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Kriegsgefahr im Libanon: So ist die Stimmung vor Ort

Krisenherd Nahost

Kriegsgefahr im Libanon: „Eine Stimmung wie auf der Titanic“

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    Libanesische Nachtschwärmer genießen eine Nacht in einer Kneipe in Beirut, während dem Land ein Krieg mit seinem südlichen Nachbarn Israel droht.
    Libanesische Nachtschwärmer genießen eine Nacht in einer Kneipe in Beirut, während dem Land ein Krieg mit seinem südlichen Nachbarn Israel droht. Foto: dpa

    Israelische Tiefflieger, die über Beirut donnern und die oft verzweifelte Suche nach bezahlbaren Lebensmitteln unterbrechen. Die ständige Angst vor einer tödlichen Eskalation des fast täglichen Schlagabtausches zwischen der Hisbollah und den israelischen Streitkräften - es dürfte derzeit nicht viele Plätze auf dem Planeten geben, an denen das Leben gefährdeter und nervenaufreibender ist als im Libanon.

    Jaqueline Flory ist regelmäßig in dem geschundenen Land. Dort hat sie unsere Redaktion für ein Gespräch erreicht. Die Stimmung in Beirut nimmt sie als gespenstisch wahr. „Noch vor einem Jahr sind dort fast alle Restaurants geschlossen gewesen, die Straßen waren ausgestorben. Den völlig verarmten Leuten fehlte einfach das Geld. Jetzt ist das Nachtleben plötzlich wieder wie vor 15 Jahren. Die Menschen feiern auf den Straßen“, berichtet sie. Gleichzeitig seien Behörden und Banken verbarrikadiert - alles werde kriegssicher gemacht. „Es herrscht eine Endzeitstimmung, ein Gefühl, dass morgen alles vorbei sein kann. Ein bisschen wie beim Untergang der Titanic, als die Kapelle immer weiterspielte, bis zum Ende.“

    Jaqueline Flory gründete 2016 die Hilfsorganisation Zeltschule

    Jaqueline Flory ist eine exzellente Kennerin des Landes. 2016 gründete sie mit mehreren Mitstreitern die Hilfsorganisation Zeltschule, die Schulen im Libanon und auf der syrischen Seite der Grenze betreibt, um geflüchteten Mädchen und Jungen eine Ausbildung in den Wirren des Syrien-Krieges und damit eine Chance auf Zukunft zu geben. Aktuell werden täglich 17.000 Kinder in 54 Schul-Camps unterrichtet, zudem versorgt Zeltschule wöchentlich rund 75.000 Menschen mit Lebensmitteln. „Es war nie eine Option, unser Engagement angesichts der extrem angespannten Lage aufzugeben. Es gibt für die Menschen, denen wir helfen, keine Alternative. Sie haben nichts“, sagt sie. Das größte Problem sei, Lebensmittelvorräte für den Fall einer Ausweitung des Konfliktes zu organisieren. Tatsächlich sind Nahrungsmittel, aber auch Hygieneartikel und Medikamente Mangelware. Flory: „Zudem suchen wir fieberhaft nach massiv gebauten Häusern in der Umgebung unserer Schulen, die Lehrern und Schülern Schutz im Kriegsfall bieten könnten.“

    Die Bevölkerung ist ein Leben mit Krisen, Konflikten seit Jahrzehnten gewohnt. Immer wieder gab es Kriege, zuletzt 2006 zwischen Israel und der schiitischen Hisbollah. Vor vier Jahren verwüstete die gewaltige Druckwelle der Explosion eines mit 2750 Tonnen Ammoniumnitrat gefüllten Silos im Hafen von Beirut ganze Stadtteile. Eine Katastrophe, die wirtschaftlich und politisch noch immer nachwirkt.

    Libanon im Krieg in Nahost: Ist das Land zwischen allen Stühlen wieder das Opfer?

