Flehend baten die Christen der ukrainisch-orthodoxen Kirche Präsident Wolodymyr Selenskyj um Verbleib in ihren angestammten Kirchen im weltberühmten Höhlenkloster in Kiew. Es gebe genug Not und Leid wegen des Krieges, Selenskyj solle ihnen nicht noch die letzte Hoffnung nehmen, sagte Klostervorsteher Pawlo Lebid in einer Videobotschaft.
Doch die Türen zu den Gotteshäusern bleiben kurz vor dem orthodoxen Weihnachtsfest geschlossen. Das feiern die Kirchen in der Ukraine traditionell wie Russland zwei Wochen später als die Christen im Westen – und zwar am 7. Januar.
Der ukrainischen Führung politische Verfolgung vorgeworfen
Die traditionell mit den russisch-orthodoxen Glaubensbrüdern und –schwestern verbundene Kirche in der Ukraine sagte sich nach Kriegsbeginn vom Moskauer Patriarchat los. Dennoch werfen die Christen der ukrainischen Führung nun politische Verfolgung vor. Sie beklagen gewaltsame Übergriffe und vor allem erniedrigende Razzien durch den ukrainischen Geheimdienst SBU, der russische Spione jagt.
Staatschef Selenskyj sieht die Verbindungen der Kirche zu Russland als Gefahr für die Sicherheit des um seine Unabhängigkeit kämpfenden Landes. "Es gibt kein Gold auf der Welt für Kreuze oder irgendetwas anderes, das den moralischen Rost der Beziehungen zu einem terroristischen Staat verdecken könnte", sagte er bei seinem Auftritt vor dem Parlament in Kiew zum Jahresende.
Kiew: Ukrainisch-orthodoxe Kirche von Agenten Moskaus durchsetzt
Die politische Führung sieht die ukrainisch-orthodoxe Kirche, mit 12.000 Priestern die größte Glaubensgemeinschaft im Land, von Agenten Moskaus durchsetzt. Sie hatte die Geistlichen gar aufgefordert, Kremlchef Wladimir Putin zum Teufel zu erklären. Vor allem aber kritisiert Kiew den Moskauer Patriarchen Kirill als Kriegstreiber.
Der Kirchenführer saß zuletzt bei einer erweiterten Militärsitzung im Verteidigungsministerium mit Generälen im Saal. Kirill, der ein enger Vertrauter Putins ist, sieht die Invasion auch als Rettung des russisch-orthodoxen Christentums vor dem Einfluss des Westens. Immer wieder feierten die russisch-orthodoxen Gläubigen, dass Putins Truppen Kirchen und andere Heiligtümer in der Ukraine eroberten.
Der Konflikt hat immer schon eine religiöse Komponente gehabt. Als nun die Mietverträge der ukrainisch-orthodoxen Kirche für zwei Hauptgotteshäuser im unter Unesco-Schutz stehenden Höhlenkloster nicht verlängert wurden, gab der Vorsteher Lebid dort seine Zurückhaltung auf und warf Selenskyj politische Einmischung vor.
"Verletzung der Religionsfreiheit"
Auch vom Moskauer Patriarchat in der russischen Hauptstadt kam scharfe Kritik an der "Verletzung der Religionsfreiheit" und der Rechte der Gläubigen in der Ukraine. Der Machtapparat in Kiew treibe die Mönche aus dem Kloster, lasse Gotteshäuser dort illegal besetzen und Gläubige verfolgen, heißt es. "So etwas gab es nicht mehr im Kirchenleben seit den Zeiten der gottlosen sowjetischen Machthaber", sagte Kirchensprecher Wladimir Legojda. Er bezeichnete die mit Staatshilfe geschaffene neue Kirche der Ukraine als eine "Marionette", die allein der Spaltung der Christen diene.
Doch der russische Einmarsch in die Ukraine im vergangenen Februar verändert auch die Kirchenkultur des Landes mit ihren noch aus den Zeiten des russischen Zarenreichs stammenden Traditionen. Bisher feierten die drei großen Kirchen des Landes Weihnachten nach dem alten julianischen Kalender – also zwei Wochen nach dem Westen. Die Religion ist eines der letzten Bänder, das die ehemaligen "Bruderstaaten" noch verbindet.
Weihnachten wird am 7. Januar gefeiert
Heute unterstützt der ukrainische Staat aber die mit Hilfe von Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko im Dezember 2018 gegründete Orthodoxe Kirche der Ukraine, um eine von Russland unabhängige Gemeinschaft zu schaffen. Zu viele Priester in der Ostukraine kooperieren offenbar mit den russischen Besatzern; und zu lange hatte die Kirche an den geistigen Verbindungen mit Moskau festgehalten.
Vor Weihnachten brach eine vor allem in nationalistischen Kreisen bereits seit langem geführte Diskussion wieder stärker hervor. Die Kirchen mit orthodoxem Ritus in der Ukraine, Belarus und Russland eint bis heute der gemeinsame Kirchenkalender. Weihnachten wird daher am 7. Januar gefeiert. Zwar wurde bereits unter Poroschenko 2017 der 25. Dezember zusätzlich zum arbeitsfreien Weihnachtsfeiertag gemacht. Aber wann wollen die Ukrainer nun wirklich Weihnachten feiern?
Mehrheit für den 25. Dezember
Die Vorsteher der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine und der griechisch-katholischen Kirche trafen sich dazu am 24. Dezember im Michaelskloster in Kiew. Metropolit Epifanij und Erzbischof Swjatoslaw berieten auch über eine Reform des Kirchenkalenders. Epifanij von der Orthodoxen Kirche erlaubte den etwa 5000 Priestern bereits Weihnachtsgottesdienste am 25. Dezember. Allerdings müsse am Ende eine Synode oder eine Erzbischofskonferenz über die endgültige Änderung des Kalenders und die ganzheitliche Reform des Kirchenjahres entscheiden, hieß es.
Parallel dazu wollte es auch die Regierung dann noch genau wissen. Kulturminister Olexander Tkatschenko gab in der Regierungsapp Dija die Frage "Welches Weihnachtsdatum bevorzugen Sie?" zur Abstimmung. Zugleich gab er die Richtung vor, indem er meinte, dass für die Ukraine die Beibehaltung des julianischen Kalenders beim Weihnachtsdatum ein "Erbe des Russischen Imperiums" sei. Das Ergebnis war eindeutig: Von über 1,5 Millionen Teilnehmern sprachen sich knapp 60 Prozent für den 25. Dezember als alleiniges Weihnachtsdatum aus.
Für den 7. Januar als Datum waren nur etwa 25 Prozent. Die übrigen wollten entweder an beiden Tagen oder gar kein Weihnachten feiern. Zwar belegten auch Soziologen zuletzt in repräsentativen Umfragen einen klaren Trend, Weihnachten wie im Westen zu feiern. Trotzdem werden auch in diesem Jahr vorerst weiter alle drei Kirchen ihre Hauptgottesdienste am 7. Januar abhalten. Die neue Orthodoxe Kirche der Ukraine wird nach dem Rauswurf der bisherigen Geistlichen aus dem Höhlenkloster an diesem Samstag zu Weihnachten erstmals die Mariä-Entschlafens-Kathedrale und damit das wichtigste Gotteshaus der Ukraine für sich nutzen.
(Von Andreas Stein und Ulf Mauder, dpa)