische Präsident Wladimir Putin die Blockade von ukrainischen Getreide-Lieferungen und das Bombardement von Lagerhallen als Waffe ein.

    Menschen in Afghanistan leiden unter Hunger und Gewalt

    „Nur wenn Konflikte beendet werden, kann nachhaltig der Hunger besiegt werden“, erklärt die Welthungerhilfe in ihrem Bericht. Das zeige sich unter anderen in Ländern wie Liberia oder Sierra Leone – in beiden einstigen Bürgerkriegsländern hat sich das Leben der Menschen deutlich verbessert. Umgekehrt zeigt das Beispiel Afghanistan, dass Erfolge innerhalb kurzer Zeit zunichtegemacht werden können. Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich der Alltag der Bewohner am Hindukusch deutlich zum schlechteren entwickelt.

    Experten der Welthungerhilfe berichten: „Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Afghanistan hat nicht mehr genug zu essen, das Bankenwesen ist nach der Machtübernahme der Taliban zusammengebrochen, das Bildungs- und das Gesundheitssystem funktionieren nur eingeschränkt.“ Die Vereinten Nationen befürchten, dass die Armutsrate in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 auf 97 Prozent steigen wird. Auch am Horn von Afrika werden die Hilferufe lauter: 17 Millionen Menschen haben dort nicht mehr genug zu essen. Der Krieg in der äthiopischen Provinz Tigray macht Fortschritte, die in den vergangenen Jahren erzielt wurden, zunichte.

    Hinzu kommt, dass in Äthiopien, Kenia und Somalia die schlimmste Dürre seit 40 Jahren herrscht. Der Klimawandel und seine Folgen sind weltweit einer der weiteren Gründe für die zunehmenden Probleme. „Millionen Ziegen und Rinder sind bereits gestorben, Felder verdorrt, Brunnen ausgetrocknet und Wasserstellen zerstört und damit die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen zunichtegemacht“, so die Welthungerhilfe. Mit einem Rekordbudget, das sich aus öffentlichen Zuwendungen und Spenden speist, versucht die Hilfsorganisation dagegenzuhalten – und bekommt doch die Grenzen ihres Wirkens zu spüren.

    Hungernot zu beenden, sei eine Frage des politischen Willens

    Weil die Zahl der Notleidenden so stark angestiegen ist, mussten zuletzt Projekte gestrichen werden, darunter Schulspeisungen. Das setzt einen fatalen Teufelskreis in Gang: Für viele Kinder in Entwicklungsländern ist das die einzige Mahlzeit des Tages, sie werden zur Schule geschickt, um dort etwas zu essen – fällt das aus, müssen sie arbeiten, um zum Auskommen der Familie beizutragen.

    Dass Marlehn Thieme, Chefin der Welthungerhilfe, dennoch nicht die Zuversicht verliert, hat einen einfachen Grund: „Wir sind überzeugt, dass der Hunger besiegt werden kann“, sagt sie. „Es ist eine Frage des politischen Willens.“ Der ist grundsätzlich vorhanden. Erst beim G7-Gipfel in Elmau gaben die Mächtigen das Versprechen, 4,5 Milliarden US-Dollar in die Ernährungssicherheit zu investieren. Das sei gut, sagt Thieme, „aber die finanziellen Zusagen reichen nicht aus, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen“. Sorge bereitet ihr auch der Blick auf die Haushaltsplanungen der Bundesregierung: Das Budget des Entwicklungsministeriums soll gekürzt werden.

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