    Doch was passiert in den nächsten Tagen? Wird der ethisch und religiös heterogene Staat einmal mehr Opfer seiner Rolle als Staat zwischen allen Stühlen inmitten einer Weltregion, die ohnehin schon einem Pulverfass gleicht?

    Experten und Politiker orakeln seit Tagen, ob und wann die von Teheran vollständig abhängige Hisbollah oder gar der Iran direkt Israel mit Drohnen und Raketen eindecken. Im Libanon quält die Menschen der Gedanke daran, wie die zerstrittene israelische Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf solch einen Schlag, der auch zivile Opfer fordern könnte, ihrerseits regieren wird. Klar ist: Ziel wäre die waffenstarrende Hisbollah im Libanon - an der militärisch und politisch niemand in Beirut vorbeikommt. Seit Wochen beschießen die schiitischen Truppen fast täglich Ziele im angrenzenden Norden Israels. Das israelische Militär wehrt sich mit Attacken auf deren Stellungen.

    Racheschwüre nach den Liquidierungen

    Dass die gezielte Tötung des Militärkommandeurs der Hisbollah, Fuad Schukr, in Beirut sowie des Anführers der Hamas, Ismail Hanija, in einem Gästehaus in Teheran nicht ohne Vergeltung bleiben werden, haben Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und die Führung in Teheran geschworen. Israel hat die Liquidierung von Hanija eingeräumt. Zu der Eliminierung von Schukr schweigt die Regierung Netanjahu zwar offiziell - daran, dass Israel auch für diese Tat verantwortlich ist, zweifelt jedoch kaum jemand ernsthaft.

    Die Bevölkerung des Libanons lebt mit der akuten Bedrohung teils fatalistisch, teils voller Furcht: „Manche Ältere, mit denen ich spreche, sagen, dass sie sich nicht vorstellen könnten, dass es in einem Krieg noch schlimmer werden könne, als es jetzt schon ist. Manche hoffen gar, dass eine Eskalation wenigstens wieder weltweite Aufmerksamkeit für das Schicksal ihres Landes erzeugen wird. Junge Menschen blicken hingegen voller Angst auf einen drohenden Krieg“, sagt Jaqueline Flory.

    Viele Libanesen sehen jetzt ausgerechnet die Hisbollah als Schutzgaranten

    Geradezu erschreckt ist die Leiterin der Organisation Zeltschule darüber, dass viele Libanesen glauben, dass nur die Hisbollah das Land vor Israel schützen könne. Dabei sei sie es in erster Linie, die Schuld an der verfahrenen Situation habe. „Noch vor einem Jahr gab es eine große Bewegung im Libanon, die forderte, endlich die Macht der Hisbollah im Staat zu beschneiden. Davon ist kaum noch die Rede.“ Ihre Rolle werde im Libanon als viel selbstständiger vom Iran gesehen als in Europa. „Dabei weiß hier jeder, dass auf dem Beiruter Flughafen jede Woche Flugzeuge aus dem Iran mit Geld für die Kämpfer und Funktionäre der Hisbollah landen. Sie werden als einzige im Land mit US-Dollar bezahlt.“ Flory hofft nach wie vor, dass das Mullah-Regime in Teheran letztlich keinen offenen Krieg mit Israel riskiert wird, weil den Machthabern klar ist, dass die US-Militärmacht in den Konflikt an Israels Seite eingreifen würde.

    Wie alarmiert die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und das Auswärtige Amt sind, zeigen die eindringlichen Appelle an die noch gut 2000 Deutschen im Libanon, das Land zu verlassen. Wer dies jetzt nicht tue, müsse damit rechnen, „einen längeren Zeitraum im Krisengebiet auf sich selbst gestellt sein“, wird gewarnt.

    Jaqueline Flory fürchtet, dass die Israelis den Beiruter Flughafen lahmlegen könnten. „An ihrer Stelle würde ich das zuerst machen. Dann wäre der Libanon fast völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Wie aber sollen wir die Menschen versorgen, wenn es wirklich einen offenen Krieg gibt?“

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